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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

bei dem als natürlichem Vormund des jungen Mädchens Frohn um ihre Hand anhalten mußte.

Der Oberst von der Trenck aber hörte seiner Nichte verlegen und verschämt vorgebrachte Mittheilung sehr gespannt an und mit jenem Egoismus der nie in seinem Leben auch nur einen Augenblick von ihm gewichen war, dachte er sofort mehr an das, was für ihn Vortheilhaftes in einer solchen Verbindung mit dem Commandanten des Spielbergs lag, als an das Glück des jungen Mädchens, welches ihm so nahe stand und ihm ein so großes Opfer gebracht hatte.

„Zum Henker, das ist brav von Dir, schlaue Katze!“ rief er aus, „also eingefangen hast Du ihn – nun, daß Du’s auf ihn abgesehen und all die kleinen Manöverchen, die ihr Weiber dabei zu machen versteht, spielen lassen – das hab’ ich längst gemerkt; wahrhaftig, er ist stark im Feuer gewesen, bis er Chamade geschlagen!“ fügte er lachend hinzu.

„Oheim, Sie mißkennen mich vollständig,“ siel Agnes purpurroth werdend ein, „wenn Sie glauben …“

„O! ich kenne das, kenne das,“ unterbrach er sie. „Du glaubst, so eine alte Kriegsgurgel verstehe sich den Teufel darauf; aber gefehlt, Nichtchen, gefehlt – Dein Oheim hat auch darin seine Erfahrungen gemacht; aber Du brauchst nicht roth und böse darüber zu werden – ich gebe Dir meinen vollen Segen und werde Dir fortan, als armer Gefangener, mit dem tiefen Respecte begegnen, der der Frau Commandantin gebührt; bei Deiner Hochzeit läßt Du uns armen Teufeln sicherlich eine doppelte Ration zukommen, und siehst auch wohl sonst noch mit Deinem Oheim ein wenig durch die Finger; es ist vortrefflich, Nichtchen, vortrefflich! Ich denke, wir werden jetzt bis an unser Lebensende ganz gemüthlich zusammen auf dem Spielberge hausen.“

„Ich freue mich Oheim, daß mein Entschluß wenigstens Ihre Billigung hat,“ antwortete Agnes etwas kalt und gemessen, da die Reden Trenck’s sie verletzten – „bis zu unserm Lebensende werden wir jedoch hoffentlich nicht auf diesem schrecklichen Kerkerfelsen hausen. Gewiß wird man Herrn von Frohn, wenn er sich mit einer Nichte dessen vermählt, der ihm hauptsächlich zur Bewachung anvertraut ist, auf eine andere Stelle versetzen, und er selbst wird auch um meinetwillen Alles aufbieten, einen anderen Dienst zu bekommen.“

„Das kann mir aber,“ fiel hier Trenck ein, „durchaus nicht angenehm sein; wenn das die Folgen Deiner Verheirathung sein sollen, so protestire ich dawider und …“

„Das werden Sie nicht, und es würde auch zu nichts frommen, denn ich bin fest entschlossen, Frohn mein Wort zu halten. Weit entfernt aber, daß die Entfernung des jetzigen Commandanten des Spielbergs Ihnen nachteilig sein soll…“

„Ach, der Commandant mag zum Teufel gehn, es wäre mir lieb, wenn er eher heute als morgen den Hals bräche, denn so lange dieser Mensch hier befiehlt, ist für mich an eine Rettung, an ein Entkommen nicht zu denken … aber ich will Dich nicht verlieren!“

„Eben deshalb, weil an ein Entkommen für Sie nicht zu denken ist, so lange Frohn Commandant des Spielbergs, mein theurer Oheim,“ entgegnete Agnes, „eben deshalb liegt es in Ihrem Interesse, daß ihm dies Amt genommen werde. Und so bald dies der Fall, dann, glauben Sie mir, soll es Ihnen leicht werden, den Ausgang in die Freiheit zu finden … ich habe ein Mittel in den Händen …“

„Was hast Du … wovon redest Du?“ fiel Trenck gespannt ein.

„Lieber Oheim,“ antwortete Agnes, ihre Stimme zum Flüstern dämpfend, „haben Sie mir nicht oft gesagt, daß es Ihnen nicht schwer werden würde, vom Spielberg zu entkommen, indem Sie in Uniform, in einen Militair-Mantel gehüllt, Nachts an den Wachen vorübergingen, denn diese würden glauben, es sei der Commandant, der einen seiner nächtlichen Inspectionsgänge mache?“

„Richtig, weil ich so ungefähr von derselben Gestalt bin, wie Dein vortrefflicher Sposo … es gehörten nur zwei Dinge dazu, wovon das eine sehr leicht und das andere sehr schwer zu bekommen ist. Die Parole des Tages nämlich, die man für ein gut Stück Geld sehr leicht, und die Schlüssel zu ein paar Thüren, welche man aus den Händen des Herrn von Frohn sehr schwer bekäme. Ich müßte nämlich offen und mit ruhiger Sicherheit aus der Wohnung des Commandanten in den mit Schildwachen besetzten Hof treten können; und dazu gehört der Schlüssel zur Thüre, die aus der Commandantenwohnung führt; auch den Schlüssel zu der Thür, die auf den westlichen Wall führt, müßte ich haben, denn nur von diesem westlichen Wall herunter könnte ich in’s Freie kommen; an allen andern Seiten sind die Felsenwände zu schroff, um daran hinunter klettern zu können.“

„Nun wohl, was würden Sie sagen, lieber Onkel, wenn ich Ihnen ein Mittel gäbe, sich die Schlüssel zu verschaffen?“

„Das heißt … was meinst Du? Agnes, heraus damit!“ rief Trenck aus.

„Nun,“ versetzte sie lächelnd, „man ist nicht so lange wie ich in Gefängnißmauern, ohne listig wie Gefangene zu werden; ich habe die Wachsabdrücke der Festungsschlüssel!“

Trenck sprang wie elektrisirt auf.

„Was hast Du?“ sagte er, Agnesens Hand ergreifend und heftig drückend, „…die Abdrücke…“

„Der Schlüssel, welche Herr von Frohn nie aus den Händen läßt.“

„Und die Du dennoch hast nehmen können? Nichte – Goldmädchen – Juwel – der Teufel lernt die Schlauheit von solch einem Weibe nicht aus … wo hast Du diese Abdrücke?“

„Ich will sie Ihnen geben, mein Oheim; aber vorher schwören Sie mir bei Allem, was Ihnen heilig ist, daß Sie nicht eher damit einen Rettungsversuch machen wollen, als bis Frohn nicht mehr Commandant des Spielbergs ist!“

Trenck schwieg eine Weile, als ob er mit sich zu Rathe gebe. Dann sagte er:

„Da hast Du meine Hand darauf, ich schwöre es Dir, ich will warten; Du hast Recht, wenn Du glaubst, man wird ihn versetzen, sobald es bekannt wird, daß er der Verlobte meiner Nichte ist; ich kann also warten, und ich will es.“

„So sollen Sie die Abdrücke haben,“ antwortete Agnes Mirzelska und begab sich in ihr Zimmer, um ihrem Oheim die Wachsabdrücke zu holen.

„Bei aller Deiner Schlauheit bist Du doch eine Gans,“ murmelte Trenck ihr nachsehend zwischen den Lippen. „Was helfen mir die Schlüssel, wenn dieser Frohn nicht mehr Commandant ist! Sein Nachfolger ist vielleicht ein kleiner Knirps oder ein vierschrötiger Kerl mit einem dicken Bauche; dann ist keine Schildwache mehr so dumm, mich für den Commandanten zu halten, wenn ich Nachts an ihr vorübergehe.“

Agnes Mirzelska kam zurück und überbrachte ihrem Oheim die Schlüsselabdrücke. In seiner Freude darüber umarmte er sie und in der Aufwallung seiner Dankbarkeit trat er an seinen Schreibtisch und schrieb seiner Nichte eine Anweisung von 20,000 Gulden Conventions-Münze, auf die Administration seiner slavonischen Herrschaften lautend.

„Zum Hochzeitsgeschenke!“ sagte er, indem er ihr das Blatt darreichte. „Man kann Deinem Oheime sonst nicht nachsagen, daß er mit Geschenken das Seine verthut … aber Du hast’s um mich verdient, Nichte … da nimm!“

Agnes küßte ihm dankbar die Hand.

(Schluß folgt.)



Der getreue Eckardt der Reisenden.

Seit langer Zeit jedes Jahr, sobald die Reisesaison begann und bis zum Ende derselben, durchwanderte ein Mann von kaum mittlerer Größe, aber starkknochig und wohlbeleibt, mit festen, fast harten Zügen, aber gar gutmüthigen und klugen Augen in dem breiten Gesicht, in sehr bescheidenem Anzuge, namentlich mit hoher breitschirmiger Mütze, in tüchtigen Schuhen und Gamaschen, den Regenschirm vorn am obersten Knopfe des Rockes, ohne alles Gepäck bis auf eine von vielem Gebrauch fast schwarz gewordene Reisetasche, Deutschland, oder die Schweiz, oder die Niederlande, oder Italien. Und alle seine langen und wiederholten Wanderungen machte er weder zu seinem Vergnügen, noch aus Rücksicht auf seine Gesundheit; er unternahm sie nur im Interesse anderer Reisenden.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_052.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)