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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wissen, und hat es trotz aller Widerlegung fort und fort behauptet, seine Landesregierung habe das in Deutschland bis dahin Unerhörte gethan, sie habe ihm nämlich mehrere Pässe auf verschiedene Namen gegeben, damit er in um so sicherem Incognito reise und sein Revisionsamt zum Frommen aller Reisenden um so ungestörter verrichten könne.

Auf der andern Seite fehlt es nicht an Erzählungen, wie irgend ein Abenteuerer oder Spaßvogel den Namen des Gefürchteten angenommen habe, um sich in einem Gasthofe gute Aufnahme, aufmerksame Bedienung und billige Rechnung zu verschaffen, oder auch wie man irgend einem Wirthe, der eine Revision seines Hauses wohl zu scheuen hatte, telegraphisch oder brieflich angezeigt, an dem und dem Tage werde der Wohlbekannte, diesmal unter dem und dem Namen, erscheinen, man möge sich das gesagt sein lassen. Natürlich wurde der also vorher angemeldete und bezeichnete arglose Fremde, der von nichts wußte, wie ein incognito reisender Fürst empfangen und konnte sich nicht erklären, warum man in dem Hause ihn mit Aufmerksamkeiten überhäufe, während der, welcher sich solchen Scherz erlaubt hatte, den Wirth dann gelegentlich verhöhnte. Welchen Kummer mag es auf der andern Seite dem Wirth gemacht haben, der den unscheinbaren Reisenden in ein gar schlimmes Bette hatte legen lassen und nachher, zu spät, erfuhr, der sei sein Gast gewesen, welchen er besser und sorgsamer behandelt haben würde als irgend einen andern, wenn er gewußt, wen er unter seinem Dache beherberge.

Der Mann aber, der alljährlich im Interesse aller Reisenden und zum Schrecken aller Wirthe solche Wanderungen unternahm, war der Buchhändler Karl Bädeker in Coblenz, der Herausgeber der nach seinem Namen genannten, allbekannten und allbenutzten rothen Reisehandbücher, die als treue Gefährten und zuverlässige Führer dem Wanderer an allen Orten, die er besucht, über alles Auskunft geben, ihn auf alles aufmerksam machen und es auch gelegentlich an nützlichen Warnungen nicht fehlen lassen. Jetzt, wo der wackre Mann unter dem grünen Rasen ruht, dürfen wir – was früher um seiner Zwecke willen nicht statthaft – sein sehr gut getroffenes Portrait bringen.

Man darf wohl behaupten, daß, wie die Eisenbahnen und Dampfer die Reiselust in nie vorher bekanntem Maße gefördert, das Reisen selbst aber in gleicher Weise erleichtert, die Bädekerschen Handbücher erst ein recht fruchtbringendes Reisen (in Mitteleuropa möglich gemacht haben; denn wer nach Anleitung dieser rothen Bücher reist, kann überzeugt sein, daß eigentlich Bedeutendes ihm nicht entgeht, während er vor Zersplitterung an Zeit und Aufmerksamkeit auf Kleinigkeiten verschont bleibt. Sie können deshalb ebensowenig entbehrt werden wie Koffer und Reisetasche und sie haben überdies den Vortheil, daß sie beinahe so gefürchtet sind wie es der Herausgeber selbst war. Erscheint ein Reisender mit dem rothen „Bädeker“ in der Hand, so wissen die Lohndiener und Wirthe, daß er zu den Kluggewordenen gehört und so wenig zu betrügen ist, wie ein erfahrener Einheimischer. Das ist freilich Vielen, die auf unerfahrene Reisende speculiren, denen etwas geboten werden kann, sehr ärgerlich. So kam vor einiger Zeit ein privilegirter Lohnkutscher zu Basel in höchstem Verdruß zur Polizei und zeigte da unwirsch an, er habe sich entschlossen sein Geschäft aufzugeben. Als der Beamte dem stadtbekannten, grollenden alten Mann freundlich zu- und abredete, versetzte der gereizte Pferdemann: „Nein! man wird jetzt seines Lebens nicht mehr froh, seit die verfluchten rothen Bücher da sind.“

Karl Bädeker war 1801 zu Essen an der Ruhr geboren, hatte schon als Knabe über die Siegesbotschaft aus Leipzig laut gejubelt und 1815 bei Napoleons Wiederkehr seinen Vater bestürmt, ihn mitziehen zu lassen gegen den Feind des Vaterlandes. Dies konnte dem Knaben nicht gestattet werden, der dagegen 1817 nach Heidelberg kam, um da die Buchhandlung zu erlernen. In der berühmten Universitätsstadt erwachte aber auch sein Wissensdurst so mächtig, daß er sich inscribiren ließ und ein Jahr lang Vorlesungen über Geschichte und Philosophie hörte. Nachdem er 1822 in Wetzlar sein Freiwilligen-Dienstjahr unter den Jägern bestanden hatte und als Lieutenant der Landwehr zugetheilt worden war, verbrachte er zwei für ihn sehr fruchtreiche und anregende Jahre in dem Hause des berühmten Buchhändler Reimer in Berlin, im Jahre 1827 endlich gründete er in Coblenz die Buchhandlung, der er so bedeutendes Ansehen verschaffen sollte.

Auf den Gedanken, zunächst sein Reisehandbuch für Deutschland zu schreiben, kam er zuerst, als er in den Händen aller die Rheinlande so zahlreich besuchenden Engländer das bekannte rothe englische Reisehandbuch des Buchhändlers Murray in London sah. Auch legte er dies dem seinigen anfangs zu Grunde, wie er wohl auch den damals noch ziemlich in Ansehen stehenden „Passagier auf Reisen“ von Reichardt dabei benutzte. Aber er erkannte sehr bald und zuerst vor Allen, daß sein Buch an sehr vielen Fehlern, Mängeln und Ungenauigkeiten litt, machte deshalb mehr als die Hälfte aller von ihm gedruckten Exemplare zu Maculatur und gab eine revidirte, viel verbesserte neue Auflage heraus, die den verdienten Beifall fand. Diesem ersten folgte die „Rheinreise“, „die Schweiz“ (später sein Lieblingsbuch, mit dem er selbst am meisten zufrieden war), „Belgien, Holland und Paris“, so wie die übrigen: „Oesterreich und Oberitalien“, „Tyrol und Salzburg“ etc., die alle bereits eine Frucht seiner aufmerksamen und sorgfältigen Wanderungen waren. Da aber stets überall Neues auftaucht und Altes verschwindet, kurz Aenderungen eintreten, welche die sonst genaueste Beschreibung unrichtig erscheinen lassen, so machte Bädeker, wie oben gemeldet, jährlich seine Revisionsreisen, um für die immer nöthig werdenden neuen Auflagen seiner Bücher an Ort und Stelle Berichtigungen zu sammeln und ihnen so die größtmögliche Zuverlässigkeit und Vollständigkeit zu geben.

Hatte er in dieser Weise den Sommer hindurch mit wahrem Bienenfleiße, unter allerlei Mühen und Beschwerden, eingetragen, so saß er dann den Winter über buchstäblich vom frühesten Morgen bis in die späteste Nacht hinein an seinem Schreibpult, um seine tausend und abertausend gesammelten Notizen, nebst den ihm in vielen Hunderten von Briefen zugegangenen Andeutungen, Bemerkungen und Berichtigungen zu ordnen und für die neuen Auflagen zu verwenden. Denn seine Bücher würden trotz dem ungewöhnlichen Fleiß des Mannes, eines Einzelnen, nicht so zuverlässig und vortrefflich geworden sein, wenn nicht das große reisende Publicum selbst sich als Mitarbeiter betheiligt und ihm viel Nutzbares zugetragen oder ihn auf Irrthümliches aufmerksam gemacht hätte. Bädeker selbst kannte bei solchen Winterarbeiten weder Sonn- noch Festtag. Und eins seiner Hauptverdienste darf nicht vergessen werden: was er schrieb, trug den Stempel der Wahrheit an sich, und schonungslos sprach er den Tadel aus, wo er begründet war. Er hätte viel erzählen können von Cigarrenkisten und Champagnerkörben, die er solchen, welche seine Empfehlung suchten, mit der kalten Ruhe eines Ehrenmannes zurücksandte, nicht selten mit der Bemerkung, daß seine Empfehlung um keinen Preis käuflich sei, daß aber Freundlichkeit, auch gegen unscheinbar aussehende Fremde, die Haupttugend eines Wirthes ausmache. Ein Fall solcher Art möge hier erzählt sein:

Wir haben gesehen, wie gar bescheiden das Aeußere Bädeker’s war, wenn er sich auf Reisen befand. So kam er denn eines Abends, ermüdet von langer Fußwanderung, nach Vevey und wollte da in einem der ersten Hotels Nachtquartier nehmen. Mit dem Dampfer war eben eine große Menge von Fremden mit zahllosen Koffern, Taschen und Schachteln angekommen, und die Kellner achteten nicht im Geringsten auf den schlichten Mann, der sich denn auch lange in das Unvermeidliche geduldig fügte. Als ihn endlich ein Kellner in nicht weniger als freundlichem Tone nach seinem Begehr fragte, verlangte Bädeker ein gutes Zimmer mit der Aussicht auf den See. Der Kellner führte ihn in das dritte Stock und zwar in ein Zimmer, das in den Hof hinaussah. Das verschmähte unser Reisende, der mit dem Wirthe selbst zu sprechen verlangt, als ihm erklärt worden war, es sei kein anderes Zimmer im ganzen Hotel frei. Der Wirth wußte ihm allerdings noch ein anderes Zimmer zu schaffen, aber eine Revision des Bettes zeigte sehr unangenehme Mängel. Ueberdies war die Bedienung eine sehr nachlässige und unfreundliche, wie die Speisen viel zu wünschen übrig ließen. Bädeker, der keine zu großen Ansprüche machte, grollte mit Recht. Endlich wurde ihm das Fremdenbuch vorgelegt, und kaum hatte der Wirth daraus ersehen, daß der von ihm nichts weniger als aufmerksam behandelte Fremde kein anderer als der von allen Gastwirthen Gefürchtete selbst sei, als er herbeieilte und unter den tiefsten Bücklingen, so gut als es eben gehen wollte, sich zu entschuldigen versuchte. Bädeker hielt ihm aber rückhaltslos sein langes Sündenregister vor und erklärte ihm zuletzt, er könne in dem Reisehandbuch das Sternchen nicht mehr stehen lassen, mit dem der Name des betreffenden Gasthauses bis dahin als Auszeichnung versehen gewesen. Trotz

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_054.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)