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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

von Zorn übermannt, ihm endlich die volle Wahrheit sagte und ihm gestand, daß ich um Schenk’s willen die ganze Welt, geschweige denn ihn aufgebe, den ich jetzt so kennen gelernt, mit dem ich das Leben keine Woche ertragen haben würde, da schaut’ er mich lange starr und finster an und sagte endlich: „Anna, Sie haben mich unerhört betrogen. Aber wohlan – die Folgen auf Ihr Haupt!“ Und damit ging er stolz zur Thür hinaus.

„Mir graust noch, wenn ich daran denke. Er war fürchterlich. Man konnte das Schlimmste von ihm erwarten – er war auch sicher dazu entschlossen – und ich leugne nicht, daß ich hauptsächlich darum so bald mit Rosa nach der Residenz reiste; ich wollte ihm für’s Erste aus dem Wege gehn. Daß sein Schlag ein noch viel theureres Leben treffen würde, das hab’ ich nicht gefürchtet. Und nun geschah es doch, denn – in mir steht es unumstößlich fest, – Niemand anders ist Schenk’s Mörder. – Da habt ihr’s,“ setzte sie nach einer kurzen Pause hinzu und schmiegte sich wieder in die Ecke. „Nun entscheidet, ob das etwas ist, ob ihr damit etwas thun könnt.“

„Es war eine Zeitlang im Zimmer sehr still, bis Huber endlich sich ermannend sagte: „Das scheint mir – um Ihre frühern Worte zu gebrauchen – keine Thorheit, sondern leider eine nur zu ernste Gewißheit zu sein. Sie haben allen Grund, vorsichtig zu sein, – das gebe ich zu. Irren ist menschlich und auch hier möglich. Aber Sie werden auch nicht zweifeln, daß Ihr Geheimniß bei uns wohl bewahrt ist, wenn nicht die Umstände den Hauptmann und mich zu weitern Schritten zwingen. Vor allen Dingen also den Namen – ich habe allerdings keine Ahnung, wer dies sein mag.“

„Es ist der Doctor Helmreich,“ sprach sie leise und gesenkten Blicks.

„Also doch!“ rief ich aus und sprang unwillkürlich von meinem Sitze auf. Die Drei waren bei meiner jähen Bewegung gleichfalls aufgefahren und starrten mich bestürzt an.

„Haben Sie denn eine Ahnung davon gehabt – Sie grade?“ fragte Anna athemlos. „Aber wie war es möglich –“

„Da fragen Sie mich mehr als ich weiß,“ unterbrach ich sie ernst; „ich kann es überhaupt nicht einmal eine Ahnung nennen. Die Sache verhielt sich so und so.“ Und damit erzählte ich ihnen, was ihr gehört habt, und verschwieg ihnen auch nicht Sinefsky’s Bemerkung nach dem Appell, die, obschon ich sie damals kurz genug zurückgewiesen, dennoch keinen geringen Eindruck auf mich gemacht hatte und auch jetzt auf meine Zuhörer fast mehr als alles Uebrige wirkte.

„Genug,“ sagte Huber endlich, da ich schon eine Weile geschwiegen, und stand auf, „ich halte es nach alledem für unsere Pflicht, die Sache Sterning mitzutheilen. Er mag und wird entscheiden, ob sich darauf hin weiter verfahren läßt oder alles einstweilen noch verschwiegen bleibt. Er kennt Helmreich auch besser als ich – ich glaube, sie studirten miteinander in B. – und weiß, ob er dergleichen fähig sein könnte. Ich, wie gesagt, kenne ihn wenig; doch erinnere ich mich ein paarmal von seiner alles vergessenden und durch keine Rücksicht zurückzuhaltenden Heftigkeit – selbst Patienten gegenüber – gehört zu haben, wodurch sein Ruf als Arzt ernstlich beeinträchtigt wurde. – Lassen Sie uns zu Sterning gehn, Hauptmann. Wir kommen so bald wie möglich wieder. – Sie, Anna,“ setzte er hinzu und ergriff und drückte ihre Hand mit sichtbarer Theilnahme, „Sie dürfen jetzt nicht zurückweichen, nachdem Sie das Schwerste schon überstanden und uns davon erzählt haben. Wie die Sache erscheint, haben Sie nichts zu bereuen und nichts zu fürchten, liebes Kind. Es wird sich für Sie alles auf das Schonendste arrangiren lassen. – Adieu, Kinder! – Kommen Sie, Hauptmann.“

„Da die Uhr schon sieben vorüber, war es wahrscheinlich, daß wir Sterning nicht mehr daheim, sondern auf der Harmonie finden würden, doch wollten wir der Sicherheit wegen in seiner Wohnung nachfragen, an der wir so wie so vorüber mußten. Als wir näher kamen, sahen wir seine Fenster aber hell und erfuhren von seiner Wirthin, daß er vor kaum fünf Minuten nach Hause gekommen sei. Er saß, da wir eintraten, in nachdenklicher Stellung im Sopha, stand, als er uns erkannte, auf und sprach, uns beiden die Hand bietend: „Seien Sie mir willkommen, meine Herren! Ich habe schon daran gedacht, Sie aufzusuchen, Herr Rath; nun ist’s desto besser. Was bringen Sie mir? denn ich seh’s Ihnen an, Sie kommen nicht zufällig.“

„Wir nahmen Platz, wir zündeten eine Cigarre an, und dann berichtete Huber so kurz und übersichtlich wie möglich das, was geschehn war. Er schloß auch hier mit den Worten: „Sie kennen Helmreich, glaub’ ich, ziemlich genau, lieber Sterning, und werden daher am besten wissen, ob etwas hierbei zu thun ist und wann und wie es geschehn muß. Entscheiden Sie.“

„Der Assessor hatte ihm mit gekreuzten Armen zugehört und fortwährend still vor sich hingesehn. Jetzt erhob er das Haupt, und indem ein ernster – ich möchte wieder sagen: stiller Blick aus seinem dunklen Auge zu Huber und mir herüberstreifte, versetzte er gedämpft: „das hat schon ein Anderer gethan.“ –

„Sie kommen zu spät, meine Herren,“ fuhr er fort. „Was Sie mir erzählen, war mir nichts Neues mehr. Aber es ist jetzt alles vorbei. – Hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe. Es bedarf keiner Geheimhaltung mehr – am wenigsten vor Ihnen Beiden. – Als ich heut Nachmittag vom Begräbniß kam, ging ich mit Helmreich zurück und trat mit ihm in seine Wohnung, um mir ein Buch mitzunehmen, das er mir zu leihen versprochen. Er suchte darnach umher, und als auch ich mich umschaute, sah ich auf seinem Schreibtisch einen Handschuh liegen, der nicht nur in der Farbe genau zu dem stimmte, den wir in Schenk’s Schlafzimmer fanden, sondern auch noch der linke war und obendrein ein paar ähnliche Schmutzflecke zeigte, wie jener. Diese Entdeckung bestürzte mich so sehr, daß ich meine Bewegung nicht ganz verbergen konnte. Da Helmreich das merkte, schützte ich einen plötzlichen Schwindel vor und ging, um mich in der Luft zu erholen, – getäuscht habe ich ihn damit freilich nicht. – Dann habe ich mit mir fast anderthalb Stunden gerungen, was ich thun sollte, wie ich meiner Pflicht und zugleich meiner Freundschaft am besten genügen könnte, – denn, meine Herren, Helmreich stand mir wirklich nahe, und wenn wir, seit ich hieher versetzt wurde, wenig mit einander verkehrten, so war dies nicht meine Schuld.

„So war die Uhr fast sechs geworden und ich eben zu dem Entschluß gekommen, ihn wieder aufzusuchen, offen mit ihm zu reden und nach Umständen zur Verhaftung zu schreiten, da brachte man mir“ – er stand auf und nahm vom Schreibtisch ein Papier, das er Huber hinbot – „folgenden Brief. Lesen Sie, meine Herren.“ – Er ging, während der Rath das Schreiben vorlas, im Zimmer auf und ab.

„Helmreick schrieb folgendermaßen in flüchtigen aber bis zum Schluß festen Zügen:

     „Lieber Sterning!

„Ich bekenne mich vor Dir als Mörder Schenk’s, ein Geständniß, das Dich seit heut Nachmittag nicht mehr überraschen wird. Als ich nach Deinem Weggehn den Handschuh sah, den ich heut Morgen nicht wieder eingeschlossen hatte, wurde mir Deine plötzliche Bestürzung sehr erklärlich. Der rechte muß also im „hohen Hause“ gefunden worden sein; ich werde ihn mit dem Tuch aus der Tasche gezogen haben, bemerkte aber erst am nächsten Morgen, daß er mir fehle, und meinte bisher, ich habe ihn wohl in der Straße verloren, wo ich das Tuch gleichfalls benützt.

„Also einmal überführt, mein Freund! – Zweitens aber weiß ich, daß in diesem Augenblick eine Dame, das einzige menschliche Wesen, das nach geschehener That über den Thäter keinen Augenblick im Zweifel sein konnte, bei dem Rathe Huber ist und, wie die Sachen einmal sind, und wie ich sie selber kenne, mich als den Mörder angiebt. Du wirst es also auch auf diesem Wege, freilich nur als Vermuthung, wahrscheinlich noch heute erfahren.

„Mein Freund, ich habe Jemand geliebt, wie ich es selbst von mir, mit meiner unendlichen Leidenschaftlichkeit und Heftigkeit, bis dahin nicht für möglich gehalten. Ich bin aufgegangen in dieser Liebe und ich bin durch sie untergegangen. – Ich hatte Hoffnung glücklich zu werden – nein, ich war schon glücklich, als ich Schenk weichen mußte. Von den Kämpfen, die darauf erfolgten, habe ich nicht zu reden. Genug, sie machten mich zu Zeiten fast wahnsinnig, und daß ich einen tödtlichen Haß auf Schenk warf, brauche ich Dir, der Du mich von Alters her kennst, wohl nicht erst zu sagen. – Bei der letzten Unterredung mit der Dame war sie hart gegen mich – ich sage nicht: zu hart; ich war außer mir und sinnlos – und ich ging mit einer Drohung von ihr, die sie vielleicht auf sich deutete. Denn sie verreiste. Ich hatte aber nur Schenk im Sinne. Ich hatte schon wochenlang eine That gegen ihn erwogen, und ich redete mir ein, daß ich dazu noch ein ganz besonderes Motiv erhalten habe. Die Dame hatte behauptet, daß diese Liebe – genug, mein Freund, es war mir wichtig, die Briefe zu lesen, die sie an ihn geschrieben; der Wunsch, diese Briefe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_062.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)