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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


zu besitzen, wurde zu einer Art fixen Idee bei mir. Und doch wußte ich nicht einmal, ob sie wirklich Briefe gewechselt, und ich wußte dagegen, daß ich zu ihnen nicht ohne ein Verbrechen gelangen könnte.

„Am Dienstag-Morgen sagte der Postmeister zu mir: „wenn ich wüßte, was die – sich mit Schenk zu schreiben hätte, würde ich glauben, der Brief hier sei von ihr. Es ist aber seit kurzer Zeit schon der dritte.“ – „Zeigen Sie ihn“ sagt’ ich. Er that’s. „Er ist nicht von ihr,“ sagt’ ich dann, er war’s aber, und in demselben Augenblick war Schenk’s Tod – ein ordinärer Diebstahl widerstand mir – beschlossen. Wie er herbeigeführt wurde, weißt Du. Ich bin fast im „hohen Hause“ erzogen und kenne jeden Winkel desselben und hatte auch die Lebensgewohnheiten seiner jetzigen Bewohner ziemlich genau erfahren. Die Waffe war ein dreieckiges Stilet mit einem Kreuzgriff von Metall. Als ich an sein Bett trat und ihn zum ersten Male traf, wandte er sich gerade erwachend um, und ich stieß fehl. Er erwachte vollends, mein zweiter Stoß mißglückte wieder; wir kamen zu einer Art von Ringen, bis ich, da seine Kräfte sanken, die rechte Hand frei bekam und ihm mit dem eckigen Griff den Schädel einschlug. – Dann suchte ich die Briefe und fand sie. Die paar Werthstücken und dergleichen habe ich mitgenommen, um den Verdacht von mir abzulenken, denn – ich war ruhiger geworden und schämte mich der That.

„Ich bin nicht feige, mein Freund, und ich glaube, Du legst mir es auch nicht als Feigheit aus, wenn ich mich all den Quälereien der Verhöre u. s. w. durch das Ende entziehe, das die Sache endlich doch haben würde. Die Uhr schlägt halb sechs – Du bist am Ende schon in Thätigkeit gegen mich. Ich will also eilen. – Wenn Du diese Zeilen liesest, ist Alles vorüber, und Du kannst nur noch eine gewisse Schonung gegen mein Andenken üben und die Untersuchung niederschlagen lassen. Daß Du die Dame schonst, wenn Du sie überhaupt entdeckst, brauche ich Dir nicht erst an’s Herz zu legen. Sie ist in Euerem Sinne nicht im Allerentferntesten betheiligt.

     „Lebe Wohl, alter Freund!

          R. Helmreich.“

„Der Assessor nahm, als Huber geendet, den Brief zurück und verschloß ihn. – „Ich eilte natürlich sogleich zu ihm,“ sprach er. „Es konnte seit dem Schluß des Schreibens wenig mehr als eine Viertelstunde vergangen sein, aber es war dennoch zu spät. Was er gebraucht hat, weiß ich nicht, allein er saß bereits todt in seinem Arbeitsstuhle vor dem Schreibtisch. So habe ich denn nur das Nöthigste angeordnet und war eben nach Hause gekommen, als Sie Beide eintraten.“

„Ich brauche wohl nicht erst zu sagen,“ bemerkte der alte Erzähler, „daß Huber und ich nach dieser Mittheilung sehr still waren und bald davongingen. – Ich bin fertig.“ Und er stand auf.

„Aber, Oberst,“ riefen wir, „das bricht ja gar zu plötzlich ab! Ist die Geschichte denn wirklich ganz zu Ende?“

„Na,“ versetzte er grämlich lachend, „ist denn dies plötzliche Ende etwa meine Schuld? Ich gab euch, was da war, ihr Narren. Circumflexe zu machen, die Historie nun noch schließlich breit zu treten, wie ein regulärer Bänkelsänger – das ist meine Sache nicht. Ich bin fertig, wiederhole ich.“

„Aber Anna Gering – die schöne Frau!“ rief Einer. „Was wurde aus ihr?“

„Weiß nicht, Schatz. Im großen Publicum ist meines Wissens ihr Name bei der traurigen Geschichte nicht genannt worden. Sie zog aber dennoch von E. bald darauf fort und ist mir aus den Augen gekommen. – Eins noch: Das „hohe Haus“ blieb nach diesem traurigen Fall wieder unverkauft und unbewohnt, Schenk’s Mutter bot es aus und zog gleichfalls davon und es ist leicht möglich, daß man ihm sogar heut noch nicht traut. –




Blätter und Blüthen.

Clara Erichs. Eine Holsteiner Erinnerung. Von Niew-Diep nach Stettin segelnd wurde unsere Brigg von einem heftigen Sturm überrascht, welcher uns zwang, in einer Bucht der Insel Aggeroe an der Südküste Norwegens vor Anker zu gehen.

Um elf Uhr des Nachts wurden Bemm, ein Wolliner, und ich zur Ablösung der Wache gepurt (geweckt). Auf Deck auf- und abgehend glaubte ich, in der Entfernung Jemand singen zu hören, ich machte Bemm darauf aufmerksam, wir horchten – richtig, ich hatte mich nicht getäuscht. Der Gesang kam näher, und ich konnte leicht die Melodie eines mir bekannten deutschen Liedes erkennen, ohne jedoch die Sängerin, eine solche mußte es nach der vollen und doch weichen Stimme sein, gewahr zu werden. Plötzlich sah ich eine weiße Gestalt hinter einem Felsblock hervortreten. Da ich wegen der Entfernung nur ihre Umrisse erkennen konnte, holte ich aus dem Windfang das Nachtfernrohr des Capitains und sah nun ihre Figur und Züge ganz deutlich. Es mußte eine Frau oder ein Mädchen in den zwanziger Jahren sein; ihre Erscheinung hatte aber etwas Gespenstiges, daß man sie eher für eine überirdische Erscheinung als für ein lebendes Wesen hielt. Ihr aufgelöstes, dunkles Haar contrastirte seltsam mit dem weißen, einem Leichentuch ähnlichen Gewande. Sie verstummte, knieete nieder auf den harten Felsen und schien eifrig zu beten. Gespannt die merkwürdige Erscheinung betrachtend, sah ich zwei Männer in der Tracht der Norweger Bauern auf sie zuschreiten. Kaum wurden diese von der Betenden bemerkt, als sie zu fliehen versuchte, sie sank aber, sei es aus Schreck oder Erschöpfung, zusammen. Die Männer traten rasch näher, wechselten in deutscher Sprache einige Worte, worauf der Eine das zusammengesunkene Weib aufrichtete, der Andere eine dunkle Decke oder Mantel über ihre Schultern hing, und Beide sie fortführten. Als sie hinter einem Felsblock meinen Blicken entschwanden, nahm ich mir vor, am nächsten Morgen zu forschen, wer und was es wohl gewesen. Meine Aufmerksamkeit war durch das Geschehene im höchsten Grade erregt.

Am folgenden Morgen erbat ich vom Capitain die Erlaubiß, an’s Land gehen zu dürfen. Den Weg verfolgend, welchen ich die Drei in der vergangenen Nacht gehen sah, gewahrte ich bald die Blockhäuser eines Bauernhofes. Ein zottiger, bösaussehender Hund war der Erste, welcher mir beim Betreten des Hofes eben nicht sehr freundlich entgegenkam, er machte sogar Miene, mich sein Gebiß näher kennen lernen zu lassen, als mir und meinen neuen Hosen lieb sein konnte. Noch frühzeitig genug wurde er von diesem Vorsatze abgebracht, ein Mann erschien auf dem Hof, brachte den zähnefletschenden Köter durch einen Pfiff zur Ruhe und kam mir freundlich grüßend entgegen, mich sogleich in’s Haus führend. Wie erstaunte ich, als ich anstatt der dunkelen räucherigen Stube eines Bauers ein mit Geschmack und Eleganz möblirtes Zimmer fand, wie man es wohl bei reichen Städtern gewohnt, das ich aber am allerwenigsten hier, in dem aus rohen Stämmen aufgeführten Haus erwartet hatte. Ich drückte darüber offen mein Erstaunen aus und bemerkte, daß sich der Besitzer des Hauses, da ihm die von der Natur wahrhaft stiefmütterlich behandelte Gegend so sehr wenig Erfreuliches biete, in diesem freundlichen und wohnlichen Raum um so glücklicher fühlen müsse. „So glücklich, wir sich ein Unglücklicher im Exil fühlen kann,“ antwortete er bitter lächelnd. „Im Exil?“ fragte ich erstaunt. „Ja, ja, im Exil, es ist mir schmerzlich, Vergangenes zu berühren, doch wenn Sie wünschen, erzähle ich Ihnen gern die traurige Geschichte, warum ich aus meinem Vaterlande verbannt wurde.“ Er holte aus einem Schrank eine Flasche, die, von der Etiquette auf den Inhalt zu schließen, Rheinwein enthielt, nebst zwei Gläsern und setzte sie auf den Tisch. Ich hatte hierbei Gelegenheit, ihn einige Augenblicke ungestört zu beobachten. Er war ein großer, kräftig gebauter Mann mit einem offenen, ehrlichen Gesicht, seine Tracht war die eines Norweger Bauers. Er schenkte die Gläser voll. „Lassen Sie uns,“ sprach er, „ehe ich erzähle, ein Glas auf Deutschlands Einheit trinken, die just meinem speciellen Vaterlande sehr nützen würde.“ Freudig stieß ich an auf diesen Toast und leerte mein Glas bis zur Nagelprobe. Als unsere Gläser auf’s Neue gefüllt, begann er:

„Mein Vater war Kaufmann in der holstein’schen Stadt S. Er lernte meine Mutter, eine Norwegerin, auf einer Geschäftsreise in ihrem Vaterlande kennen. Die Eltern meiner Mutter bewohnten dieses Gut und hatten außer ihr noch einen Sohn, der, als sie starben, das Gut übernahm. Meine Jugendjahre enthalten sehr wenig Bemerkenswerthes, weshalb ich sie übergehen will. Ich wurde zum Kaufmann herangebildet und übernahm, als der Tod meinen Vater abrief – meine Mutter war kurz nach meiner Geburt gestorben – dessen Geschäft. Da ich jetzt selbständig war und auch nothwendig der Hausfrau bedurfte, warb ich um die Hand meiner jetzigen Frau, welche ich noch bei Lebzeiten meines Vaters in Stettin kennen gelernt; sie beschenkte mich in dem ersten Jahre unserer Ehe mit einer Tochter, die mit zärtlicher Sorgfalt erzogen wurde. Clara, so heißt meine Tochter, wuchs heran, sie besuchte von ihrem vierzehnten Jahre an ein preußisches Pensionat, und als sie an ihrem achtzehnten Geburtstag in’s elterliche Haus zurückkehrte, waren wir über ihre vortheilhafte Veränderung erstaunt und erfreut; sie konnte als Musterbild eines schönen und gut erzogenen Mädchens auftreten. Meine Frau und ich waren stolz auf sie.

„Zwischen Clara und meinem Buchhalter entspann sich bald ein zärtliches Verhältniß. Er, ein armer, aber durchaus ehrlicher und braver Mann, hielt es nicht für recht, hinter meinem Rücken ein ernstes Verhältniß mit meiner Tochter einzugehen und erklärte sich mir, offen um Clara’s Hand werbend. Da ich ihn, durch jahrelanges Zusammensein, als ihrer Hand würdig kannte, gab ich von Herzen gern meinen Segen zu ihrer Verbindung.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_063.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2022)