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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

hinein bezechten alten Hauptmann, ergriff Trenck plötzlich am Arme.

„Heda, wohin wollt Ihr denn, alter Knabe? Ihr kommt ja nicht drei Schritte weit in dem Hofe vorwärts – Ihr seid ja so schwer betrunken, daß Ihr die Parole vergessen habt.“

„Ich? Die Parole?“ stammelte der Trunkene. „Wie werd’ ich … ich werde doch die Parole kennen!“

„Den Teufel kennt Ihr … so sagt sie einmal auf, wenn Ihr sie wißt?“

„Sohr und Engelszell!“ rief der Hauptmann triumphirend aus, „seht Ihr, daß ich’s weiß?“

„Wahrhaftig, Ihr wißt sie – nun so schiebt ab, so gut Ihr könnt, und lavirt in die Hölle, alter Esel … Hurrah für Sohr und Engelszell … das war eine Parole für Euren Ehrentag, Neffe Frohn – Sohr, wo der Trenck den Preußentönig überlistete, und Engelszell, wo der Frohn wieder den Trenck überlistete, den noch Keiner überlistet hatte … stoßt an, Frohn, Ihr sollt leben, und der Spielberg soll leben … es ist doch blos die Vorhalle zur Hölle und die Hölle selber noch lange nicht, und wenn’s auch die Hölle wäre, so sollen sie doch leben, und der Teufel, der darin regiert, und die Seelen, die darin braten – sie sollen Alle bis auf die Nagelprobe leben – trinkt doch, alter Kunde, Neffe, Spielbergteufel, Seelenbrater von einem Commandanten, für Sohr ein’s und ein’s für Engelszell … es ist der reine goldene Tokayer, kein Tropfen Gift ist d’rin. Freund Frohn, kein Tropfen von Deinem Gift!“

Frohn wehrte ruhig den mit einem vollen Glase auf ihn Eindringenden ab.

„Gehen Sie zur Ruhe, Oberst,“ sagte er, „Sie bedürfen der Ruhe!“

Der Oberst stürzte das Glas, welches Frohn zurückwies, hinunter; dann ließ er es zu Boden fallen, wankte wie ein schwer Betrunkener und schritt im Zickzack auf ein Sopha zu, welches unfern von ihm an der Wand stand. Er warf sich der Länge nach darauf und schien sich sofort dem Schlummer überlassen zu wollen.

Frohn ergriff ihn am Arm und schüttelte ihn.

„Sie müssen sich in Ihr Quartier zurückbegeben, Oberst Trenck!“

Der Oberst Trenck schlug mit den Armen um sich und lallte unverständliche Worte.

Frohn befahl nun den Dienern, die bei dem Mahle aufgewartet hatten, den Obersten unter die Arme zu fassen und in seine Zimmer zu bringen.

So wie jedoch die zwei Männer sich dem Schlummernden näherten, begann dieser mit Händen und Füßen um sich zu schlagen, wie ein Wahnsinniger; mit der Kraft eines Löwen schleuderte er Jeden zurück, der Miene machte ihn anzufassen, und begleitete solche Kraftproben mit einem gotteslästerlichen Fluchen; der Wein schien den alten Panduren in seiner ganzen Größe in ihm entwickelt zu haben.

Frohn fürchtete Agnes durch die Fortsetzung des Lärmens zu erschrecken. Er wollte um jeden Preis verhindern, daß sie nicht herbeigeeilt komme und ihren Oheim in dieser Situation erblicke – deshalb rief er die Diener zurück, mit dem Befehl, den Trunkenen in Gottes Namen liegen zu lassen. Eine Weile dann war er mit ihm allein in dem Gemache. Er stand mit untergeschlagenen Armen, mit gerunzelter Stirn vor ihm und ließ seine Augen forschend auf diesen grotesken, halb vom Weine flammend gerötheten, halb pulvergeschwärzten Zügen haften. Trenck lag da, mit geschlossenen Augen, mit halb geöffneten Lippen, mit schwerem und doch regelmäßigem Athemholen, mit allen Symptomen eines Schlafes, der aussah, als werde er ein paar Tage lang dauern.

„Es scheint, er hat genug und ist für diese Nacht unfähig, etwas zu unternehmen, wenn er es sich auch vorgenommen hat,“ murmelte Frohn endlich halb beruhigt zwischen den Zähnen; und dann ging er, um zu seiner jungen Gattin zu kommen.

Die Diener kamen noch einmal in den Saal, um die Geschirre und Reste des Mahles abzuräumen; Trenck lag während dessen wie todt da. Die Diener löschten die halb abgebrannten Lichter bis auf eines, das sie brennen ließen, aus und entfernten sich. Eine Stunde später war der Spielberg in seine gewöhnliche nächtliche Ruhe versenkt. Man vernahm nichts mehr, [als das?[WS 1]] Schreiten der Schildwachen auf den Höfen, das alle Viertelstunden sich erhebende und die Runde um die ganze Citadelle machende Geschrei der Wachen: „Alles gut!“ welches Niemanden mehr erweckte … und von Zeit zu Zeit aus den Verbrecher-Casematten her das Klirren einer der Fußketten, womit diese an ihre langen Stangen angeschmiedet waren. – Noch eine Stunde verfloß; das Licht in dem Salon, welches den trunkenen Schläfer auf dem Sopha beleuchtete, war dem Erlöschen nahe. Der Oberst von der Trenk hob langsam den Kopf auf. „Wir haben nur noch für zehn Minuten Licht!“ murmelte er. „Es wird Zeit!“ Dann lauschte er einen Augenblick. „Es ist Alles still! Die Neuvermählten haben sich und die Welt vergessen. Nun, an den Trenck sollen sie morgen früh genug erinnert werden!“ Dabei erhob er sich leise, kniete vor dem Sopha nieder, auf dem er gelegen hatte, und zog unter demselben ein ansehnliches Bündel hervor. Als er es auseinanderschlug, nahm er einen Officiersdegen, zwei Pistolen, eine Militairmütze und ein Bund Schlüssel heraus, schnallte den Degen um, steckte die Pistolen zu sich in die Brusttasche seines Uniformrocks und warf die Hülle des Bündels um seine Schultern; es war ein weiter Militairmantel mit rothem Kragen. Das Bündel Schlüssel nahm er in seine Hand, ergriff dann das Licht, setzte die Mütze auf und verließ mit behutsamen Schritten das Gemach. Draußen gelangte er durch ein Vorzimmer in den Treppenraum, schritt die Stiegen hinab und kam unten in den Flur vor der großen Hausthüre. Links neben dieser lag die Stube, worin sich die Ordonnanzen aufhielten. Nichts rührte sich drinnen, Trenck konnte unaufgehalten beim Schein seines verflackernden Lichts, das er auf den Boden gestellt hatte, den rechten Schlüssel aussuchen, die Thür öffnen und, das Licht zurücklassend, in den Hof hinaustreten. – Er trat jetzt frei und ohne die bisherige Scheu, Geräusch zu machen, auf.

Die Schildwache, welche vor der Thüre stand, streckte ihm das Bajonnet entgegen.

„Halt! Wer da?“ rief der Mann aus.

„Ich bin’s, mein Freund, der Commandant, Oberstwachtmeister von Frohn.“

„Parole!“

„Sohr und Engelszell! Da hast Du die Parole! Jetzt pack’ Dich aus dem Wege!“

„Passiren der Herr Oberstwachtmeister!“ sagte der Mann und stellte sich, um die Honneurs[WS 2] zu machen, neben sein Schilderhaus.

Trenck ging weiter, quer über den Hof. Die Nacht war ziemlich sternenhell, der Himmel nur theilweise umwölkt: wer mit der Oertlichkeit bekannt war, konnte sich ohne Schwierigkeit zurecht finden. Der Oberst wandte sich einem Winkel des Vierecks zu, welche die den Hof umstehenden Gebäudetheile bildeten; hier, zwischen zwei dieser Gebäude ansteigend, führte ein Weg auf den Wall der Citadelle. Vor dem Aufgange zwischen jenen beiden Gebäuden war ein zweiter Posten zu passiren. Dieselbe Scene, welche bei der ersten Schildwache gespielt, wiederholte sich bei der zweiten. Der Mann, der Trenck das Bajonnet vorhielt und bald wieder schulterte, konnte keine Ahnung haben, daß Jemand anderes vor ihm stehe, als die hochgewachsene, stattliche Gestalt des Commandanten, der selbst in seiner Brautnacht nicht unterließ, seine Wächterrunde durch die seiner Obhut befohlene Veste zu machen.

Und in der That, selbst in seiner Brautnacht hatte der Commandant die Pflichten seines Amtes nicht vergessen. Er hatte seinen Gefangenen viel zu scharf beobachtet, um nicht Argwohn zu fassen, und dieser Argwohn hatte ihn nicht ruhen lassen. Während Trenck kecken Muths den Weg zum Wall hinanschritt, während er schon die Lust der Freiheit zu athmen glaubte, während deß erhob sich Frohn leise von der Seite der still schlummernden jungen Frau, leise warf er seine Kleider, seinen Mantel um, nahm die Schlüssel der Festung vom Nachttisch, wo sie ruhten, und verließ unhörbar das Schlafzimmer.

Er trat in den Salon; es war völlig dunkel in demselben. Frohn blieb stehen, um auf das Athmen des Schläfers, den er auf dem Sopha liegend wußte, zu horchen; er vernahm keinen Laut, erschrocken tappte er sich dem Sopha näher – er streckte die Hand aus, um es zu betasten; aber noch bevor er es berührt hatte, erkannte sein die Dunkelheit durchdringendes Auge, daß es leer war!

„Ahnt’ ich’s doch, daß Alles nur Spiel und List war!“ rief er aus. „Der Oberst ist fort – heda, Leute, – Ordonnanzen – Licht her!“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Zwei Worte unleserlich
  2. Vorlage: Honueurs
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_066.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)