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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

deutschen Volkes zählt. Gegen die Bezeichnung „unsterblich“ dürfte vielleicht mancher Aristokrat der Literaturgeschichte sich empören, denn auch hier herrschen Standesunterschiede und ähnliche alberne Vorurtheile leider noch in Menge. Mag dies die Ruhe des Todten nicht stören! wie viele jener verbrieften Unsterblichen leben, längst vergessen, nur noch im Staube der Bibliotheken fort! er aber bleibt ein Unvergeßlicher gleich Jedem, der den Weg zum Herzen des Volkes gefunden.

Ferdinand Raimund wurde am 1. Juni 1790 zu Wien geboren. Der Sohn eines wenig bemittelten Drechslermeisters, genoß er einen für seine Verhältnisse guten Unterricht und ward alsdann zu einem Conditor in die Lehre gebracht. Der aufgeweckte Knabe hatte jedoch schon frühzeitig eine heftige Leidenschaft für den Beruf der Menschendarstellung empfunden, die mit den Jahren und den ihr entgegentretenden Hindernissen zu solcher Unbezähmbarkeit anwuchs, daß der Zuckerbäcker wider Willen eines Tages seiner süßen Beschäftigung entlief. Den angehenden Schauspieler, der 1808 zum ersten Male als „politischer Zinngießer“ in Preßburg auftrat, begrüßte das ganze Haus mit einem so entsetzlichen, einstimmigen Pfeifen, daß er den Muth verlor, zum zweiten Male sich zu zeigen. Schlimmeres widerfuhr ihm bei einigen Wandertruppen niedrigster Gattung, die in Wirthshäusern und Scheunen innerhalb der Bannmeile Wien’s gaukelten; auf die roheste Weise ausgezischt und verhöhnt, kam er plötzlich zur Besinnung und Einsicht, daß außer dem besten Willen Alles ihm noch fehle. Auch auf einen ungemein störenden Sprachfehler, der ihm zunächst jene Mißhandlungen zugezogen, ward er jetzt erst achtsam und bekämpfte diese Schwierigkeit mit so ausdauerndem Eifer, daß er binnen kurzer Frist sie bemeistert hatte. Durch fast undenkbare Entbehrungen ermöglichte er es, wieder eine Zeit lang in seiner Vaterstadt sich aufzuhalten und das Burgtheater jeden Abend zu besuchen, an welchem Ochsenheimer spielte. Diesen berühmtesten Charakterdarsteller seiner Zeit, den großen Vorläufer des größeren Ludwig Devrient, ahmte Raimund noch lange, sogar in allen Unarten, mit sclavischer Unterwerfung nach, bis er endlich das Feld gefunden, das er selbstschöpferisch als unerreichter Meister behauptet hat. Natürlich entschied er sich auch für das Fach seines Vorbildes, und so kam es, daß Raimund sein schönes, gewinnendes Aeußere und den reichen blonden Lockenschmuck nur sehr selten unentstellt auf den Bretern zur Geltung brachte, er hatte sogar eine Abneigung gegen jugendliche Rollen. Nach den gewissenhaftesten Vorbereitungen trat Raimund zu Anfange des Jahres 1811 als Mitglied der Kunz’schen Gesellschaft in Oedenburg auf. Er spielte den Gottlieb Koke in Ziegler’s damals sehr beliebter „Parteienwuth“, einen Bösewicht der jetzt ganz abgestorbenen, allerschwärzesten Sorte, mit ungetheiltem Beifall und sechsmaligem Hervorruf. Glühende Begeisterung und ein ihr entsprechendes unermüdliches Streben ließen ihn schnelle Fortschritte machen, und als er 1813 nach Wien an das Theater in der Josephstadt berufen ward, sicherte er sich schon durch seine ersten Rollen, Franz Moor und Pachter Feldkümmel, die allgemeinste Theilnahme, die ihn seitdem bei jedem seiner Schritte auf und außer der Bühne in steter Steigerung begleitete.

Wien hatte damals ein ganz eigenthümliches, scharf ausgeprägtes Volksleben, das gebieterisch auch nach einem Ausdruck auf der Bühne verlangte. Erzeugt und jubelnd empfangen von der allgemeinen Stimmung und schnell emporgehoben durch das glückliche Zusammentreffen aller Umstände, entstand das Localstück und gelangte sofort zu anerkanntester Herrschaft. Bäuerle, Gleich, Meisl und Perrinet, Dichter mit glücklichen Einfällen und von einer Fruchtbarkeit, die selbst den bis dahin alleinherrschenden Kotzebue zur Eifersucht bringen mußte, verursachten eine wahre Sündfluth von Possen, Schwänken und Parodieen. Die Breter des Leopoltstädter und Josephstädter Theaters, welche im Besitze der Brüder Leopold und Joseph Huber alsbald die beliebtesten Volkstheater wurden, wimmelten von betrunkenen Zauberern und liederlichen Feen, zu deren Gunsten der damalige Geschmack mit besonderer Vorliebe sich erklärt hatte. Bald schlug auch Raimund’s Stunde. Den allgemeinen Anforderungen entsprechend, ließ er sich von Gleich zu seiner Einnahme ein Localstück liefern: „Die Musikanten am hohen Markte“ und spielte darin den Adam Kratzerl, einen verkommenen Vorstadtgeiger, mit so durchschlagender Wirkung, daß der Dichter noch vier Theile zu dieser Posse hinzu schreiben mußte, um die unersättlichen Wiener zu befriedigen. Dadurch ward Raimund zur Erkenntniß seines wahren Berufes gebracht und die deutsche Bühne um einen Komiker bereichert, wie sie ihn zum zweiten Male nicht wieder besessen. Am 22. Februar 1817 betrat er zuerst die nach ihm begierige Leopoldstadt als Adam Kratzerl in „der Pudel als Kindsweib“ und theilte mit seinem zum vollendeten Künstler abgerichteten „Fripon“ überreiche Lorbeern; noch in demselben Jahre ward er dauernd gewonnen. Als der Besitzer bald darauf zu Grunde gegangen, kam das Theater unter die Verwaltung einiger kunstsinnigen Männer, deren einsichtsvollen Bemühungen es gelang, eine Volksbühne herzustellen, die alles Aehnliche vorher und bis auf den heutigen Tag in Schatten stellt. Alle vereinzelten Kräfte wurden hier zu glänzendster Gesammtwirkung vereinigt. Neben Raimund, dessen Volksthümlichkeit von Tag zu Tage wuchs, wetteiferten der übermenschlich lange Korntheuer und der kleine verwachsene Ignaz Schuster, dieser unter anderen ein ganz besonderer Liebling, Friedrich Wilhelm’s III. von Preußen und jedes Jahr von dem mürrischen, schwer zu erheiternden Herrn während dessen Badeaufenthaltes nach Teplitz berufen, Johanna Huber, von ihren Zeitgenossen „die Sophie Schröter des Localstückes“ genannt, und vor allem Therese Krones. Wenige Jahre vorher hatten die gutmüthigen Wiener ein vierzehnjähriges Dirnchen unbarmherzig ausgezischt, weil es mit unbeschreiblicher Zuversichtlichkeit gewagt hatte, durch grundfalschen Gesang die Ohren in der Josephstadt zu zerreißen, und jetzt lag die gesammte Kaiserstadt wonneberauscht zu den Füßen des erblühten Mädchens. Mehr üppig als schön, keine Künstlerin, aber eine durch und durch ursprüngliche, unwiderstehlich mit sich fortreißende Natur, jedes Maß, selbst in der Keckheit, überschreitend, Alles begehrend und Nichts versagend, am wenigsten sich selbst, so war Therese Krones. Von Raimnnd „die Essenz aller Lustigkeit“, „der personificirte Humor“ getauft, gipfelte sich in ihr aller Leichtsinn, alle Genußsucht des berühmten „alten, gemüthlichen Wien’s“. Zwangloser Scherz, ungebundene Ausgelassenheit hatten in den Mauern der Kaiserstadt ein buntbelebtes Feldlager aufgeschlagen, das bald in neue, freudige Aufregung versetzt ward.

Bisher hatte Raimund wohl hie und da schon Einlagen und Wiederholungsverse für seine Rollen sich gedichtet, noch niemals aber seine unverkennbare Begabung, trotz mannigfachen Anrathens an etwas Größerem, Selbständigem versucht. Abermals war es sein Benefiz, das ihn zur Erkenntniß seines Berufes brachte. Meisl sollte ihm das Stück dazu schreiben und hatte die Bearbeitung des Wieland’schen Märchens „die Prinzessin mit der langen Nase“ versprochen, auf das ihn Raimnnd dringend aufmerksam gemacht. Er konnte sein Wort nicht halten, und der Schauspieler, dessen sachkundiger Blick die große Dankbarkeit des Stoffes richtig erfaßt hatte, ward aus Noth sein eigener Dichter. Am 18. December 1823 ward „der Barometermacher auf der Zauberinsel“ mit rauschendem Beifall aufgenommen und zauberte ununterbrochen noch viele Abende lang ganz Wien in die unzureichenden Räume der Leopoldstadt. Für einen ersten Versuch war das Gelingen fast wunderbar. Raimund hatte sogleich all seine Vorgänger übertroffen durch die Tiefe seines Humors, sein wahrhaft dichterisches Feuer und die Gediegenheit der gesammten Schöpfung, welche jene flachen, auf den gedankenlosen Lachkitzel berechneten Erzeugnisse des flüchtigen Augenblickes weit hinter sich zurückließ. In seinen kühnsten Erwartungen übertroffen und dadurch mächtig angespornt, bearbeitete er nun ein Märchen der tausend und einen Nacht und brachte am 17. December 1824 den „Diamant des Geisterkönigs“ zur Aufführung, das dem Dichter und Darsteller verschwenderische Ehren einbrachte. Er spielte den Florian, und Therese Krones war seine Mariandel, so hinreißend, daß ihr auf allen Straßen nachgejubelt ward:

„D’ Mariandel ist so schön,
D’ Mariandel gilt mir All’s,
Und wenn ich’s nur erwischen kann,
Fall’ ich ihr um den Hals.“

Raimund’s ungewöhnliche Erfolge und die theilweise vielleicht auch ausschreitenden und ungeschickten Huldigungen, mit denen man ihn überschüttete, erweckten ihm nach dem Laufe der Dinge aus eifersüchtigen Neidern hämische Tadler und böswillige Feinde. Abgesehen von einem einfältigen Gerüchte, welches ihn nur als den vorgeschobenen und dagegen einen Prediger Wimmer als den wahren Verfasser jener Stücke bezeichnete, fanden seine Angreifer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_086.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)