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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

die Thiere mir blos noch hundert Schritte näher zu kommen, – da krachte Erik’s Büchse. Das Rudel schreckte, zog ängstlich hin und her, sicherte und wurde endlich flüchtig. Ein Stück lahmte und trennte sich von den andern. Es war stark aber nicht tödtlich verwundet und suchte so gut als möglich zu entrinnen. Zu meiner Freude kam es dabei mir gerecht; ich schoß und sah es im Feuer Zusammenstürzen. Auf diesen zweiten Knall zog das flüchtige Rudel quer durch Sumpf und Moor dem höheren Gebirge zu und war alsbald unseren Blicken entschwunden.

Jetzt sprangen wir freudig empor und reckten und dehnten die gleichsam gelähmten Glieder; dann eilten wir nach der erlegten Beute hin. Erik’s Kugel hatte den Vorderlauf zerschlagen; die meinige war genau auf das Blatt gekommen. Wir weideten das Wild aus, schnitten uns den Vorderlauf ab, wühlten in der Halde eine Grube aus, legten das Thier in dieselbe und deckten es sorgfältig mit Steinen zu, um unseren früheren Mitjäger nicht zu versuchen. Nun nahmen wir einen kräftigen Imbiß ein und traten hierauf unseren Rückweg an. Nach fast vierstündiger Wanderung erreichten wir todtmüde Fogstuen.

Am andern Morgen zog Erik mit einem Pferde aus, um die Jagdbeute heimzuschaffen. Er sah das Kalb des Altthieres auf dem Sterbefelde seiner Mutter, von dem übrigen Rudel aber keine Spur mehr.

Ich war noch am folgenden Tage gliedersteif, gleichwohl aber zog es mich wieder in die Berge. Deshalb gingen wir gegen Abend von Neuem auf die so anziehende Jagd. Drei Tage lang mühten wir uns ohne Erfolg; allein nur das Regenwetter, welches eintrat, konnte uns zurücktreiben. Wir durchwanderten viele Meilen und drangen bis in das innerste Gebirge vor. Dabei sahen wir über hundert Rennthiere in verschiedenen Rudeln, und ich konnte so ganz nach Wunsch beobachten. Aber ich denke, daß es besser sein wird, wenn ich das Ergebniß meiner Erfahrungen erst später, bei Gelegenheit der Beschreibung des Rennthieres, berichte.





Spohr.

Wie die hohe, edle, imposante Gestalt in ihrer plastischen Ruhe hier abconterfeit ist, so stand der große Meister – man braucht sich nur das Hauskäpplein wegzudenken – in seinen Concerten vor dem Publicum. Tausende und Abertausende hat er durch den wunderbaren Zauber seines Geigenspiels und seiner gediegen schönen Compositionen aus der gemeinen Wirklichkeit in eine ideale Welt erhoben, Geistern und Herzen die entzückendsten Stunden bereitet. – Wir theilen einige Notizen über ihn aus seiner vor Kurzem erschienenen Selbstbiographie mit, der wir den weitesten Leserkreis wünschen, da sie sich nicht allein reizend gleich einem guten Roman liest, sondern viel reiche Belehrung über Kunst und Künstlerthum gewährt.

Spohr wurde am 5. April 1784 zu Braunschweig geboren, wo sein Vater als Arzt prakticirte. Die Familie zog nach zwei Jahren nach Seesen. Vater und Mutter waren musikalisch. Da sie sehr oft des Abends musicirten, so wurde der Sinn und die Liebe zur Tonkunst schon früh in dem Knäblein geweckt. Es wurde ihm auf einem Jahrmarkt eine kleine Geige gekauft, und damit war die Richtung seines Lebens entschieden. Der Vater hatte ihn eigentlich zum Studium der Medicin bestimmt, gab aber der Neigung des Sohnes zur Musik nach, ließ ihm Unterricht auf der Violine geben, so gut er in Seesen zu haben war, und schickte ihn nach der Confirmation nach Braunschweig, wo er bessere Lehrer fand. Er machte reißende Fortschritte, und so sendete ihn der Vater im Alter von vierzehn Jahren allein nach Hamburg, um sein Brod als Virtuos selbst zu verdienen. Der Alte hatte sich in der Jugend kühn durch die Welt schlagen müssen und glaubte, das müsse jeder junge und kräftige Mensch auch können. Die Sache mißlang; der Knabe kam nicht zum Spiel und mußte, da das Reisegeld auf die Neige ging, zu Fuße nach der Heimath wandern. In Braunschweig angekommen, richtete er eine Bittschrift an den Herzog um Unterstützung seiner weiteren musikalischen Studien. Sie wurde gnädig aufgenommen, er durfte sich vor dem Hofe produciren und wurde hierauf in die Kapelle aufgenommen. Im Jahr 1802 machte er als Schüler des berühmten Violinspielers Eck mit diesem die Reise nach Petersburg. Seine erste größere Kunstreise durch Deutschland fällt in das Jahr 1804. Was er als Virtuos und Componist bereits zu dieser Zeit, in seinem zwanzigsten Jahre gewesen, davon giebt die Anzeige des Auftretens in Leipzig durch die dortige Allg. musikal. Zeitung ein überraschendes Zeugniß. Rochlitz schreibt: „Herr Spohr gab am 10. December 1804 zu Leipzig ein Concert und auf Aufforderung Vieler am 17. ein zweites; in beiden aber gewährte er uns einen so begeisternden Genuß, als außer Rode kein Violinist uns gewährt hatte, so weit wir zurückdenken können. Herr Spohr gehört ohne allen Zweifel unter die vorzüglichsten jetzt lebenden Violinspieler, und man würde über das, was er, besonders noch in so jungen Jahren, leistet, erstaunen, wenn man vor Entzücken zum kalten Erstaunen kommen könnte. Seine Concerte gehören zu den schönsten, die nur vorhanden sind, und besonders wissen wir dem aus D moll durchaus kein Violinconcert vorzuziehen, sowohl in Hinsicht auf Erfindung, Seele und Reiz, als auch in Hinsicht auf Strenge und Gründlichkeit“ etc. Weiterhin heißt es: „Herr Spohr kann Alles! Was vorerst Richtigkeit des Spiels in weitester Bedeutung heißt, ist hier, gleichsam als sicheres Fundament, nur vorausgesetzt; vollkommene Reinheit, Sicherheit, Präcision, die ausgezeichnetste Fertigkeit, alle Arten des Bogenstrichs, alle Verschiedenheiten des Geigentons, die ungezwungenste Leichtigkeit in der Handhabung von diesem Allen, selbst bei den größten Schwierigkeiten – das macht ihn zu einem der geschicktesten Virtuosen. Aber die Seele, die er seinem Spiele einhaucht, der Flug der Phantasie, das Feuer, die Zartheit, die Innigkeit des Gefühls, der feine Geschmack, und nun seine Einsicht in den Geist der verschiedensten Compositionen und seine Kunst, jede in diesem ihren Geiste darzustellen, das macht ihn zum wahren Künstler.“

Wir haben den kleinen Artikel vollständig wiedergegeben, weil er in prägnantester Kürze alle Vorzüge Spohr’s als Virtuos und Componist auf’s Treffendste schildert, und weil diese wenigen Zeilen zugleich den glücklichsten Einfluß auf des Künstlers ganze künftige Laufbahn ausübten. Denn mit diesem Urtheil, von einer Stadt ausgehend, die damals mit vollem Recht unter die ersten Autoritäten in Sachen der Kunst zählte, war der Ruf des bis dahin fast noch ganz unbekannten jungen Mannes plötzlich weithin verbreitet worben. Von diesem Augenblick an war Spohr anstatt ein demüthig um Gehör sollicitirender überall ein mit Spannung erwarteter, ja oft schon im Voraus aufgeforderter Concertgeber, dem überall Auditorien und reiche Einnahmen nicht mehr fehlen konnten.

Die Folgen davon äußerten sich nun auch in anderen Beziehungen. Schon 1805 erhielt er die Stelle des Herzogl. Concertmeisters zu Gotha. Spaßig ist, wie er dort die erste Bekanntschaft mit seiner nachherigen Gattin machte. In einem Concerte, welches er in der Stadt gab, saßen in der ersten Zuhörerreihe zwei junge Mädchen, wovon das eine bei Spohr’s Auftreten, erstaunt über seine lange und schlanke Gestalt, wohl lauter als sie wollte, ausrief: „Siehe doch, Dorette, welch eine lange Hopfenstange!“ Diese Dorette war eine bedeutende Virtuosin auf Harfe und Pianoforte und die Tochter der Gothaischen Hofsängerin Scheidler. Bei einem Besuche, den der junge Concertmeister der Mutter machte, erröthete Dorette in der Errinnerung an jene Aeußerung ihrer Frenndin, und – die künftige Verbindung war eingeleitet. Dorette wurde Spohr’s Gattin. Er schrieb mehrere herrliche Stücke für Harfe und Violine, mit welchen das Künstlerpaar auf seinen vielen Kunstreisen durch Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich, England und Italien überall enthusiastischen Beifall erntete. Zwischen diese Reisen fallen zeitweilige Anstellungen Spohr’s als Kapellmeister in Wien und Frankfurt a M. Dann privatisirie er ein Jahr in Dresden, worauf er eine lebenslängliche Anstellung als Kapellmeister in Cassel annahm.

Dies war der Virtuose Spohr. Ebenso früh aber wie das virtuose hatte sich in Spohr das schaffende Talent geregt, und mit demselben Eifer und außerordentlichem Fleiße wie jenes hatte er auch dieses ausgebildet -– im Ganzen mit gleichem Glück und Erfolg. Er schuf eine Menge Duette, Quartette, Quintette etc.,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_091.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)