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welche sich würdig an die Seite der Haydn’schen, Mozart’schen und Beethoven’schen anreihten und die Freunde der Kammermusik beglückten. Ebenso vermehrte er das Repertoire der Concertanstalten durch echt schöne, gediegene und originelle Symphonien. Weniger glücklich war er mit seinen ersten Oratorien und Opern, da ihm zu ersteren die tieferen contrapunktischen Studien, zu letzteren die genauere Kenntniß der Singstimme abgingen. Aber mit eisernem Fleiße holte er das Fehlende nach, und bald kamen auch auf diesen Gebieten echte Meisterwerke von ihm zum Vorschein, wie u. A. das Oratorium „die letzten Dinge“ und die Opern „Faust“, „Zemire und Azo“ und „Jessonda“ bezeugen. Der Charakter seiner Werke spricht sich aus durch Schönheit, Gediegenheit, Klarheit, tiefen Seelenausdruck und Adel des Styls.

Spohr im Jahre 1838.

Als Dirigent war Spohr ebenfalls höchst tüchtig. Nicht allein stand er fest und sicher vor seiner gewohnten Kapelle, er wußte sich auch bei jedem fremden Orchester, und selbst bei jenen aus den verschiedensten und oft heterogensten Elementen zusammengesetzten Massen, wie sie die großen Musikfeste zusammenführten, gleich das Vertrauen auf seine sichere Führung zu erwerben, und überall die befriedigendsten Erfolge dadurch zu gewinnen. Nicht minder ausgezeichnet hat er sich als Lehrer erwiesen, daher die Schüler ihm von allen Seiten zuströmten; die bedeutendsten Violinvirtuosen nach ihm sind a. seiner Schule hervorgegangen. Endlich darf man ihm auch als Schriftsteller eine nicht gewöhnliche Begabung und Ausbildung zugestehen; die Beweise dafür geben seine in der Allgem. musik. Zeitung gelieferten Briefe und Berichte aus Paris und Rom, so wie seine Selbstbiographie. So vielseitig war seine Begabung, deren glänzende Ausbildung nur durch einen unerhörten Fleiß möglich war; allerdings wurde er darin durch einen äußerst kräftigen und stets gesunden Körper unterstützt, den er sich durch unausgesetzte Leibesübungen und ein mäßiges Leben zu erhalten wußte.

Zu den schönen Eigenschaften des Künstlers gesellten sich alle Tugenden des Menschen. Spohr war im vollsten Sinn des Worts ein edler, sittlicher Charakter, und der Lohn dafür – eine zufriedene Existenz. Genie ohne Sittlichkeit kann wohl großen Ruhm, aber niemals innere Zufriedenheit verschaffen.

Ganz ohne irdisches Leid das Leben zu durchwandeln, ist indessen keinem Sterblichen beschieden. Auch Spohr trafen einige harte Schicksalsschläge. 1834 wurde ihm seine Gattin durch den Tod entrissen; und als er später durch eine zweite Heirath sein häusliches Gluck hergestellt zu haben glaubte, starb ihm seine Tochter Therese, ein neunzehnjähriges blühendes Mädchen. In solchen schweren Zeiten suchte er, wie Goethe, die schmerzlichen Eindrücke durch vermehrte geistige Thätigkeit zu überwinden. Manche Unannehmlichkeiten scheint ihm auch seine politische Gesinnung herbeigerufen zu haben. „Wie allen hohen edlen Seelen“ – heißt es in der Vorrede zu seiner Biographie – „war ihm die Unredlichkeit, das Abweichen vom Gesetzmäßigen in den Tod zuwider. Seine bekannte Hinneigung zur liberalen Seite, die ihm wohl von oben her zum Vorwurfe gemacht ist, war eine natürliche Folge davon. So haßte er unverhohlen die Willkür, den Druck, die Verfolgung und suchte ihnen um der guten Sache willen überall nach Kräften entgegen zu treten, ja er sprach sich wenigstens, wenn er nicht dagegen ankämpfen konnte, ohne Scheu und im Innersten entrüstet darüber aus.“ Da mochte es denn auch wohl Niemand in Cassel überraschen, als er im November 1857 plötzlich gegen seinen Wunsch pensionirt wurde und zwar mit einer geringeren Summe als der, an welche er hätte Anspruch machen können.

Das letzte Jahr seines Lebens verbrachte er in einer traurigen körperlichen und geistigen Lethargie, in welche ihn Altersschwäche, vor Allem aber die Folge eines Armbruches 1857 versetzt hatten, und aus welcher er sich nur für Augenblicke erheben konnte. Er wünschte daher seinen Hingang sehnlich herbei, und als das Stündlein kam – am 23. October 1859 – ist er mit dem Ausdrucke der größten Zufriedenheit in seinen schönen, edlen Zügen entschlafen.

Spohr wird in der Musikgeschichte fortleben als Muster eines echten großen Künstlers und edlen Menschen. Er hat in seinem ganzen Leben keine einzige gemeine Notenzeile hingeschrieben und keine einzige gemeine Handlung begangen.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_092.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)