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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


Das Leben einer Frau.

Von R. Godin

Eine laue, wohlige Julinacht voller Sterne breitete ihre Dämmerung über eine Gegend aus, die dazu geschaffen schien, in dieser zitternden Beleuchtung gesehen zu werden. An der fernen Grenze des Horizontes blitzte zuweilen ein flüchtiges Wetterleuchten auf und erhellte mit seinem ungewissen Strahle eine einzeln stehende Mühle, deren Hintergrund, eine hohe, von dunkelgrünen Fichten bekränzte Felswand von rother Färbung, sich scharf von dem hellen Firmamente abzeichnete. Eine hochgewölbte steinerne Brücke, die auf einer Seite ihren Stützpunkt auf dem Felsen hatte, aus dessen Spalten wucherndes Gesträuch hervordrang und sie mit phantastischem Gezweige schmückte, hob sich über den rauschenden Bergstrom, der die Räder der Mühle trieb. Mit Hast wälzten sich seine bewegten Wellen hinab in das anmuthige Thal, das sich vor einem Landhause mit eleganter Façade ausbreitete. Vom Strahl des Mondes versilbert, leuchtete dies freundliche Gebäude hell aus der Mitte eines sorgfältig gepflegten Gartens hervor, dessen tausend Blumen sich neigten und wiegten, als wollten sie mit den Sternen Grüße tauschen.

Als ob dies einsame Haus zu der Berauschung, die über der duftenden Sommernacht schwebte, einen neuen Reiz fügen wollte, öffnete sich plötzlich die Glasthüre, die auf den Balcon von Gußeisen führte, und es erschien die Gestalt einer jungen Frau, die hastig unter die blühenden Oleanderbäume trat, die den Balcon zu einer kleinen Laube umschufen. Das Mondlicht enthüllte, indem es auf ihr reizendes Gesicht fiel, den Ausdruck eines leidenschaftlichen Schmerzes, der mit dem Frieden der stillen Landschaft einen grellen Contrast bildete. Sie sank achtlos auf den Sammtsessel und barg ihr bleiches Gesicht in beide Hände; erst die schweren Thränen, die langsam durch ihre schlanken Finger glitten, weckten durch ihre brennende Berührung die junge Frau aus ihrer Betäubung auf.

„Nein, ich darf ja nicht weinen,“ sagte sie leise vor sich hin, „man würde mich fragen, warum?“ Sie fuhr wiederholt mit der Hand über die brennende Stirn und wandte sich, mit gewaltsamer Anstrengung Ruhe erzwingend, wieder der Balconthüre zu. Der erste Blick, den sie auf die Scheiben warf, ließ sie jedoch auf’s Neue zusammenzucken und hielt sie wie festgebannt.

Und doch war das Bild, das sich ihren Augen bot, friedlich und anlockend. Der große Salon trug den Charakter jener absichtslosen Eleganz, die dem höchsten Comfort auch Grazie giebt. Ueberall waltete der Hauch eines wohlthuend guten Geschmackes, und eine Fülle von Blumen vereinigte sich mit trefflicher Beleuchtung, um diesen Raum höchst wohnlich zu machen.

Neben einem geöffneten Fenster, zu dem sich mächtiger Epheu wie ein Vorhang hineindrängte, stand ein Spieltisch, von dessen Inhabern drei, wie es schien, mehr damit beschäftigt waren, ein heiteres Gespräch zu führen, als den Karten in ihrer Hand zu folgen. Besonders schien ein etwas corpulenter Fünfziger in eifriger Verhandlung mit der gegenüber sitzenden Dame, die in ihrem lebendigen Gesicht einen angenehmen Ausdruck herzlicher Heiterkeit trug; die zweite, ältere Dame schien diesem Gespräch mit Antheil zu folgen, während der Vierte der Partie, ein langer, magerer Herr, mit einem starken Ausdruck von Mißvergnügen, die Brille auf seiner spitzen Nase zurecht rückte und mit steigender Ungeduld auf die müßig ruhenden Karten blickte.

In der Mitte des Zimmers stand ein großer Flügel, dessen volle Töne schon seit einiger Zeit unter der Hand eines jungen Mädchens erklangen. Jetzt wanderten die rosigen Finger zerstreut auf den Tasten umher, während ihr hübsches Gesicht einem jungen Manne in Uniform zugewendet war, der sich auf den Flügel lehnte und lebhaft mit ihr plauderte. Sein ausdrucksvolles Gesicht wäre vollkommen schön gewesen ohne den Zug bitterer Ironie, der häufig die feinen Lippen umgab und den sonst edlen Zügen eine unbeschreibliche Härte aufprägte. Seine feurigen, dunkelblauen Augen hafteten mit einer Art von Zerstreuung auf dem frischen Gesichtchen seiner Zuhörerin, obgleich er mit Lebhaftigkeit sprach. Da traf zufällig sein Blick den der jungen Frau, die noch immer regungslos auf dem Balcon stand und den Knopf der Glasthür maschinenmäßig festhielt. Ein schwaches Roth flog über sein Gesicht, seine Lippen zuckten und er verlor für einen Augenblick den Faden des Gespräches.

Sie öffnete die Thür und trat in’s Zimmer, ein Lächeln auf den Lippen, das aussah wie eine Thräne im Auge. Freundlich näherte sie sich dem Spieltische.

„Nun, meine liebe Emilie,“ rief ihr der dicke Herr zu, indem er ihr die Hand bot, „was bringst Du für Neuigkeiten von den Elfen und Feenkindern, die Du gewiß im Mondlicht hast tanzen sehen?“

„Sind Sie wirklich so begünstigt worden, gnädige Frau?“ sprach der junge Officier, indem er sich näherte. „Fast möchte ich es glauben – ich habe einmal ein Märchen gehört von seltsamen Gaben, die die Elfen vertheilen. Doch sagt man, daß sie dafür die Herzen an sich ziehen und denen, die ihnen gelauscht haben, nichts übrig lassen, als ihre Zauberlehren.“

„Als ich noch ein Kind war,“ sagte Emilie träumerisch, „da hat man auch mir ein Märchen von den Elfen erzählt. Da wohnte


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_097.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)