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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

des Diebstahls hier gar nicht die Rede sein könne, sondern nur von einem muthwilligen Streich, und daß acht Tage Arrest als Zugabe zu der von dem Angeklagten schon ausgestandenen Angst und der erlittenen Untersuchungshaft eine hinlängliche Strafe sei.

Als die Bombardierclasse von ihrer Berathung auf dem Hausflur in das Gerichtszimmer zurückkam, gab sie das Votum „acht Tage Arrest“ ab. Der „verehrte Herr“ gerieth fast außer sich vor Erstaunen und erklärte, er könne ein solches Votum nicht zu Protokoll nehmen. Der Präsident des Kriegsgerichts aber schnaubte die Richter-Bombardiere an: „Wie können Sie sich unterstehen ein solches Urtheil abzugeben? Der Herr Auditeur hat Ihnen das Gesetz vorgelesen, und es ist Ihnen nicht erlaubt, in Ihrem Votum unter das Minimum der gesetzlichen Strafe herabzugehen. Scheren Sie sich augenblicklich wieder hinaus und berathen noch einmal.“

Diese Art und Weise, mit Richtern umzugehen, hatte uns alle empört, und kaum hatten die Bombardiere das Zimmer wieder verlassen, so gab ein alter Oberlieutenant unserm Unwillen Ausdruck, indem er sich mit den Worten an den Präses wandte: „Herr Major, wie können Sie sich erlauben, einen so ungesetzlichen Einfluß auf das Urtheil der Richter auszuüben?“

„Herr Lieutenant,“ erwiderte der Major, „ich verbitte mir solche Vorhaltungen. Ich weiß, was ich als Präses des Kriegsgerichts zu thun habe. Es ist meine Pflicht, darüber zu wachen, daß die Richter in den Schranken des Gesetzes bleiben.“

„Herr Major,“ entgegnete wieder der Oberlieutenant, „sie sind in den Schranken des Gesetzes. Sie fühlen, daß der Antrag des Auditeurs ein schmähliches Unrecht in sich schließt, wissen sich aber nicht geläufig darüber auszusprechen. Jeder Mensch von gesundem Verstande muß einsehen, daß hier gar kein Diebstahl vorliegt.“

Der „verehrte Herr“ fiel dem Oberlieutenant in die Rede: „Aber um’s Himmelswillen, verehrter Herr, was liegt denn sonst vor?“

„Nichts, gar nichts liegt vor,“ lautete die Antwort des Lieutenants, „als ein Scherz, eine Kinderei,“ und zur Bekräftigung seiner Behauptung fügte er hinzu: „Ich versichere Ihnen, Herr Auditeur, wenn ich beim Manöver im Bivouac liege, muß mir mein Bursche jeden Tag ein Huhn schaffen, oder ich hauche ihm ein tausend Donnerwetter an.“

„Nun, natürlich doch gegen Bezahlung?“ bemerkte der „verehrte Herr“.

„Bezahlung, Bezahlung?“ entgegnete der Oberlieutenant, „das wäre lächerlich. Von Bezahlung kann keine Rede sein. Der Kerl muß es schaffen, wenn er keine Hiebe haben will; wo er’s hernimmt, mag er sehen.“

„Mein Gott, verehrter Herr,“ rief der Auditeur entsetzt aus, „da müssen Sie ein sehr weites Gewissen haben.“

„Ja, Gott sei Dank, kein so verzwicktes, wie Sie,“ lautete die Erwiderung des Oberlieutenants.

Mittlerweile kehrten die Bombardiere von ihrer zweiten Berathung zurück und gaben dasselbe Votum ab, wie zuvor: „Acht Tage Mittelarrest.“ Mit dem Beistand eines Officiers motivirten sie ihre Abstimmung dahin, daß das Vergehen des Angeklagten nicht als Diebstahl zu betrachten sei. Dann kam die Unterofficiersclasse und stimmte ebenso, und so ging es der Reihe nach fort bis hinauf zum Präses des Gerichts. Der „verehrte Herr“ mußte zu seinem großen Leidwesen das Urtheil formuliren: „Acht Tage Mittelarrest wegen eines muthwilligen Streiches.“

Ein anderer Fall, in welchem der „verehrte Herr“ mit seinen Köpf- und Hänge-Gelüsten glänzend triumphirte, ohne jedoch schließlich Ehre damit einzulegen, war etwas ernsterer Natur. Der Angeschuldigte war ebenfalls ein Bombardier; die Anklage gegen ihn lautete auf „thätliche Widersetzung gegen einen Vorgesetzten“, ein Verbrechen, welches nach den preußischen „Kriegsartikeln“ unter allen Umständen mit dem Tode bestraft wird. Der Thatbestand war in wenigen Worten dieser. Bombardier Peter ging in eine Casernenwirthschaft, die von der Frau eines Unterofficiers gehalten wurde, trank dort etwas über den Durst und erlaubte sich schließlich Rohheiten gegen die Frau, welche in Kurzem ihrer Entbindung entgegen sah. Sie rief ihren Mann zu Hülfe. Dieser kam und packte den Bombardier beim Kragen, worauf sich eine Rauferei entspann, in welcher der Unterofficier Sieger blieb und den Bombardier zur Thüre hinauswarf. Hieraus formulirte der „verehrte Herr“ eine Anklage auf „thätliche Widersetzung gegen einen Vorgesetzten“ und beantragte, gestützt auf den so und sovielten Paragraphen der Kriegsartikel, daß das Kriegsgericht den Bombardier Peter zum Todtschießen verurtheile.

Unter den Richtern, welche aus Mitgliedern verschiedener Truppentheile bestanden, befand sich auch ein Artillerie-Officier. Dieser machte darauf aufmerksam, daß der Bombardier den Rang des Unterofficiers in der Armee habe und nur dann Untergebener des Unterofficiers sei, wenn dieser durch sein dienstliches Verhältniß in die Stellung des Vorgesetzten zu ihm trete. Der „verehrte Herr“ aber, dem hier zum ersten Mal in seiner Praxis ein Todtschießungsfall vorkommen mochte, und der vor Begierde brannte, endlich einmal die ganze Strenge des Gesetzes in Anwendung bringen zu können, erklärte, davon stehe nichts in den Kriegsartikeln, und er könne auf eine solche bloße Privatmeinung eines einzelnen Richters nicht Rücksicht nehmen; jedenfalls müsse er darauf bestehen, daß das Gericht den Angeklagten zum Todtschießen verurtheile, wenn auch nur versuchsweise; sollte dann wirklich die Ansicht des Artillerie-Officiers richtig sein, so werde „höhern Ortes“ schon eine bestimmte Erklärung über die Stellung der Bombardiere erfolgen. Die Mehrheit des Kriegsgerichts ging auf den Antrag des „verehrten Herrn“ ein und verurtheilte den Bombardier Peter versuchsweise zum Tode durch Pulver und Blei. Auf den Antrag des General Auditoriats wurde dieses fabelhafte Urtheil vom König, dem in Friedenszeiten allein die Bestätigung von Todesurtheilen zusteht, cassirt; das Kriegsgericht, insbesondere aber der „verehrte Herr“, erhielt eine ellenlange „Nase“, und ein neues Kriegsgericht wurde angeordnet, welches den Bombardier Peter schließlich wegen eines rohen Angriffs auf eine schwangere Frau zur Degradation und dreimonatlicher Einstellung in eine Strafsection verurtheilte.




Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Gehalten in Genf während des Winters 1860-61.
Von Carl Vogt.[1]

Seit längeren Jahren schon werden in Genf allwinterlich öffentliche Vorlesungen verschiedenen Inhaltes für Leute aller Stände in dem Saale des großen Rathes gehalten, zu welchen beide Geschlechter Zutritt haben. Auf den Antrag eines seiner Mitglieder, des Herrn A. Carteret, den das demokratische Genf mit Liebe als einen seiner Vorkämpfer nennt, beschloß der große Rath einstimmig, der Regierung alljährlich einen Credit zu solchen Vorlesungen zu eröffnen, der genügend sei, die Professoren für ihre Mühe und Aufwand zu entschädigen. Den Unterzeichneten traf im Winter 1855–56 das Loos, diese Vorlesungen mit Vortragen über die Geologie zu eröffnen. Die Stunde wurde so gewählt, daß die Arbeiter nach Schluß ihrer Werkstätten, die Geschäftsleute nach Beendigung ihrer Tagesarbeit sich in den Hörsal begeben konnten. Der Anfangs gewählte Saal, die Aula, war bald zu klein – die erste Serie der Vorlesungen mußte schon in einem größeren Locale, dem jetzt gewählten Saale des großen Rathes, in welchem 5–600 Personen Raum finden, wiederholt werden.

Die Einrichtung dieser Vorlesungen ist anders, als in den meisten deutschen Universitätsstädten, wo einzelne akademische Vorträge über einen isolirten Gegenstand, meist sogar gegen Eintrittsgeld, Statt finden. In Genf werden dem Vortragenden zehn bis zwölf Vorlesungen eingeräumt – er kann also einen Gegenstand erschöpfend behandeln und dem Zuhörer nicht nur ein einzelnes

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_105.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
  1. Es bedarf wohl nur der Namensanführung des berühmten Verfassers, um unsere Leser auf die Wichtigkeit der nachfolgenden Vorlesungen aufmerksam zu machen. Wir werden die einzelnen Abschnitte einer geschlossenen Vorlesung stets hintereinander folgen lassen. Die Red.