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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

machte sie einen schüchternen Versuch, im Herzen ihrer Mutter ein weiches Gefühl für sich zu wecken – aber ach, sie mußte jedesmal von Neuem begreifen, daß ihre Mutter sie aufgegeben hatte.

Während der Dauer des Scheidungsprocesses wurde die Lethargie ihrer Existenz zweimal durch die qualvolle Nothwendigkeit unterbrochen, mit ihrem Mann vor Gericht zusammen zu treffen. Da die Gründe, die dem Verlangen der Scheidung untergelegt waren, ungenügend erschienen, wurden viele Schwierigkeiten erhoben. Nach langen Zögerungen entschied sich endlich der Proceß, die Scheidung wurde ausgesprochen.

Noch ein Mal traf Emilie nach diesem Richterspruch mit ihrem Gatten zusammen. Wortlos, halb ohnmächtig vor Bewegung beugte sie ihr Haupt vor ihm, sie wagte es nicht den Blick auf jenes Gesicht zu erheben, dessen tiefe Falten von viel schmerzlichen Stunden erzählten. Werner legte seine Hand wie zum Segen auf ihren Scheitel, auch er blieb stumm, aber in seinen milden Augen lag Güte und Verzeihung.

(Schluß folgt.)




Tieck’s Vorlese-Abende in Dresden.

Als Ludwig Tieck seine Vorlesungen in Dresden begann, die eine gewisse Berühmtheit erlangten, war er bereits über den Gipfelpunkt seines literarischen Ruhms hinaus; er hatte schon seine Meisterwerke geschrieben, seinen Octavian, seine Genovefa, seine köstlichen unnachahmlichen Märchen, er war zu der kritischen Periode gelangt, die sich in einer Unzahl seiner mit glatter, anmuthiger Feder geschriebener „Novellen“ kund gab, die von seinen Freunden und Bewunderern als ein seinen dichterischen Theil überragender Grad der Produktion betrachtet, und als solcher besonders hochgestellt wurden. Wir wollen uns hier nicht auf Beurtheilung und Schätzung seiner Thätigkeit einlassen, sondern haben es einzig mit jenen Abenden zu thun, wo er einen Theil von Dresden, besonders aber durchreisende Fremde um seinen Vorlesetisch versammelte.

Das Vorlesen dichterischer Werke war den Deutschen bisher noch ein ziemlich unbekannter Genuß. Man kannte es zwar schon, daß Dichter ihre eignen Werke einem kleinen Kreise von Freunden vorlasen, aber sie lasen fast immer schlecht, und die Kunst des Vorlesens als solche wurde durch derlei Versuche nicht gefördert, höchstens die Eitelkeit der Vorleser. Hier sah man nun einen Dichter, der zugleich Schauspieler war, nämlich was die Mittel der Stimme und des kunstgeübten Vortrags betraf, seine eigenen sowohl, als fremde Dramen und Erzählungen mit jener Virtuosität vortragen, die den Vortrag zu einer besondern Kunst machte und ihn für sich bestehen ließ. Man konnte, wenn man die Augen schloß, dreist behaupten, man hörte drei oder vier Personen sprechen, wenn das Stück aus so vielen bestand, so scharf abgesondert, so in Dialekt und Stimmweise verschieden erklangen die einzelnen Stimmen; auch wurden sie nicht genannt, der Zuhörer mußte sie selbst herausfinden, und er konnte es auch leicht durch die Kunst des Vorlesens. Bei heiteren komischen Sachen machte sich diese Art vortrefflich.

Die poetische Begabung war die Hauptsache bei Tieck, sie wurde jedoch durch zwei wesentliche Dinge unterstützt, durch ein belebtes sprechendes Auge, und durch eine volle biegsame Stimme. Kein Schauspieler besaß diese Mittel der Wirkung in einem vorzüglicheren Grade, er unterstützte sie nur durch sehr sparsam und vorsichtig angewandte Gesticulation mit der rechten Hand. Dem Auge ließ er fast freie Wirkung, indem er das Meiste, was er las, so kannte, daß er es nicht mühsam abzulesen brauchte, sondern es freisprechend vor sich hin sagte. Die Stimme ließ er bei tragischen Stellen in ihrer ganzen Stärke hindonnern, so daß sie eine mächtige Wirkung zu äußern nicht verfehlte. Ueberhaupt las er lieber die tragischen Stücke, namentlich von Shakespeare, als die komischen, obgleich er auch diese unübertrefflich gut vortrug.

Da eine Vorlesung, wenn sie ein Shakespeare’sches Drama betraf, leicht mehrere Stunden anhielt, so war während dieser Dauer die größtmöglichste Stille zum Gesetz gemacht: es durfte bei dem Drama keinerlei Handarbeit unternommen werden; Stricken war streng untersagt; nur die kurzen Pausen bei jedem Actschluß waren der Erholung geweiht und wurden zum Gespräch, zum Hin- und Wiedergehen, zum Theetrinken benutzt; so wie wieder Tieck’s Stimme ertönte, mußte vollkommene Stille herrschen. Es war vorgekommen, daß, wenn dieses Gebot nicht gehalten wurde, oder eine schwatzende Stimme die Pause überschritt, der Vorleser seinen Vortrag plötzlich unterbrach und still schwieg. Dies war jedoch die strengste polizeiliche Maßregel; ehe es so weit kam, sorgte schon die Gräfin, die in dieser Beziehung eine wichtige Rolle im Vorlesezimmer spielte, daß kein gar zu auffallendes Störungszeichen sich laut machte.

Die Erwähnung der „Gräfin“ führt uns auf das Publicum. Dies war öfters ein sehr gemischtes. Fremde, durchreisende Engländer verschafften sich in ihren Hotels Karten und erschienen bei Tieck zur Vorlesung. Diese frei heranströmenden Gäste mußten nun überwacht werden. Die Gräfin Finkenstein, Tieck’s alte Jugendfreundin, die ihn später nie verließ, alle seine Reisen mit ihm machte, gab sich dazu her, die Hauspolizei bei den Abenden darzustellen. Die ankommenden Fremden mußten ihr vorgestellt werden, sie vermittelte alsdann die Bekanntschaft mit Tieck, wenn sie diesem völlig unbekannt waren, und somit hatte der Besuch sein Recht, den Abend dort zuzubringen. Waren die Gäste, wie es fast immer stattfand, Tieck schon von früher bekannt, so brachte er sie zur Gräfin und stellte sie dieser vor. Die Gräfin äußerte dann in der Form des Gesprächs die bei der Vorlesung waltenden Gesetze, und wenn dagegen gehandelt wurde, winkte sie, hustete auch wohl und gab sonstige Zeichen, daß Stille und Ruhe herrschten. Wenn die Ordnung hergestellt war, so pflegte die Gräfin einzuschlummern, denn ihr waren die vorgetragenen Stücke längst etwas Bekanntes; dennoch, eine so große Gewalt übt die Gewohnheit, sah man sie im Schlafe öfters den Kopf bewegen, hörte sie einige Worte des Beifalls murmeln, wo sie diesen zu spenden seit Jahren gewohnt war.

Von der Gräfin abgesondert saß Frau Tieck, wenig beachtet. Es wurde ihr keiner der Fremden vorgestellt, man nahm an, daß sie dieses nicht wünschte und begehrte. Es war eine corpulente Dame mit einem unbedeutenden kränklichen Gesichtsausdruck; ihr Platz war gewöhnlich im Schatten, zur Seite des Sopha’s. Sie war in ihrer Zurückgezogenheit der Gegenstand der steten Aufmerksamkeit und Beachtung ihrer geistvollen Tochter Dorothea, die, Opposition gegen die Gräfin bildend, sich vorzugsweise mit ihrer Mutter beschäftigte, weil sie fand, daß die Gesellschaft gegen diese Dame ungerecht war und sie vernachlässigte. Darum nahm sie auch ihren Platz, wenn der Thee, den sie zu besorgen hatte, herumgereicht war, besonders gern dicht neben der Mutter und kam aus dem Winkel selten hervor. Zu diesem Grunde kam noch eine eigenthümliche Schüchternheit, die sie von der Gesellschaft unbeachtet sein ließ; ihre gewonnenen Freunde waren um so entzückter von ihrem Umgang, je freier sie sich dort bewegte. Später kamen ihre religiösen Skrupel hinzu, die ihr des Vaters ganzes Thun und Treiben, besonders aber sein Vorlesen, als sündlich und thöricht erscheinen ließen. Eine andere Tochter Tieck’s, nicht so geistig bevorzugt wie Dorothea, war gleichfalls bei den Vorlese-Abenden zugegen.

Als der Schreiber dieses den Abend bei Tieck zum ersten Male besuchte, es war im Sommer 1821, fand sich in der Gesellschaft so manche interessante Persönlichkeit. Es sind ihm nur folgende Personen erinnerlich geblieben. Auf dem Sopha, neben der mit einem Augenschirm versehenen Gräfin Finkenstein saß eine Fürstin Reuß, eine bucklige Anstandsdame, zur Seite des Sopha’s nahm Frau Hofräthin Tieck ihren Platz, neben ihr ihre Tochter Dorothee. Dann folgten Damen und Herren, die dem Schreiber dieses Aufsatzes nicht bekannt wurden, bis ganz im Vordergrunde Fräulein Bauer, die berühmte Schauspielerin, in dem Costüm der Rolle, die sie an diesem Abende im Theater zu geben hatte, ihre Stelle findet. Man sieht, das Publicum benutzt gerade einen Augenblick des festeren Schlafes der Gräfin, um hier und da zu plaudern; auch kommt ein später Gast, der Hofrath Winkler, unter dem Namen Theodor Hell, noch heran und verlangt Einlaß. Unter der Herrenreihe am Fenster und an der Wand hinter dem Sopha findet sich gleichfalls mancher Bekannter. Der bucklige Mann an der Wand, der sich etwas in’s Ohr raunen läßt, ist der Dichter Maltitz, der Pfefferkörner Maltitz, wie er genannt wurde. Am Fenster steht ein bekannter Banquier aus Leipzig, neben ihm Sternberg, der alte vertraute Freund des Dichters, etwas weiter zurück Herr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_116.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)