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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Die Anwendung der Folter in den Gefängnissen von Neapel und Sicilien.

Nr. 2.

Ich komme nun zur Anwendung der Folter, der Torturwerkzeuge, der Peitsche und des Stockes bei politischen Gefangenen. Nochmals schicke ich, um mich klar und bestimmt auszudrücken, und damit alle Verdrehungen und Verfälschungen meiner Mittheilungen abzuweisen, ein für allemal die Bemerkung voraus: Die politischen Gefangenen, von denen ich spreche und welche ich namentlich aufführen werde, befanden sich, während sie diese Martern erduldeten, nicht in den Händen der Gerichtshöfe. Sie befanden sich in Voruntersuchung in den Händen der Polizei, welche sie auf Verdacht nach eigenem Belieben verhaftet hatte, in den Gefängnissen der Polizeicommissariate. Die Documente, welche ich vorlege, habe ich aus den officiellen Zeitungen der frühern Regierung des Königreichs beider Sicilien entnommen. Die Thatsachen, bei denen ich mich auf das Zeugniß des französischen Schriftstellers Mr. Charles de la Varenne stütze, der sich durch seine Feder und durch seinen Degen um die Freiheit des neuen Italiens hochverdient gemacht hat, sind auf Veranlassung der englischen Regierung einer genauen Recherche Seitens der englischen Consularagenten auf Sicilien unterzogen worden, und die amtliche Antwort dieser Beamten lautet dahin, daß sämmtliche von Mr. Charles de la Varenne behaupteten Thatsachen wahr und genau angegeben worden sind, daß derselbe sogar seiner allgemeinen Darstellung noch eine zu matte Färbung gegeben habe.

Das in dem neapolitanischen Strafgesetzbuch publicirte processualische Strafverfahren ist den bessern europäischen Strafprozessen zuzuzählen. Es giebt in seinen processualischen Formen, besonders in der Vertheidigungsinstanz, dem Angeschuldigten jede Garantie, sein Recht zu wahren und alle Mittel seiner Vertheidigung zur vollkommenen Geltung zu bringen. Die Formen des neapolitanischen Strafprocesses wurden indeß nur dem gewöhnlichen Verbrecher, dem Mörder, dem Räuber und dem Diebe gegenüber aufrecht erhalten; der Polizei gegenüber – oder, wenn man will, den beiden letzten Königen gegenüber – waren sie vollständig illusorisch. Signor Morelli, Präsident eines Criminalgerichtshofes in Neapel, erhielt das Actenstück eines politischen Processes, der auf die ungerechteste und unhaltbarste Anklage von der Welt gegründet war, mit der Randbemerkung des Polizeiministers zurück: „Seine Majestät wünscht eine schwere Verurtheilung.“ Signor Morelli war ein anständiger Mann; er schrieb darunter: „Ich wünsche meinen Abschied,“ und nahm diesen Abschied. Aber Signor Morelli war eine Ausnahme eines neapolitanischen Beamten, welche der preußische Consul in Neapel, Herr Nolte, der – nebenbei gesagt – noch ein Vertheidiger der bourbonischen Regierung ist, mir mit den kurzen Worten charakterisirte: „Zu bestechen und zu kaufen waren sie Alle; Alle nahmen.“ Und wenn sich auch mehrere solche Ausnahmen gefunden haben – der hohe Gerichtshof von Catanea hat einmal in einer entsetzlichen Sache, welche ich weiter unten näher erzählen werde, ein glänzendes Beispiel richterlicher Unabhängigkeit und Rechtschaffenheit gegeben –, was half das der ungeheueren Machtvollkommenheit der neapolitanischen Polizei gegenüber, welche über allen Behörden des Landes stand? Die Polizei hielt die Gefangenen, deren Freilassung von den Gerichtshöfen angeordnet war, in den Gefängnissen fest; sie blieben, wie der Geschäftsausdruck war, „con empara di polizia.“ Die Polizei modificirte und verlängerte die von den Gerichtshöfen erkannten Strafen. Strafen, welche durch die Gesetzbücher und durch die beschworene Constitution des Jahres 1848 – diese Constitution ist niemals durch ein Gesetz in Neapel aufgehoben worden – abgeschafft waren, wie die Tortur und die Ruthenhiebe, wurden durch amtliche, in den officiellen Regierungsblättern öffentlich publicirten Verfügungen der Polizeiminister wieder eingeführt. Am 1. Februar 1860 wurde für das ganze Königreich beider Sicilien an alle Polizeipräfecten Seitens des Polizeiministers Ajossa folgende Verfügung erlassen:

Herr Präfect!
Seine Majestät der König, unser gnädigster Herr, hat befohlen, daß für die Dauer des ganzen laufenden Jahres die Commissionen, welche eingesetzt sind, um bei „den Störern der öffentlichen Ruhe und Ordnung“ und bei den Dieben die Prügelstrafe anwenden zu lassen, fortbestehen sollen.
Ich bringe diesen Willen Seiner Majestät zu Ihrer Kenntniß, damit Sie dafür sorgen, daß er in seinem ganzen Umfange in’s Werk gesetzt werde.
Der Minister der Polizei.
Neapel, den 1. Februar 1860.
Ajossa. 

Diese Ministerialverfügung bezieht sich auf eine frühere Verfügung des entsetzlichen Polizeiministers Generals del Carretto, des blutbefleckten Henkers des sicilianischen Volkes, aus dem Jahre 1843, in der dieselben Personen „die Störer der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ genannt werden, und welche folgendermaßen lautet:

Das Publicum wird benachrichtigt, daß das frühere System eines summarischen Ausnahmsverfahrens, welches gegen „die Störer der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ durch Verfügung vom 5. August 1822 eingeführt worden ist, und durch regelmäßig jährlich immer aufeinander folgende ministerielle Verordnungen für jedes laufende Jahr verlängert worden ist, sich auch heute noch in voller Gültigkeit befindet.
Das Publicum möge außerdem wissen, daß die außerordentliche und wohlbekannte Strafe[1], welche die Polizei sofort, selbst vor dem ausgesprochenen Urtheil des kompetenten Gerichtshofes, anzuwenden berechtigt ist, in einem stärkeren Maße angewendet wird, wenn es nach dem bösartigen Charakter des Delinquenten nöthig zu sein scheint, und daß sie ohne irgend eine Rücksicht angewendet werden soll, weß Ranges, Standes und Geschlecht der Gefangene auch sein möge; denn es handelt sich um die heiligen Rechte der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit.
Der Polizeiminister  
Neapel, den 11. Juli 1843.
General del Carretto.

Aus diesen Verordnungen geht sowohl die ganz exclusive Stellung der Polizei, welche über allen Behörden stand, als auch die Thatsache hervor, daß seit dem Jahre 1822 die Peitschenhiebe und Stockschläge, trotzdem daß das neapolitanische Strafgesetzbuch und die Constitution des Jahres 1848 sie abgeschafft haben, immer als Torturmittel bei politischen Untersuchungsgefangenen durch die Polizeibehörden angewandt worden sind und daß die Polizeicommissäre und Polizeipräfecten sogar gesetzlich autorisirt waren – der ganzen übrigen Gesetzgebung zum Trotz – dieselben anzuwenden. Das nennt man doch eine Ausnahmsstellung der Polizei, gegen welche die reactionairen Versuche mancher deutschen Regierungen, ihren Polizeibehörden in der Regierungsmaschine eine Ausnahmsstellung zu schaffen, schwächliche Maßregeln genannt werden müssen!

Wie die neapolitanischen Polizeibehörden diese ihre Ausnahmsstellung und ungeheuere Gewalt ausgeübt, in welchem Umfange sie davon der Justiz und Verwaltung gegenüber Gebrauch gemacht haben, davon werde ich sogleich einige schlagende Beispiele, und zwar aus der neuesten Zeit, geben.

Baron Poerio war bekanntlich während einiger Monate Ministerpräsident der constitutionellen Regierung König Ferdinand des Zweiten. Nach dem reactionairen Staatsstreich des 15. Mai 1848 wurde der frühere Ministerpräsident verhaftet und in den Bagno von Nisida geführt. Dort hat er fast zehn Jahre zugebracht; er wurde in Ketten eingeschmiedet, kurz, wie ein zur lebenslänglichen Strafarbeit verurtheilter Sträfling behandelt. Während eines halben Jahres war der Galeerensträfling, mit dem er zusammengeschmiedet war, gefährlich krank. Der Baron Poerio konnte es nicht durchsetzen, während dieser Zeit losgeschmiedet zu werden. Poerio’s Märtyrerthum hat einen europäischen Ruhm erlangt. Ich führe dies Beispiel hier nur an, um zu zeigen, welche Stellung die Polizei in der neapolitanischen Regierung eingenommen hat; denn – und dies wenigstens möchte bis jetzt in Europa nicht bekannt geworden sein – Baron Poerio ist niemals weder zur Untersuchung gezogen noch von einem Gerichtshof verurtheilt worden: derselbe hat die zehn Jahre in dem schrecklichen


  1. Die „wohlbekannte Strafe“ sind selbstverständlich die Stockprügel und Peitschenhiebe. Den schamlosen, blutbefleckten Henker des sicilianischen Volkes muß ein sonderbares Gefühl von Scham angewandelt haben, diese Strafe in seiner Verordnung nicht bei Namen zu nennen. G. R.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_118.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)