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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Das Leben einer Frau.

Von R. Godin
(Schluß.)


Emiliens sehnsüchtiges Verlangen war nun, das Haus ihrer Eltern zu verlassen und sich einen Aufenthaltsort zu wählen, wo Niemand ihre Verhältnisse kannte. Trotz der schonenden Vorsicht, womit Werner diese Angelegenheit handhabte, waren doch Gerüchte ins Publicum gedrungen, die der Wahrheit ziemlich nahe kamen. Der Neugierde und den Urtheilen der Menge in ihrer Heimath ausgesetzt zu bleiben, schien Emilien allzu peinlich, sie sandte daher ihre Gedanken nach einer Zuflucht aus, wo sie wenigstens ungestört traurig sein dürfte.

Ihre Wahl fiel auf eine Dame, mit der sie während der ersten Jahre ihres Aufenthaltes in Wien in häufiger Verbindung gestanden hatte, und die seit etwa zwei Jahren durch den Tod ihrer beiden Kinder veranlaßt worden war, einen Landsitz in der Nähe von Prag zu beziehen, wohin liebe Erinnerungen sie riefen. An diese würdige Frau schrieb Emilie, machte sie mit allen ihren Verhältnissen bekannt und fragte, ob sie für einige Zeit bei ihr eine Heimath finden könnte.

Die Hoffnung, die sie auf die Zuneigung und vereinzelte Stellung dieser Freundin gebaut hatte, erwies sich als begründet; in kurzer Zeit langte ein Brief an, der Frau von Handel als Vorläufer diente, die, von ihrem Zartgefühl geleitet, selbst kam, die junge Frau abzuholen.

Auf’s Neue verließ nun Emilie ihr Vaterhaus – ach, um wie viel unglücklicher als das erste Mal! Das milde Wesen ihrer Begleiterin trug indessen viel zu ihrer Beruhigung bei und richtete vor allem ihre Selbstachtung wieder auf. Frau von Handel war eine jener seltenen Frauen, die bei voller Tadellosigkeit des eigenen Lebens doch ein mildes Urtheil über die Schwächen Anderer besitzen. In ihren Augen sühnten die Schmerzen, von denen sie Emilie niedergedrückt sah, Alles, was ihr streng rechtlicher Sinn im Benehmen der jungen Frau nicht billigen konnte. Selbst vom Schicksal schwer geprüft, war sie tief empfänglich für die Leiden Anderer, und ermessend, daß man dem armen Menschenherzen nicht zu viel aufbürden dürfe, veranlaßte sie selbst, daß während der Dauer der Reise Welly unter ihrem Schutz mit Emilie zusammen traf. Dagegen forderte sie auch, daß diese Zusammenkunft sich nicht wiederholen dürfe, bis Welly eine Stellung errungen habe, die es ihm möglich mache, sich mit der Geliebten zu verbinden.

Mit Ungestüm widersetzte sich der junge Mann dieser Forderung. Emilie bat ihn aber so flehentlich, ihren Ruf zu schonen, Alles, was sie um ihn gelitten hatte, stand in so tiefen Zügen auf dem reizenden Gesichte, daß er es nicht vermochte, ihren Wünschen zu widerstehen. Feurig nannte er diese Entbehrung einen neuen Sporn, Alles zu thun, um die Zukunft zu sichern, und mit Zuversicht suchte er ihre Thränen mit der Betheuerung zu stillen, daß er ihr bald ein ihrer würdiges Loos bereiten würde.

Nach dem letzten Schmerz einer jedenfalls jahrelangen Trennung von dem Geliebten verließ Emilie alle Kraft so ganz und gar, daß Frau von Handel oft mit Bangigkeit die todtenähnliche Ruhe beobachtete, die an die Stelle der früheren unaufhörlichen Aufregung getreten war. Voll Rücksicht hatte sie der jungen Frau für die erste Zeit des Aufenthaltes in ihrem Hause eine völlige Einsamkeit vorbereitet, und suchte sie nur nach und nach wieder für äußere Eindrücke und Interessen empfänglich zu macken. Die heftigen Gemüthsbewegungen der jüngsten Zeit hatten aber unverwüstliche Spuren in Emiliens ganzem Wesen zurückgelassen. Noch nach Verlauf von Monaten wich sie mit krankhafter Scheu vor jeder Berührung mit der Außenwelt zurück. Ihre erschütternden Erinnerungen hatten ganz Besitz von ihren Gedanken genommen und gewannen eine um so größere Macht, als sie dieselben schweigend in sich begrub und verlernt hatte, sich auszuweinen.

Inzwischen hatte Eduard von Welly mit kräftiger Hand begonnen, die Richtung seiner Zukunft festzustellen. Sein erster Schritt bestand darin, seinen Abschied zu nehmen, denn von jeher war seine Stellung bei der Armee nicht nach seinen Wünschen gewesen. Der zweite Sohn einer vornehmen Familie, deren bedeutende Besitzthümer als Fideicommiß auf seinem älteren Bruder hafteten, war er darauf angewiesen, sich dem Staatsdienste zu widmen. Seine erste Wahl war die cameralistische Laufbahn; er hatte seine Studien mit Auszeichnung vollendet, und eine Anstellung nach seinen Wünschen war ihm bereits zugesagt, als er sich in einer Abendgesellschaft bei einem seiner eifrigsten Protektoren zu einem Gespräch politischen Inhalts hinreißen ließ und in so schonungsloser Weise die jetzigen Zustände beurtheilte, daß der ganze Einfluß seiner hochgestellten Beschützer aufgeboten werden mußte, um ihn ernsten Unannehmlichkeiten zu entziehen. Die nächste, nicht abzuwendende Folge war der Verlust des ihm zugedachten Postens, und seine ganze Carriere schien durch seine Unvorsichtigkeit vernichtet. Ohne Vermögen und Aussichten entschloß er sich ein Officierspatent anzunehmen, was ihm aus besonderer Rücksicht für seine Familie geboten ward.

Als seine jetzige Lage es ihm wünschenswerth machte, von den früher erworbenen Kenntnissen und Talenten Gebrauch zu machen, hatte eben eine gewaltige politische Krisis die Hindernisse, die ihm bisher entgegen standen, aus dem Wege geräumt. Ein Wechsel des Ministeriums hatte Statt gefunden, talentvolle Männer,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_129.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)