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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

die seiner Richtung angehörten, fanden die günstigste Aufnahme, und Welly, dessen geistige Bedeutsamkeit ihm manche Freunde erworben hatte, fehlte es nicht an Männern, die seine Fähigkeiten zu schätzen wußten.

Nach einigen Monaten gelang es ihm, in der neueingeschlagenen Carriere festen Fuß zu fassen, und sobald er Gelegenheit fand, seine Thätigkeit und seinen eisernen Fleiß geltend zu machen, war es nicht mehr schwer für ihn, vorwärts zu kommen, um so mehr, als er einen alten Namen trug. Er wurde nach einiger Zeit zu dem Posten eines Staatssecretairs ernannt.

Während der zwei Jahre, die ihn zu dieser Stufe führten, war seine Correspondenz mit Emilie ohne Unterbrechung fortgesetzt worden. Obgleich die Stellung, die er jetzt einnahm, ihm bei einiger Einschränkung eine Heirath möglich gemacht haben würde, lag doch noch eine Last auf ihm, die nach Emiliens eigenem Wunsche erst abgewälzt sein sollte, ehe sie sich verbanden. Er hatte während seiner Dienstjahre als Officier[WS 1] nicht unbedeutende Schulden gemacht, was bei seiner Art zu leben fast unvermeidlich gewesen, nun aber eine lästige Fessel für ihn war.

Wiederholt hatte er in dieser Zeit Emiliens Einwilligung zu einem Zusammentreffen mit ihr gefordert, erst mit leidenschaftlicher Bitte, später, als die Weigerung wiederholt ward, mit Vorwürfen, Zweifeln und Unmuth. Emilie würde auch nicht die Kraft gehabt haben, seinem Drängen zu widerstehen, wäre nicht die Festigkeit der Frau von Handel fast zur Strenge in diesem Punkte geworden. Die Dankbarkeit, mit der Emilie der trefflichen Frau ergeben war, die Rücksichten, deren sie sich ihr gegenüber schuldig fühlte, hielten sie davon zurück, etwas gegen ihren Rath zu thun. Je mehr die Aussichten zu einer Verbindung der Liebenden stiegen, desto ernster bat Frau von Handel die junge Frau, ihren Ruf für den Namen zu schonen, den sie bald zu führen hoffte, und erklärte mit Festigkeit, daß in ihrem Hause und mit ihrer Zustimmung eine ähnliche Zusammenkunft niemals Statt finden sollte.

Emilie fügte sich, aber die bittern Worte ihres Geliebten vernichteten den Rest ihres Lebensmuthes. Sie wurde immer stiller und trüber, ein leises, aber beständiges Kränkeln wirkte auch drückend auf ihre Stimmung, und zuletzt wagte sie kaum mehr, an das Leben und die Menschen irgend einen Anspruch zu nehmen. Ihre Briefe nahmen das Gepräge dieser Seelenstimmung an; zwar ließ sie keine Klage laut werden, aber der warme lebendige Hauch der Leidenschaft, der sonst aus ihren Worten sprach, hatte einer krankhaften Schwärmerei Platz gemacht, die Welly um so unbehaglicher berührte, als er gerade jetzt das Leben reicher und kräftiger umfaßte als je. Ihr Bild fing an, vor den neuen, bedeutenden Interessen, die ihn beschäftigten, langsam zurückzuweichen.

Der Ehrgeiz, der bereits in seiner frühsten Jugend einen großen Platz in seinem Geiste eingenommen hatte und nur durch die Macht der Umstände zurückgedrängt worden war, erwachte unter seinen jetzigen Verhältnissen mit doppelter Stärke. Die gegenwärtige Lage der Dinge berechtigte Männer von Talent und Willenskraft zu den kühnsten Ansprüchen; Welly ergriff mit allem Feuer seines energischen Naturells die liberalen Tendenzen der Gegenwart. Seine kühne Phantasie, seine tüchtige Beurtheilungskraft fanden ein reiches Feld der Thätigkeit in den Forderungen, die eine Zeit voll bedeutender allgemeiner Interessen stets an den Einzelnen stellt.

In dieser Periode überströmender Lebensfülle trat er auch wieder in die gesellige Welt ein, was er in der ersten Zeit aus Rücksicht für Herrn von Werner ganz vermieden hatte. Derselbe hatte aber Wien nach Regulirung seiner Angelegenheiien für immer verlassen, die Gerüchte, die Welly’s Namen mit der Scheidung der Frau von Werner in Verbindung gebracht hatten, waren nach und nach verstummt, da man den jungen Mann Wien jahrelang nicht verlassen sah, und so folgte er den wiederhollen Aufforderungen, die ihn in die geselligen Kreise zurückzogen, nicht ungern. Er ward überall mit erhöhter Auszeichnung aufgenommen und von den exklusivsten Kreisen gesucht.

Vor Allem war ihm das Haus des Ministers von Wangenheim angenehm, und er machte häufig Gebrauch von der Freiheit, es zu besuchen, da es sich durch einen fein gewählten Cirkel und eine höchst liebenswürdige, wenn auch schon matronenhafte Hausfrau auszeichnete. Als er einst wieder einen Abend dort zubrachte, fesselte gleich beim Eintritt eine neue Erscheinung seine Aufmerksamkeit, deren Schönheit ihn frappirte, und der er durch den Minister alsbald vorgestellt ward.

Clara war die einzige Tochter des Hauses, eben von einer großen Reise zurückgekehrt, die sie nach ihrem Austritt aus der Pension mit einer Verwandten unternommen hatte. Sie war eine herrliche Blondine, groß, voll und im reinsten Ebenmaß gebaut, ihr frisches, aber ausgezeichnetes Gesicht fesselte durch eine ungewöhnlich schöne Stirn, einen spöttischen Mund und so taubenhaft sanfte Augen, daß ihr Blick diesen übermüthigen Lippen niemals Recht gab. Während Welly sich mit ihr unterhielt, entdeckte er einen ihren Jahren vorangeeilten Geist von so pikantem Gepräge, daß er voll Interesse ihren Worten folgte und sich den ganzen Abend über dabei ertappte, die Art und Weise zu beobachten, wie sie ihre kleinen Gnaden austheilte oder entzog.

Von den meistens über eine Form gegossenen Erscheinungen der übrigen Damenwelt ziemlich gelangweilt, überließ sich Welly von nun an dem Reiz, den dies lebhafte, geistvolle Mädchen über ihn ausübte. Ohne sein Herz dabei betheiligt zu fühlen, suchte er sie überall auf, zeichnete sie aus und überhäufte sie mit den tausend kleinen, namenlosen Aufmerksamkeiten, die in den Augen der Welt so viel bedeuten. Je länger dieser Verkehr dauerte, je mehr Clara’s Gunst von vielen Seiten gesucht wurde, desto empfänglicher wurde seine Eitelkeit für die offenkundige Auszeichnung, womit sie ihn aufnahm. Eine gewisse Aufregung fing an sich seiner zu bemächtigen.

Unmerklich gewann das Interesse, das ihm das junge Mädchen einflößte, eine so bedeutende Herrschaft über ferne Gedanken, daß er sich dieselbe eingestehen mußte. Zwar wies er die Vorwürfe, die sein Herz ihm machte, mit Unmuth von sich, aber wenn ein neuer Brief von Emilie ankam, der trotz dem zarten Geist, der ihn dictirte, doch durch seine Mattheit einen unvortheilhaften Contrast mit dem frischen, lebensvollen Wesen Clara’s bildete – wenn er bei jedem leisen Versuch, sich aus den Fesseln zurückzuziehen, die er sich selbst so leichtsinnig übergeworfen hatte, Clara’s reizendes Gesicht erbleichen, ihren Uebermuth in die unterwürfigste Weichheit übergehen sah, so fehlte ihm der feste Wille, sich aus der Bestrickung dieser Verhältnisse loszureißen. Er wies alle störenden Gedanken ab und überließ sich blind dem Zauber der angenehmen Gegenwart.

Ein ganz unerwartetes Ereigniß rüttelte ihn aus seinem Selbstvergessen auf. Er erhielt die Nachricht, daß sein älterer Bruder durch einen Sturz vom Pferde plötzlich um’s Leben gekommen war, ein Unglücksfall, der ihn, da derselbe kinderlos starb, plötzlich in eine glänzende Lage versetzte.

Hier war, zu seiner Ehre sei es gesagt, sein erster Gedanke Emilie. Die Möglichkeit, dem Schwanken und der Unsicherheit seines Verhältnisses zu ihr sogleich ein Ende machen zu können, rief ihr liebliches Bild lebhaft vor seine Seele und weckte eine lebendige Sehnsucht, sie endlich wiederzusehen und besitzen zu dürfen.

Sobald seine erste Aufregung sich beruhigt hatte, eilte er zum Minister, um ihm die Veränderung seiner Aussichten mitzutheilen und sich Urlaub zu erbitten, da seine Anwesenheit am Orte des Todesfalles augenblicklich nothwendig war. Als er ausgesprochen hatte, faßte Herr von Wangenheim seine Hand und sagte mit Wärme: „Nehmen Sie meinen herzlichen Glückwunsch, lieber Welly. Dürfte ich ihm doch die Hoffnung zugesellen, daß Ihre jetzigen Verhältnisse Sie nicht veranlassen möchten, Ihre Talente dem Staate zu entziehen. Kehren Sie bald wieder zu uns zurück,“ fügte er mit einem bedeutungsvollen Blicke zu; „ich hoffe mit Bestimmtheit, daß wir Sie bald wiedersehen werden, und wünsche Ihnen mit doppeltem Vergnügen eine frohe Zukunft, denn Ihre Wünsche sind vielleicht auch die meinigen.“

Bei dieser directen Anspielung auf Absichten, die ihm in diesem Augenblicke so fern lagen, verlor Welly die Fassung, da er sich sagen mußte, daß sein Benehmen gerechte Ursache zu derselben gegeben habe. Mit ziemlicher Unsicherheit verabschiedete er sich bald darauf von den Damen; Clara’s trauriges Gesicht verwirrte ihn und weckte die Sympathie, die ihn zu ihr zog, aufs Neue mächtig genug, um den Enthusiasmus der vorigen Stunde bedeutend niederzudrücken.

Bei der Ankunft auf seinem neuen Erbe empfing ihn eine Masse von Geschäften und verwickelten Angelegenheiten, die ihn auf lange Zeit in Anspruch nahmen. Von hier aus schrieb er an Emilie, theilte ihr seinen Glückswechsel mit und bereitete sie auf seine baldige Ankunft vor, wozu die jetzige Lage der Dinge ihn berechtigte. Während er schrieb, zauberte seine Phantasie ihm ihre reizende Schönheit so lebhaft vor das innere Auge, daß er die alte Gluth wiederfand und mit feurigen Worten vom nahen Wiedersehen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ofifcier
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_130.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)