Seite:Die Gartenlaube (1861) 135.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zu bringen, den man heut zu Tage selten versteht, weil man die Zweitheiligkeit einer unbändigen Natur und eines geschulten Geistes in „unsern theezahmen, glaceehöflichen und glanzledernen Tagen“ nicht mehr auszukämpfen braucht. – So wetterleuchtet nur der Humor, diese wunderbar kräftige und hohe Lebensfühlung, die, wie sie das All umspannt, mit gleicher Theilnahme sich hinabbeugt zur Einfalt und Armuth, zu Schmerz und Unglück, zu dem Kleinen, Geringen, zu den Armen am Geiste, und sie sorgend in ihr Herz schließt; in welcher sich Gemüth und Verstand, Gott und Welt, Schmerz und Freude, Groll und Liebe zu einer herzigen, zeugungskräftigen Ehe vermählt und verbindet.

Ein Bild, selbst wenn es so ganz ähnlich ist, wie das vorstehende, vermag doch nur einen geringen Theil der Wirklichkeit anschaulich zu machen, ihm fehlt Leben und Beweglichkeit, das geistvolle Mienenspiel, der vollkommene allseitige Ausdruck des Innern. Soviel aber, glaube ich, wird selbst daraus schon ersichtlich sein, daß unsers Autors Persönlichkeit eine ungewöhnliche, vielsagende ist. In diese Züge hat die Seele ihre Gewalt mit bedeutsamen leserlichen Zeichen eingegraben. Die hohe, nachdenklich gewölbte Stirn, das tiefliegende, durchbohrende, fast grollende Auge, der bittere verhaltene Spott, welcher um die Lippen zuckt, – kurz ein Charakterkopf, wie man ihn selten findet. – Aber Goltz sieht auch wieder ganz anders aus; es liegt eine natürliche Gutmüthigkeit in seinem Gesicht, die sich auch dann nicht verliert, wenn er mit Zorn und Eifer die Gespenster peitscht, welche in der Welt umherspuken, – und wieder anders, wenn sie seine Erlebnisse in Scene setzt, von seinen Reisen erzählt, wenn er eine von den Geschichten hört, in welchen Schicksalslaune oder Volksreiz das Feld behaupten.

Bogumil Goltz ist in seinem Umgange wahrhaft liebenswürdig, ein kerniger, herziger, prächtiger Mensch; ohn’ Erbarmen, derb und schonungslos gegen jede falsche Idealität, jede zweideutige, affectirte Gefühlswärme, gegen alles süßliche, weinerliche, raffinirt-trübselige Sentiment, aber theilnehmend mit wahrem, unverstelltem Schmerz und unverschuldetem Schicksal. Er nennt die Dinge bei ihrem rechten Namen und kümmert sich wenig darum, ob er damit bei nervösen, überdelicaten Damen Anstoß erregt. Aller Hohlheit und Convenienz, aller leeren Formalität, Halbheit und Charakterlosigkeit ist er von Herzen gram, verfolgt und verhöhnt sie, wo er kann; dagegen interessirt ihn jede kernhafte, ganze, ungewöhnliche und absonderliche Natur. Deshalb verkehrt er gern mit sogenannten einfachen, schlichten Leuten, Arbeitern, Leuten aus dem Volke, alten Frauen. Als Erzähler ist er unübertrefflich und überall ein erbetener Gast; da sprühen die Funken seines Geistes, da jagt ein Einfall den andern, und die Zuhörer sitzen stumm und aufmerksam dabei, und können nicht genug hören.

Von seinen Schriften eines Weiteren zu reden, ist hier nicht der Ort; sie haben hinreichend Beurtheilung erfahren und bestanden, und wer ihren Geist und Inhalt erkennen will, thut am besten, sich an die Quelle zu begeben.

Goltz lebt seit einer Reihe von Jahren in Thorn, geliebt und geehrt von seinen Mitbürgern, und der angestrengte Fleiß und die unermüdliche jugendliche Schöpferkraft lassen noch viel von ihm erwarten. Ueber seine Widersacher können ihn die herzlichen Zuschriften vieler von unsern literarischen Notabilitäten und ein gebildetes Lesepublicum in allen deutschen Landen wohl trösten.

Man hat sich bisher viel zu viel mit seiner Form beschäftigt, ohne zu bedenken, daß dieselbe nur von innen heraus verstanden werden kann. Goltz strebt, überfluthet von geistreichen Einfällen, danach, in der concentrirtesten Fassung zu sagen, was er nach allen Seiten hin tief durchdacht und verarbeitet hat. Der überwuchernde Reichthum seiner Rede ist bei ihm nichts Gemachtes, Gesuchtes, wie bei Andern, die sich Seiten lang auf einem ihrer matten Laune in den Weg gekommenen barocken Einfalle selbstgefällig wiegen können; er ist die natürliche Form einer innern gewaltigen Volltönigkeit und Vielseitigkeit. Der ungewöhnliche Geist schafft sich die ungewöhnliche Form und darf wohl verlangen, daß man sich die Mühe gebe, eines aus dem andern einzusehn. Das große Publicum zählt freilich Mosaikarbeiten, wie sie Bogumil Goltz liefert, zu den Curiositäten. Es will in der Literatur vor allen Dingen seine Tagestendenzen und Leidenschaften wiederfinden, – und für diese Forderung ist er keineswegs der gesuchte Mann. – Wer aber ein Herz hat für all die tiefen Leiden und Freuden der Menschenseele, wem es ein Bedürfniß ist, sich zu erhalten vor Alltäglichkeit und Gewöhnlichkeit, der lese Bogumil Goltz. Und er wird ihn sicher lieb gewinnen! –




Der Sclavenstaat Süd-Carolina.


Die Erde ist klein und eng geworden, seitdem ihr Dampf und Elektricität als Last- und Briefträger dienen. Und was man Kosmopolitismus nennt oder unter diesem Namen vorläufig noch verhöhnt, ist insofern längst Wahrheit und Thatsache geworden, als die fernsten Gegenden und Völker in engerer Verbindung mit einander stehen, als vor hundert Jahren Provinzen ein- und desselben Staates. Welche Wasser- und Ländermassen dehnen sich z. B. zwischen Charleston und Manchester und Elberfeld? Zwischen Süd-Carolina und Norddeutschland? Und doch wird die ärmste Frau in Hinterpommern für die Sünden des kleinsten südlichen Sclavenstaates der nordamerikanischen Republiken bezahlen müssen, wenn dem ausgebrochenen Fanatismus der Sclavenhalter nicht ein rascher entscheidender Sieg der Vernunft und Menschlichkeit ein Ende machen kann.

Die nordamerikanischen Freistaaten sind in Gefahr zu zerfallen[1], sich in zwei bitterfeindliche Gruppen zu zerspalten, stehen auf dem Punkte des tödtlichsten, blutigsten Bürgerkrieges. Süd-Carolina, der kleinste von den Sclavenstaaten, hat angefangen und sich thatsächlich von der Union getrennt. Andere sind ihm bereits mehr oder weniger weit gefolgt. Alles, weil die republikanische Partei in den 33 Republiken eine Majorität bei der Präsidentenwahl erhielt und ihren sclavenfeindlichen Candidaten Lincoln, den ehemaligen Holzhacker des Urwaldes, zum Präsidenten der vereinigten Republiken erwählte. Gegen diese ganz gesetzliche Wahl empörten sich die Sclavenstaaten. Revolution und Bürgerkrieg sind thatsächlich ausgebrochen. Viele hoffen noch auf rasche Beseitigung, ehe die Wuth um sich greift. Noch beschränkt sie sich auf ein sehr kleines Gebiet, aber das böse Blut, worin sie lauert und läuft, pulsirt über Hunderttausende von Geviertmeilen. Was soll daraus werden? Allerdings haben wir im kleinen Europa den Kopf schon voll genug, aber dessenungeachtet müssen wir den amerikanischen Angelegenheiten noch ein Plätzchen zu verschaffen wissen: es sind auch die unsrigen, ganz prosaisch und praktisch genommen.

Zunächst fürchtet England den tödtlichsten Schlag mitten auf den Kopf seiner Haupt-Industrie, wenn die Südstaaten Amerika’s mit den nördlichen in einen Revolutions- oder Bürgerkrieg gerathen. England hat über 1,200,000,000 Thaler in der Baumwollen-Industrie stecken, deren Verwerthung in gerader Linie von den Baumwolle liefernden südlichen Sclavenstaaten abhängt, ebenso das Leben von mehr als 4 Millionen Arbeitern, da England 80 Procent seiner Rohbaumwolle durch Spedition der nördlichen von den Südstaaten der amerikanischen Republiken bezieht. Bürgerkrieg, Revolution, wohl gar Sclavenaufstand in den letzteren heißt Brodlosigkeit für 4 Millionen Engländer und Tod von mehr als 1000 Millionen Thalern, heißt nicht nur rasche Vertheuerung aller baumwollenen Hemden, Strümpfe und Taschentücher, aller baumwollen-leinenen, baumwollen-wollenen und baumwollen-seidenen Schnittwaaren, sondern auch Mangel an Waaren und Werthen, womit jetzt deutsche Industrieartikel im Handel bezahlt werden, heißt also auch Theuerung, schlechtes Geschäft, Brodlosigkeit in Deutschland, das ohnehin schon mit dem übrigen Europa, an den Sünden seiner letzten 12 Jahre büßend, gehörig an schlechten Industrie- und Handelszuständen und an allseitigen Kriegsaussichten leidet.

Und da sollen wir noch die schauderhaften Aussichten Amerika’s zu unserm Unglück hinzufügen?

So schlimm ist’s hoffentlich nicht. Wollen wir auch nicht in feiger Strauß- und Philisterweise unsere Köpfe gegen die Gefahren verstecken, da es immer edler, außerdem vortheilhafter ist, ihnen

  1. Ueber die augenblickliche Krisis in Amerika und deren Ursachen werden wir in nächster Nummer einen aufklärenden Artikel bringen.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_135.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2022)