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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Kriegsgesänge, die wir lebhaft besprachen und in deren feurigen, hinreißenden Klängen wir den entsprechendsten Ausdruck für unsere Gefühle fanden. Waren es doch dieselben Lieder voller Muth und Kraft, wodurch um jene Zeit so mancher deutsche Jüngling für den Kampf gegen den Unterdrücker deutscher Freiheit gewonnen und zu freudigem Muthe und kühner Entschlossenheit begeistert wurde.

Ach! wir hatten damals keine Ahnung davon, daß der edle, jugendliche Dichter in denselben Augenblicken, kaum eine Stunde von uns entfernt, in einer ohnweit des Dorfes Kitzen[1] gelegenen Buschstrecke schwer verwundet und hülflos darniederlag, rings von Feinden umgeben, dem Tode nahe.

Eine verspätete Heimkehr war um jene Zeit jedoch immer noch bedenklich, und besonders Waldwege bei einbrechender Nacht, der noch häufig maraudirenden Soldaten wegen, nicht allzu sicher. Wir beschleunigten deshalb unsere Schritte, um so bald als möglich nach dem Schlosse Eythra zu gelangen. Allein noch hatten wir nicht die Mitte des parkähnlichen Stockweges erreicht, als wir plötzlich Hufschläge vernahmen und zwar so wiederholt und so vielfach, daß wir über die Annäherung eines starken Detachements von Kavallerie nicht lange in Zweifel sein konnten. Was wir indeß, an derlei Erscheinungen gewöhnt, ziemlich furchtlos erwarteten, geschah nicht. Einige Augenblicke später erschienen nur einzelne Reiter, deren Uniform uns völlig unbekannt war und die in raschem Trabe an uns vorüberjagten. Noch blickten wir ihnen staunend nach, als plötzlich mehrere reiterlose Pferde aus dem Gebüsch hervorbrachen, einen Augenblick stutzten und dann, der Spur der Reiter instinctmäßig folgend, den Weg in gleicher Richtung dahin galoppirten. Es war eine Schecke darunter mit herabhängendem Mantelsacke, sowie ein schwerverwundeter, augenscheinlich durch den Hals geschossener Schimmel.

Befremdet blickten wir uns an. Auf meines Begleiters besorgte Frage, welche Bedeutung diese Erscheinung inmitten des Waffenstillstandes haben könne, wußte ich eben so wenig zu antworten, als er selbst; nur so viel erschien uns Beiden als gewiß, daß in der Nähe ein kriegerischer Zusammenstoß stattgefunden haben mußte.

Wir sollten indessen nicht lange darüber in Ungewißheit bleiben; denn nachdem noch einige, ebenfalls schwer verwundete Pferde an uns vorübergeeilt waren und wir uns so ziemlich in der Nähe der sogenannten langen Elsterbrücke befanden, stürmte mit einem Male ein ganzer Reitertrupp in ziemlich geschlossener Haltung uns entgegen. Es waren beiläufig 15 bis 17 Mann, in deren Gefolge sich noch vier ledige Pferde befanden.

Der Anführer rief, als er uns erblickte, den Säbel schwingend, uns sofort ein donnerndes „Halt“ zu, und drohend umzingelten uns seine Begleiter. Zwar erschrocken, aber doch ruhig und gefaßt, fragten wir freundlich, was zu Diensten stehe. Dadurch etwas milder gestimmt, senkte er die Waffe und sagte: „Meine Herren! Ich hoffe Freunde in Ihnen zu sehen, die uns in unserer großen Bedrängniß Ihren Rath, Ihre Hülfe nicht versagen werden. Wir gehören zu Lützow’s Freicorps, jener Schaar, von der Sie gewiß schon gehört und die unsern Feinden, den Franzosen, stets ein Dorn im Auge gewesen ist. Dennoch glaubten wir von dem allgemeinen Waffenstillstände nicht ausgeschlossen zu sein. Wir haben uns getäuscht. Sorglos, am wenigsten eines blutigen Straußes gewärtig, schlugen wir heute den Weg nach Leipzig ein, wurden jedoch bei Kitzen von einem an Stärke uns weit überlegenen französischen Detachement überfallen und trotz der tapfersten Gegenwehr zersprengt. Was nicht gefallen unter den Klingen unserer erbitterten Feinde, wird nach allen Seiten hin verfolgt. Uns selbst, die wir treulich zusammenhalten, droht vielleicht größere Gefahr, als wir ahnen, denn sicher sind uns die Feinde auf der Ferse. Daher retten Sie uns, sofern Sie es irgend vermögen.“

So sprach der Mann, während seine Gefährten ernst und schweigend auf uns herabschauten. Unser Entschluß wurde so schnell gefaßt, als es die Dringlichkeit des Augenblickes erforderte. Hier galt kein Zögern. Die geringste Säumniß konnte die Flüchtigen in die Hände des Feindes liefern, selbst der ernsten Erwägung der eignen Gefahr, des Unheils, das uns bei Begünstigung dieser Flucht leicht selbst treffen konnte, durfte keinen Augenblick Raum gegeben werden. Die Lage der Unglücklichen drängte zu raschem Handeln, um so mehr, als sich ein schwer Blessirter unter ihnen befand, der, durch einen Säbelhieb am Kopfe verwundet, der schleunigsten ärztlichen Hülfe bedurfte.

Während sich daher Freund H., von dem Anführer und einem Unterofficiere begleitet, nach dem herrschaftlichen Schlosse zu Eythra begab, um dort einen Wundarzt zu requiriren, forderte ich die Uebrigen auf, mir in aller Stille zu folgen, da ich eine nicht weit entlegene, vom Wald umsäumte Wiese vorläufig wenigstens als das sicherste Versteck für die Flüchtigen ansah.

Bald hatten wir das Asyl erreicht. Die Reiter saßen ab, aber groß war ihr Mißtrauen und ihre Furcht vor etwaigem Verrath, denn als ich mich nur einige Schritte weit entfernen wollte, um nach H.’s Rückkehr zu spähen, wurde ich fast mit Gewalt zurückgeführt und dringend bat man mich, die Bedrängten nicht zu verlassen.

Glücklicherweise erschien H. mit seinen Begleitern bald wieder, gefolgt von dem Eythraer Wundarzt, der mit der ihm eigenen, in den letzten Kriegsjahren schon oft erprobten Geschicklichkeit den Verwundeten verband. Die Gemüther beruhigten sich, der Rest von Mißtrauen entschwand mit der kaum nöthigen Bitte um Verschwiegenheit an den uns als Ehrenmann ausreichend bekannten Doctor.

Nach seiner Entfernung wurde ein Art von Kriegsrath gehalten und über weitere Maßnahmen berathen.

„Halten Sie den Platz für sicher? Sind wir vor jeder Verfolgung gedeckt?“ fragte mich der Führer.

„Nein.“

„Aber wohin nun? Fürchten Sie nicht, daß ein nochmaliger Wechsel unseres Asyls uns neuen Gefahren entgegenführen kann?“

Ich war der Gegend vollständig kundig, kannte namentlich jeden Schlupfwinkel und verdeckte Waldwege, in die der verfolgende Feind nimmermehr zu dringen vermochte.

„Folgen Sie mir,“ versetzte ich ruhig; „ich weiß ein völlig sicheres Versteck, und den Weg dorthin wird ein Franzmann schwerlich finden.“

Nach kurzer Berathung ward mein Vorschlag einstimmig angenommen, doch mußte ich ein Pferd besteigen und mich an die Spitze der Truppe begeben. Es war ein etwas mühsamer, oft sich windender Weg, auf dem der lange Reiterzug bald durch Wiesen und Lichtungen, bald durch Wald und Gestrüppe sich bewegte, bis wir endlich gegen neun Uhr auf einer kleinen Wiese am sogenannten Rüsterhölzchen anlangten. Sie war mir gleich im Anfange als der einzig geeignete Punkt für unsern Zweck eingefallen. Kein Fahrweg führt dorthin, selten überhaupt betrat eines Menschen Fuß die kleine Einöde, die auf der einen Seite durch den Wald und einen Mühlgraben geschützt, auf der andern durch den in den letzten Tagen beträchtlich angeschwollenen Elsterfluß gedeckt wurde.

Hier, im sichern Bivouac, athmete nun unsere kleine Gesellschaft freier, nachdem ein mich begleitender Unterofficier die nächsten Environs umritten und unser improvisirtes Lager für sicher erklärt hatte. Ein Wachtposten wurde aufgestellt, die ermüdeten Pferde abgezäumt und gekoppelt, denn die üppig grünende Wüste bot den trefflichsten Weideplatz, und Wasser für die am heißen Kampfe fast verdursteten Thiere lieferte der nahe Fluß in genügender Menge. Aber auch für die Reiter und deren nicht minder dringende Bedürfnisse trug Freund H., der mit dem Führer der Truppe zum zweiten Male nach Eythra sich begeben, schleunigst Sorge.

Schon gegen 11 Uhr rief unser Wachtposten an, erschrocken sprangen die Meisten auf, aber der Kommende war der Schloßnachtwächter, hochbepackt mit Speise und Trank.

„Einen schönen Gruß, und hier schicken sie den Herren Reitern einen Korb voll Lebensart.“ So lautete wörtlich die Botschaft der alten treuen Seele. Jubelnd wurde der Alte empfangen. Uns gingen jetzt die „Mittel“ über Alles, doch sandten die Herren schönen Dank und Gruß nach Eythra. Die „Lebensart“ war ihnen noch nicht abhanden gekommen, trotz dem wilden Kriegerleben. Nur abgekürzt wurden die Complimente etwas, denn einen Augenblick später lag die Schaar schon um den köstlichen Korb und entwickelte eine Thätigkeit, die meinem gleichfalls laut gewordenen Magen eben nicht die glänzendsten Aussichten übrig ließ. Jedoch die Befürchtung war grundlos. Die Sendung erwies sich als so umfänglich,

  1. Durch den Ueberfall der Lützow’schen Schaar an jenem Tage historisch bekannt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_142.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)