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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

daß selbst für die Pferde zuletzt noch einige Brocken Brod übrig blieben.

Größere Ruhe trat nun ein. Die kleine Schaar lagerte sich im Kreise, und es kam zu interessanten Mittheilungen. Die Mehrzahl der meist noch jungen Helden gehörte angesehenen und wohlhabenden Familien an. Einige unter ihnen hatten erst ohnlängst die Universität Halle verlassen, um, den Schläger mit dem Schwerte vertauschend, jenem hohen Rufe „An mein Volk!“ zu folgen, der Tausende zu dem begeisterten muthigen Kampfe für die Rettung des Vaterlandes unter die Waffen sammelte. Es waren keine Krieger gemeinen Schlages, am wenigsten Söldlinge, schwerlich einer unter ihnen, der nicht von der ernsten und schweren Bedeutsamkeit seiner Aufgabe erfüllt gewesen wäre.

Manches kühne Wagstück war ihnen schon gelungen, und oft war der entscheidende Schlag von der Lützow’schen Schaar ausgegangen. Es war daher eben kein Wunder, daß der französische Kaiser dem Freicorps so wenig günstig war, daß er dasselbe von den Vortheilen der Waffenruhe ausschloß und es der allgemeinen Rache seiner erbitterten Soldateska preisgab. Der heutige fast „katzenartige“ Ueberfall bei Lützen zumal hatte die Lützower über die Bedenklichkeit ihrer Lage belehrt.

Die Stimmung, welche in dsm kleinen Bivouac herrschte, konnte daher bei aller Gemüthlichkeit der Unterhaltung eine heitere Färbung nicht erlangen. Die Meisten sprachen ihren Haß gegen die Franzosen in den bittersten Worten aus, und wo eine minder gereizte Stimme sich erhob, geschah es andererseits nur in gerechter Klage über den großen Verlust, den ihnen auch der heutige Ueberfall wieder gekostet hatte. So mancher Brave war unter den feindlichen Kugeln gefallen, manches treuen Freundes wurde gedacht, der im Schlachtgewühl verschwunden war. Was sein Loos gewesen; ob dort unter der Zahl der Todten bereits seine letzte Stunde geschlagen, oder ob er, den erbittertsten Feind auf der Ferse, rathlos jetzt vielleicht umherirrte – wer konnte es wissen? Insbesondere wurde auch Theodor Körner’s wiederholt erwähnt. Einer seiner jüngsten Kampfgenossen hatte ihn noch in den letzten Stadien des Gefechtes in der größten Gefahr und bereits aus mehreren Wunden blutend gesehen; andere hatten seine Rettung, leider erfolglos, versucht und ihn erst in dem Augenblicke verlassen, wo die Flucht unvermeidlich war.

„Wohl ihm,“ sagte ein hoher junger Mann, über dessen gebräuntes Antlitz die bittere Erfahrung bereits den Ernst des Mannesalters gebreitet hatte – „wohl ihm, wenn er auf dem Bette der Ehre den schönsten Lohn für sein thatenreiches Leben gefunden, aber wehe ihm, wenn er lebend in die Hände des Feindes gefallen ist! Ich fürchte sehr, daß er dann nur dem schrecklichen Loose entgegen geht, das einst Schill’s tapfere Officiere zu Wesel betraf. Der Herzog von Padua liegt als Gouverneur in Leipzig. Wird Körner vor sein Tribunal gebracht, so ist keine Gnade für ihn zu erwarten.“ [1] Wir Alle blickten ernst und gedankenvoll nach dem Sprecher, in dessen Auge selbst eine Thräne glänzte, als er diese Worte sprach. Die Unterhaltung stockte mehr und mehr; bald vereinzelte sich die Schaar zu kleineren Gruppen, die die Ruhe suchten, und selbst der Rest, unter dem auch ich mich befand, setzte nur noch kurze Zeit die Unterredung fort. Dennoch war es ziemlich ein Uhr, als auch wir uns nach einer Lagerstätte umsahen.

Gleich den Meisten wählte ich einen Sattel zum Kopfkissen, aber mein leichtes Sommerhabit bot keinen Schutz gegen die ungewohnte nächtliche Kühle. Alles schlummerte bereits bis auf den armen Blessirten neben mir, der oft und laut über Schmerzen klagte; nur ich war noch munter. Die merkwürdigen Ereignisse des Tages traten noch einmal vor meine Seele, mit ihnen die große Gefahr, die ich mir keinen Augenblick verhehlt hatte, und in der wir jetzt noch schwebten, falls Zufall oder Verrath die Feinde nach unserem Versteck führen sollte. Wäre es ihnen in diesem Falle gelungen, uns zu umzingeln, so blieb uns nichts übrig als die Gefangenschaft mit allen ihren unheilschweren Folgen oder ein tollkühner Sprung in die Elster, die bei ihrer dortigen Tiefe dem des Schwimmens Unkundigen nur sehr spärliche Aussicht auf Rettung bot. In solcher Lage erschien denn unser Loos allerdings nicht beneidenswerth.

Aber die Nacht verstrich, wenn auch langsam, doch ungefährdet. Bald vergoldete das herrlichste Frühlicht die Wipfel der Bäume, flockenartig verschwammen die Nebel, und der junge Tag grüßte die seltsame Gruppe, die meist noch Schlummernde zählte.

Allmählich wurde es aber lauter und lebendiger in dem kleinen Lager. Die Reiter erhoben sich meistens Alle, die Pferde wurden zur Tränke geführt, während Andere die nächsten Umgebungen spähend umritten, um sich auch heute von der Sicherheit des Versteckes zu überzeugen. Nichts Verdächtiges wurde entdeckt, Ruhe herrschte rings umher.

Gegen 8 Uhr sandte H. ein reichliches Frühstück, dem wir lange sehnlichst entgegengesehen hatten. Es wurde sofort verzehrt, aber noch war man damit beschäftigt, als plötzlich der Wachtposten anrief und eine bedenkliche Erscheinung Alles in Alarm setzte. Am jenseitigen Ufer erschien nämlich ein Angesessener aus L., ein Roßhändler, der kaum unserer Pferde ansichtig wurde, als er, von dem Instinct seines Gewerbes geleitet und augenscheinlich mit der Oertlichkeit sehr bekannt, auch sofort eine tiefer liegende seichte Stelle des Flusses durchschritt und gleich darauf in unserer Mitte erschien. Es ist höchst wahrscheinlich, daß der Mann keine Ahnung von unserer Lage hatte. Aber das Leuten seines Gleichen so eigene dreiste Auftreten, die Zudringlichkeit, mit der er sich zum Ankauf der überzähligen Pferde wiederholt erbot, ließ ihn doch verdächtig erscheinen. Barsch wies ihn der Wachtmeister zurück, aber nur langsam und zögernd trat er den Rückweg an und verschwand erst nach langer Zeit mit seinen mageren Gäulen wieder, die einstweilen am jenseitigen Ufer gegrast hatten. Vergebens suchte ich meine Schutzbefohlenen zu beruhigen. Das Gefühl der Sicherheit war bei ihnen verschwunden; auf das Dringendste forderten sie mich zu weiteren Schritten für ihre Rettung auf.

Ich war in der ersten Ueberraschung gänzlich rathlos, obgleich ich in der Nacht schon über fernere Maßnahmen gesonnen hatte. Endlich beschloß ich nach Eythra zu gehen, um mich dort von der Sicherheit des Ortes zu überzeugen. Wiederholt bot man mir ein Pferd zu diesem Behufe an, aber ich zog es vor, den Weg zu Fuß zurück zu legen. Glücklicherweise begegnete mir schon nach zehn Minuten ein zuverlässiger Mann, der mir versicherte, daß Eythra von französischer Einquartierung völlig frei sei. Eilig kehrte ich zurück, und da die Reiter in der kurzen Zwischenzeit bereits die Pferde gesattelt und Alles zum Abmarsch vorbereitet hatten, so befanden wir uns kaum eine Viertelstunde später schon auf der offenen Straße, und in gestrecktem Galopp, mich, den jetzt gleichfalls berittenen Führer, an der Spitze, erreichte der Zug gegen 10 Uhr den Eythraer Schloßhof.

Der Actuar H. und seine Gefährten traten uns bestürzt entgegen; ein solches Wagstück hatte Niemand erwartet, aber es hatte einen anderen Ausweg nicht gegeben. Daß trotz der momentan völligen Sicherheit des Ortes die größte Gefahr im Verzuge lag, dessen waren wir aber Alle genügend überzeugt. Und darum wurde auch unverzüglich beschlossen, die Flüchtigen weiter zu befördern und zwar nach Halle, wo sich ihnen der nächste völlig ungefährdete Zufluchtsort darbot. Während der Rittergutspachter Renker eine ausreichende Anzahl von Civilkleidern herbeizuschaffen suchte, inzwischen auch Veranstaltung zu einem zweiten, möglichst substantiellen Frühstück getroffen hatte, suchte ich im Dorfe nach einem passenden Führer. Die Wahl wurde mir nicht schwer.

Im Dorfe lebte ein Schneider, der vormals als sächsischer Kavallerist manchen schlauen Streich ausgeführt hatte, überhaupt als ein entschlossener Mann bekannt war. Daß dieser die Gelegenheit nicht von der Hand weisen würde, den alten Ruf auf’s Neue zu bethätigen, erschien mir gewiß und ich hatte mich nicht getäuscht. Kaum hatte er mein Anerbieten vernommen, als er Zwirn und Nadel in die Hölle warf.

„Bravo, Herr Cantor!“ rief er und schlug in die dargebotene Hand. „Das ist eine Partie für mich. Eher lasse ich mich von den Franzosen in Stücken hauen, als daß ich die Lützower nicht nach Halle bringen sollte.“

Auf dem Schloßhofe war inzwischen die Metamorphose unserer kriegerischen Freunde bereits erfolgt, sämmtliche Pferde waren dem Pachter für einen sehr mäßigen Preis (6 Thaler pro Stück) überlassen worden, und nur Säbel und Pistolen verblieben den Braven, die Beiden

  1. Diese für den Fall der Gefangenschaft Körner’s leider nur zu begründete Befürchtung wurde glücklicherweise nicht zur Wahrheit. Er war nach muthiger Gegenwehr den Feinden entronnen und hatte, wie schon oben gedacht, in einem Wäldchen bei Kitzen Schutz gefunden. Dort fand ihn spät am Abend ein wackerer Landmann, der den schwer Blessirten noch während der Nacht nach Großzschochen zum Pastor Schlosser brachte, von wo aus er nach einigen Tagen, und zwar gleichfalls des Nachts, auf einem Kahn nach Leipzig geschafft wurde.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_143.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)