Seite:Die Gartenlaube (1861) 172.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

bis man sich ein paar tausend Fuß über dem wie ein Faden darunter hinschießenden Flusse befand, um in der nächsten halben Stunde gerade hinein selbst bis in das wirkliche Bett desselben zu führen. Auffällig hatte sich indessen schon in den ersten drei Stunden die ganze Vegetation, ja der ganze Charakter des Landes selbst verändert.

Mit Paramba schloß eigentlich die wirkliche Palmengrenze ab, und wenn auch San Pedro noch voll zu den Tropen gehörte, lag es doch schon außer diesen schlanken Kindern der heißen Zone. Von hier ab aber nahm selbst der dichte, furchtbare Wald ein Ende, durch den hin ich mich so manche schwere, mühselige Stunde gearbeitet. Die Berge fingen an lichte, mit hohem, gelbem Gras bewachsene Stellen zu zeigen, und wenn auch an der andern Seite des Flusses noch hie und da kleine Ansiedlungen mit breitblätterigen Bananen lagen, zeigten die hohen, steilen Hänge darüber einen vollkommen nördlichen Charakter. Ja, eine Stunde später verließen wir die Bäume ganz, der Regen, der mich bis dahin verfolgt, hatte aufgehört, der Boden war hart, sandig und kahl – kurzes, scharfes Gras ausgenommen, das jetzt einige der Gebirgshänge bis in die höchsten Wipfel hinein bedeckte.

Das Land hier war aber nur sehr schwach besiedelt, und selbst spärlich Vieh sah man an den Hängen, die sicherlich zahlreichen Heerden Nahrung geben könnten. Die Civilisation, wenn man diese Menschen wirklich zur Civilisation gehörig rechnen kann, war noch nicht hierher gedrungen, denn nirgends hin war eine Möglichkeit, das hier Gezogene absetzen zu können, und die wenigen Menschen, die hier wirklich lebten, konnten fast als Einsiedler betrachtet werden.

Höchst interessant war es aber für mich, diese Grenze zwischen tropischem und gemäßigtem Klima zu betrachten, die sich vollkommen deutlich herausstellte, obgleich nicht die geringste gewaltsame Scheidewand zwischen ihnen aufgeworfen wurde. Da war kein steiler, mächtiger Berg, auf dessen hohem Gipfel Weizen gebaut wurde, während unten im Thal die Banane wuchs – wie man das selbst weiter oben in den Cordilleren findet. – Ganz allmählich nur stiegen die Berge auf, kaum bemerkbar, da man fast eben so viel bergab wie bergauf klettern mußte, und doch wurde von hier ab die tropische Welt mit Gewalt in den Hintergrund gedrängt.

Was der Boden aber hier erzeugen konnte, war man natürlich nicht im Stande zu sehen, da nicht der geringste Versuch bis jetzt gemacht worden, das zu erproben. Maulthiere, Pferde und Esel weideten an den Hängen, und tief im Thal, wohin der scharfe Wind nicht dringen konnte, der von den Cordilleren niederwehte, hatte hier und da einer der Eingeborenen sich der gewaltigen Anstrengung unterworfen, ein paar Pisangpflanzen zu stecken und etwas rothen Pfeffer auf die Erde zu werfen – und in welchem Ueberfluß könnten diese Leute leben, wenn sie wirklich arbeiten wollten!

Wir ritten den ganzen Tag, ohne auch nur ein einziges Haus in unserer Bahn zu finden. Einmal sahen wir ein paar Häuser zur Rechten, aber es war nicht das Geringste dort zu bekommen, weder für Pferd noch Mann, und erst Abends, eine halbe Stunde nach Dunkelwerden erreichten wir die Heimath meines Führers, bei dessen Mutter wir übernachten sollten. Dort wenigstens war, wie er behauptete, der einzige Platz, an dem wir Futter für die Pferde finden konnten. – Ich werde diese Nacht im Leben nicht vergessen.

Schon beim Eintritt in das Haus, ja beim Einreiten in den Hof kam mir ein Geruch entgegen, als ob wir uns einer Scharfrichterei näherten, und in dem Hause selber fand ich die traurige Ursache. Die Ueberreste von Gott weiß wie vielen Kühen, denn ich konnte sechs Kinnbacken zählen, hingen darin in Stücken geschnitten und getrocknet, und die zärtliche Mutter ging nach der ersten Begrüßung daran, uns von diesem „Fraß für Raben“ ein leckeres Mahl zu bereiten. Sogar Zeuge mußte ich von der Zubereitung sein, die mir der Leser ersparen mag, denn er glaubt mir doch nicht, was ich mit eigenen Augen sah; kurz, mit kleingeschnittenen grünen Bananen wurde dies Fleisch in einen Topf geworfen, oberflächlich abgekocht und uns dann in kleinen hölzernen, nie gewaschenen Holznäpfen servirt.

Ich war sehr hungrig und fest entschlossen, wenigstens den Versuch zu machen, um zu essen – aber es ging nicht. Mit dem ersten Bissen bekam ich eine halbfaule Sehne in den Mund, biß einmal darauf und mußte dann rasch das Haus verlassen. Ich entschuldigte mich mit Unwohlsein und legte mich auf ein ausgespanntes Kuhfell, dort die Nacht eine Legion von halbverhungerten Flöhen zu füttern. Der gehorsame Sohn aß indessen zwei Näpfe dieser Speise leer, und ich konnte es zuletzt vor lauter Ekel nicht mehr mit ansehen. Am nächsten Morgen das nämliche Frühstück, von dem ich wieder nichts über die Lippen bringen konnte, und mit leerem Magen stieg ich in den Sattel.

Der Weg war hier der nämliche: fortwährend auf und nieder, noch steiler und steiniger womöglich als gestern. Wir passirten ein kleines Städtchen, Guajerre, aber es war nichts darin zu bekommen, nicht einmal eine Banane. Der Boden wurde hier trockener und dürrer, dorniges Gesträuch wechselte mit Aloe und Cactus auf weißlichem Sand – die Berge wurden kahler und höher, und Alles verrieth, daß wir immer weiter in die Gebirge hinaufrückten. Hier betraten wir übrigens auch einen sehr dürren Strich Landes, in dem fast weiter nichts erzeugt wird als Salz. Ein kleines Städtchen Salinas ist hier errichtet, in dem sich fast jeder Bewohner nur vom Salzauskochen nährt. Das Salz wird dann von hier auf Maulthieren nach Ibarra und selbst bis nach Quito hinaufgeschickt.

Salinas erreichten wir etwa um 1 Uhr Mittags, und Alles, was ich hier bekommen konnte, war etwas Chocolade und Brod und reife Bananen – ein wahrhaft lucullisches Mahl, an dem ich mich vollständig wieder erholte. Wir fütterten die Pferde hier, ließen sie ein paar Stunden rasten und setzten um 3 Uhr unseren Weg nach dem nicht mehr fernen Ibarra fort. Es war übrigens gut, daß ich schon in San Pedro die Thiere dorthin accordirt hatte, denn in Salinas hätte ich keine miethen können. Hier zum ersten Male hörten wir die Klage über den Krieg, daß er die Lebensmittel alle so theuer gemacht und fast sämmtliche Pferde aus dem Lande geführt hätte. Ich würde, wie man mir sagte, selbst in Ibarra Schwierigkeit haben, Pferde zu bekommen, und möchte mich nur in Zeiten danach umsehn.

Von dem Schmutz der Bewohner bekam ich hier in Salinas wieder eine Probe, die aber nicht so tragische Folgen für mich hatte. Während ich mit meinem Führer unsere Chocolade verzehrte, kam eine Señora in den kleinen Kaufladen oder das Café – ich weiß nicht wie ich die Lehmbude nennen soll, und brachte ein Kind mit, das wohl in den letzten sechs Monaten keinen Tropfen Wasser gesehen hatte. Das Kind mochte zwei Jahr alt sein und leistete in den wenigen Minuten, die es sich in unserer Gesellschaft befand, das Aeußerste in Sachen, die sich eben nicht wieder erzählen lassen. Die Señora, die ein altes, verblichenes, aber sehr buntfarbiges Seidenkleid trug, schien das Alles zu unserer besonderen Erbauung vorbereitet zu haben, so dicht vor und neben uns und so öffentlich wurde Alles abgemacht. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie mir den Appetit auch verdorben, aber das ging heute nicht; als sie aber die Unverschämtheit hatte, mich zu fragen, ob es in meinem Lande auch solche niedliche Kinder gäbe, gewann der Ingrimm die Oberhand. Es war immer eine „Dame“, die Frage verdiente aber eine Antwort, und ich konnte mir nicht helfen, ich sagte: „So niedliche wohl, aber so schmierige nicht.“ Die Wirkung war zauberschnell und äußerst befriedigend. Die Señora warf mir einen Dolch- und Revolverblick zu, raffte ihr Kind, wie es war – und wie war es! – vom Boden auf und verschwand damit aus dem Hause.

Abends mit Dunkelwerden erreichten wir Ibarra, die größte Stadt der Provinz Imbabarra, in einem herrlichen, fruchtbaren und dicht bevölkerten Thal. Hier war augenscheinlich ein anderes Leben, als ich in dem Wald verlassen hatte; hier war Cultur wie Civilisation, mitten in den Bergen, und freundliche Häuser und Gärten verriethen, daß auch der Luxus schon seinen Wohnsitz hier aufgeschlagen. Ein für den Fremden höchst mißlicher Umstand besteht aber in diesen Städten des Inneren, die auf einen Fremden-Verkehr nicht im Geringsten eingerichtet sind – daß es eben gar keine Gasthäuser (hier posadas genannt) bei ihnen giebt. Von Jedem, der in eine solche Stadt kommt, erwartet man auch, daß er irgend einen Gastfreund hat, bei dem er wohnen kann; unter keiner Bedingung findet er ein Hotel.

Unterwegs war ich nun noch nicht im Stande gewesen, meine schon am Pailon ruinirte und durch den Weg hierher zuletzt noch aufgeriebene Garderobe wieder in Stand zu setzen. Ich war total abgerissen, und von Schmutz und Staub bedeckt, ohne Schuhe und Strümpfe, ohne Hut, denn mein alter Filz hielt kaum noch auf dem Kopfe zusammen. Deshalb war es mir auch vollkommen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_172.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)