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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

nicht schön?“ sagte sie mit einem Blicke des Glücks, „und geht wohl etwas im Leben über die Kunst?“

Beide wurden aus ihren Empfindungen durch ein Rasseln an der Thür geschreckt, und Mathilde that, wie jetzt erst sich ihrer Stellung bewußt werdend, zwei rasche Schritte zurück.

„Ach was, das sind auch Musiker, da braucht’s nicht die vielen Umstände!“ klang es durch den geöffneten Eingang, in welchem sich jetzt neben der Wirthin eine kleine ältliche Männergestalt mit zwei runden Brillengläsern auf der weit hervorspringenden Nase zeigte und, wie etwas betroffen von der Erscheinung des Paares, abwechselnd den Kopf nach dem jungen Mädchen und dem jungen Manne drehte. „Sind doch Musiker, nicht wahr?“ sagte er endlich, an den letzteren herantretend.

„Nicht ganz, lieber Herr!“ erwiderte dieser, welchen die formlose Unterbrechung unangenehm berührt hatte, „ich gehöre zum Kaufmannsstande, wenn Sie es durchaus wissen müssen, und das hier ist meine Schwester.“

„Kaufmannsstand – sind doch erst von Deutschland gekommen und werden also wohl eine Stelle suchen wollen – Kaufmannsstand bei so einem Striche auf der Geige!“ schüttelte der Alte den Kopf, ohne anscheinend Reichardt’s verdrießliche Miene zu bemerken. „Wegen der Lady habe ich freilich nichts zu sagen; Sie wissen aber wohl noch nicht, wie lange Sie hier laufen können, ehe Sie einmal einen Platz mit ein paar Dollars bekommen? Jedes Schiff bringt deutsche Handlungs-Commis, sie müssen aber fast Alle zu einem andern Geschäfte greifen, und die Klügsten thun es, ehe ihr Geld aufgezehrt wird. Wenn Sie gescheidt sind, so nehmen Sie gleich jetzt mit, wo Sie einen Verdienst finden. Ich habe viele Tanz-Parties zu spielen – nur in reichen Familien, verstehen Sie – und wenn Sie mit mir gehen wollen, so haben Sie für jeden Abend einen Dollar. Wir sind auch jetzt dran, ein ordentliches Corps für Blasmusik zusammenzubringen; das Althorn können Sie geschwind lernen, und bis dahin schlagen Sie beim Ausrücken die Trommel –“

„Ich denke, nicht, lieber Mann!“ unterbrach ihn Reichardt, dessen Unmuth sich vor der sonderbaren Weise des Sprechenden in einen halben Humor verwandelt hatte; um Mathildens Mund aber hatte es bei dem Trommel-Anerbieten zu zucken begonnen, als halte sie nur mühsam ein lautes Lachen zurück.

Der „Musiker“ warf einen neuen Blick in die Gesichter des jungen Paars und zuckte dann mit den Achseln. „’s ist kein Geschäft zu verachten in Amerika, das Geld einbringt; werden’s vielleicht auch erst noch ausfinden müssen wie Andere,“ sagte er, die Nase hebend, „im Uebrigen will ich nichts Böses gesagt haben!“ Er nickte mit dem Kopfe und wandte sich wieder zurück, von der Wirthin gefolgt, deren Gesicht die heitere Laune ihrer jungen Gäste widerzuspiegeln schien.

„Jedenfalls doch eine Aussicht!“ rief Reichardt launig, die Violine wieder in den Kasten bergend, „wollen’s als ein gutes Zeichen nehmen, das uns der erste Tag sogleich entgegenbringt!“

„Mir hat der Mensch, trotz seiner Tollheit, die ganze schöne Stimmung verscheucht,“ erwiderte Mathilde, ohne doch das hervorbrechende Lachen unterdrücken zu können; „er kam mir fast mit seiner langen Nase wie ein Rabe vor, der seine Unglücksprophezeiungen in unsere Freude hineinkrächzen mußte – aber mag’s drum sein, ich habe mir vorgenommen, mich heute nicht zu kümmern! – Laß Dich jetzt in Deiner Bequemlichkeit nicht weiter aufhalten, Bruder Max,“ fuhr sie fort, die zur Seite geschobenen Goldstücke auf seinen Kasten legend, „wie wir es uns überhaupt zur Regel machen wollen, uns niemals gegenseitig zu geniren!“ Sie reichte ihm mit offenem Blicke die Hand, und Reichardt verließ das Zimmer, um nach der Unterbringung seiner eigenen Habseligkeiten zu sehen. – –

Vier Wochen waren verstrichen. Reichardt hatte seine Empfehlungsbriefe an ihre Adressen, unter denen sich Handelshäuser von Bedeutung befanden, abgegeben, war freundlich begrüßt und zu weiterem Besuche eingeladen worden; so hoch sich aber auch seine Hoffnung in der ersten Woche gehalten hatte, so schien doch jeder folgende Tag nur dazu gemacht zu sein, um ein Stück nach dem andern davon wegzubrechen. Er hatte offen seine Verhältnisse, die ihn auf baldige Beschäftigung anwiesen, dargelegt und Versprechungen für Berücksichtigung und Verwendung erhalten; bei seinen spätern Besuchen waren es aber nur dieselben allgemeinen Worte wieder, welche er hörte, und als er endlich sich nach der Möglichkeit einer einigermaßen bestimmten Aussicht erkundigte, wurde ihm hier ein Achselzucken, dort eine Klage über Ueberfüllung an jungen Leuten und am dritten Orte eine Vertröstung auf den Zufall, welcher jeden Tag eine Vacanz herbeiführen könne. In der dritten Woche schienen seine fortgesetzten Besuche schon lästig zu werden; es ward ihm bedeutet, daß man ihm wissen lassen wolle, sobald sich etwas finde, daß er aber jedenfalls gut thue, sich, ehe er sein Geld aufzehre, nach irgend einer andern Beschäftigung umzusehen. Von diesem Augenblicke an hatte er seine täglichen Rundgänge unterlassen, aber seine Dienste durch mehrere Zeitungen unter Namhaftmachung der Häuser, welchen er empfohlen war, angeboten. Acht Tage lang hatte er sich vorgenommen zu warten, ehe er auch diese Hoffnung aufgäbe; aber die vierte Woche war verstrichen, ohne daß es nur schien, als habe Jemand seine sechsmal wiederholte Anzeige gelesen. Oft hatte er während dieser Zeit gewünscht, einen Freund zu haben, gegen den er sich wenigstens aussprechen könne, und er hatte sogar einmal den Versuch gemacht, den Kupferschmied wieder aufzusuchen, ohne indessen eine Spur des Wegs, den dieser beim Verlassen des Shakespeare-Hotels genommen, finden zu können.

Zu Mathilden mochte er nicht reden; sein Verhältniß zu dieser hatte weder an Vertraulichkeit gewonnen, noch an der Eigenthümlichkeit, wie es der erste Tag geschaffen, verloren; in ihrer ganzen Haltung gegen ihn schien sie trotz des äußern geschwisterlichen Tons und einzelner Momente des Sichgehenlassens eine feine Schranke aufrecht erhalten zu wollen, die ihm jede herzliche Annäherung verbot. Auch eine Stunde wie am ersten Tage in ihrem Zimmer war nicht wiedergekommen. Er hatte wohl bisweilen gesehen, wie sie während des allgemeinen Zusammenseins der Kostgänger in dem untern großen Zimmer sein Gesicht und die darin unwillkürlich hervortretende Sorge beobachtete, aber nie hatte sie ihm wieder Gelegenheit zu einem vertraulichen Gespräche geboten. Daneben wußte er in einer andern Weise nicht, wie er das Mädchen zu beurtheilen hatte. Nur selten ward das Haus von Fremden besucht und die abendlichen Zusammenkünfte der Kostgänger in der untern Stube trugen deshalb eine Art Familien-Charakter; so sehr sich auch Mathilde von jeder nähern Berührung mit der übrigen Gesellschaft zurückhielt, deren Aufmerksamkeit sie in ähnlicher Art wie die der Schiffsbevölkerung erregt hatte, so schien das geöffnete Piano sie doch der Gesellschaft, in welcher sie sich befand, ganz vergessen zu lassen, und es bedurfte nur einer Aufforderung, um sie zum Vortrage eines oder auch mehrerer Lieder zu bewegen. Ihre Stimme war immer dieselbe, silberklar, warm und seelenvoll, und fast schien es oft, als singe sie nur zu ihrer eigenen Genugthuung. Demohngeachtet meinte Reichardt, sie werfe ihre Perlen vor die Säue, eine Laune, die er sich in keinem Zusammenhange mit ihrem übrigen Wesen denken konnte, und als ihn die Wirthin eines Abends bat, seine Violine zu holen und das Stück noch einmal zu spielen, was sie am ersten Tage belauscht, stand er mit einer kurzen Ablehnung von seinem Platze aus und verließ das Zimmer. Es wäre ihm gleich einer Profanirung seiner besten Gefühle gewesen.

So war das Ende der vierten Woche herangekommen. Reichardt hatte nach dem Mittagessen das wöchentliche Kostgeld für sich und die „Schwester“ bezahlt und schritt, trübe Gedanken durch sein Gehirn wälzend, nach seiner Wohnung hinauf, als sich die Thür von Mathildens Zimmer öffnete und ein Wink des Mädchens ihn herbeirief. „Komm herein, wir müssen ein paar Minuten mit einander reden!“ sagte sie mit gedämpfter Stimme, sorgfältig hinter dem jungen Manne den Eingang wieder schließend. Sie deutete auf einen Stuhl, zog leicht einen zweiten herbei und setzte sich ihrem Gaste unmittelbar gegenüber.

„Es sind heute vier Wochen vorüber, Max, die erste Frist, die wir uns setzten, seit wir hier ankamen, und wir wissen jetzt wohl, was wir von unsern Aussichten zu halten haben,“ begann sie, ihm wie in stiller Sorge in das umwölkte Auge sehend; „Du hast wenig Glück gehabt, ich konnte es jeden Abend in Deinem Gesicht lesen – hat sich gar nichts geboten?“

„Nichts, Mathilde!“ erwiderte er finster den Kopf senkend, „Versprechungen, die nirgends gehalten wurden, und Vertröstungen, die mir nichts nützen können.“

„Und hast Du Dir jetzt irgend einen andern Plan für die Zukunft gemacht?“

„Einen Plan? O ja!“ erwiderte er bitter lachend. „Es wird mir eben nichts übrig bleiben, als zum Tanze zu geigen, da,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_175.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)