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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Der schwarzweiße Storch.

Ein Bild von der Grenze.
Von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)

„Ich liebe den Punsch etwas stark,“ sagte ich zu dem Assessor.

„Ich auch,“ erwiderte er.

„Er wollte mir nicht nachstehen. Er goß noch eine halbe Flasche Rum hinzu. „So! darf ich bitten zu versuchen?“

Ich versuchte. „Es geht so eben an.“

Er goß auch die zweite Hälfte der Flasche hinzu. „Jetzt?“ sagte er.

Ich versuchte noch einmal. „Ausgezeichnet!“ sagte ich.

Das Herz lachte mir im Leibe. Wer zwei Gläser von dem Punsche getrunken hatte, schickte in den ersten Stunden zu keinem Schulzen mehr, und es ließ sich noch etwas Anderes mit ihm machen. Ein dunkler, unbestimmter Plan wollte sich immer wieder in mir hinaufarbeiten. Wir wollten beginnen zu trinken. Mein Kutscher erschien in der Thür, mit einem Wink, der mich hinausrief.

„Ah, Herr Regierungsassessor, darf ich bitten, mich auf ein paar Minuten zu entschuldigen?“

„Ergebenster Diener.“

„Aber vergessen Sie unterdeß das Trinken nicht.“

Ich ging zu dem Kutscher hinaus. Im Gehen hatte ich dem Dolmetscher einen Wink gegeben. Er folgte mir.

„Herr Secretair, um Gotteswillen, kein Wort zu jenem von den Verfolgten, den Verfolgern, dem befürchteten Ueberfalle.“

„Er soll keine Sylbe erfahren.“

Der Dolmetscher kehrte in die Krugstube zurück.

„Was giebt es?“ fragte ich den Kutscher.

„Der Pole ist soeben mit einem fremden Manne zurückgekommen.“

„Wo sind sie?“

„Sie sind nach oben gegangen.“

„Gut.“

Ich ging rasch wieder nach oben. Oben im Gange noch traf ich zwei Männer. Der eine war der Diener der kranken Dame. Der Andere war eine große, hohe, selbst in der groben Bauernkleidung, die er trug, stolze Gestalt. Stolz, aber auch tief leidend war das blasse, aristokratische Gesicht. Er konnte dreißig Jahre zählen. Es mußte der Gatte der Kranken sein.

„Mein Herr,“ redete ich ihn in französischer Sprache an, „Sie sind der Graf Tomborski?“

Er zuckte einen Augenblick zusammen. Dann fuhr seine Hand nach seiner Brust. Er mußte da einen Dolch oder ein Pistol haben, nach dem er greifen wollte.

„Mein Herr,“ fuhr ich ruhig fort. „Sie dürfen mir vertrauen. Fragen Sie Ihren Diener hier, oder Ihre Frau Gemahlin in dem Zimmer da.“

Er sah mich überrascht näher an. Er ließ die Hand sinken. Er wechselte einige polnische Worte mit dem Diener.

„Ja, mein Herr, ich bin der Graf Tomborski,“ sagte er dann, und nur Schmerz und Leiden herrschten in dem blassen Gesichte des armen Verfolgten vor.

„Und wie Sie mir vertrauen können,“ sagte ich, „auch ohne daß Sie mich näher kennen, das mag Ihnen Folgendes beweisen. Sie waren in der Gefahr, hier von der Polizei verhaftet zu werden. Diese Gefahr habe ich für den Augenblick beseitigt; eine andere abzuwenden, steht aber, wie ich fürchte, nicht in meiner Macht. Es ist ein etwaiger bewaffneter russischer Ueberfall hier in der heutigen Nacht, um Sie und Ihre Familie mit Gewalt nach Polen zurückzuschleppen.“

Er hatte mich anfangs mit Ruhe angehört. Meine letzten Worte trieben ihm den Rest des Blutes aus dem abgehärmten Gesichte.

„Der Ueberfall,“ fuhr ich fort, „ist noch nicht gewiß; ich habe nur Anzeichen für ihn. Desto gewisser ist leider, daß mir kein Mittel hier zu Gebote steht, ihm zu begegnen.“

„O,“ sagte er, „ich zweifle auch an dem Ueberfall nicht. Warum mußte ich auch so nahe an der Grenze die Zusammenkunft mit meiner armen Frau bestimmen? Aber ich konnte nicht anders. Und nun liegt sie krank, im Fieber. Ich kann nicht mit ihr entfliehen.“

„Aber ohne sie, mein Herr?“

Ich wagte nur es leise zu fragen. Er sah mich dennoch beinahe wieder mißtrauisch an: er erhob sich stolz.

„Ohne meine Frau, mein Herr? Meine Frau im Stiche lassen?“

„Sie hat nichts verbrochen.“

„Ich desto mehr, und sie ist meine Frau.“

Mehr sagte er nicht. Es war genug.

„Vielleicht,“ fuhr ich fort, „hat Ihre Frau Gemahlin sich etwas erholt. Mein Wagen steht Ihnen alsdann zu Diensten.“

Er dachte einen Augenblick nach. „Wenn sie Ruhe gefunden hat,“ sagte er dann, „auch innere, so dürfte sie nach der Mittheilung meines Dieners über ihren Zustand in der That sich erholt haben. Darf ich Sie bitten, eine Minute auf mich zu warten? Ich werde sie sprechen.“


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_177.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)