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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Zur Wurzenhütte am Spitzingsee.

Am Wallberge – Die Heimath der Schnaderhüpfel – Ein Irrsinniger – Von zwei Gemsjägern – Die Ameiser und ihr Geschäft.

In der Morgensonne glühen die Gipfel der oberbaierischen Gebirge, an deren Fuße noch im Schatten versenkt und thaubeträuft das Thal des Rottachflüßchens sich hinzieht. Hinter dem mehr als 6000 Fuß hohen Rißerkogl an der Grenze Tyrols entspringend eilt die Rottach durch wilde Gräben und Schluchten, öfter über hohe Felsenmassen in majestätischem Falle hinabstürzend, dem breiten Thale zu, welches zwischen dem 6000 Fuß hohen Wallberg und der ebenso hohen zweisitzigen Bodenspitze, an den wald-, wiesen- und quellenreichen fünfthalbtausend Fuß hohen Baumgartrücken im West gelehnt, mit dem Thale der reißenden Weißach beim Dörfchen Egern am Ufer des Tegernsee’s sich vereinigt.

Hinten, wo das Thal im Südost zu einem Kessel zusammenläuft, aus welchem ein halsbrecherisches Sträßchen zur Kaiserklause (Falepp) und in’s Tyrol knapp zwischen den Bergen hindurchführt, liegt, fast den Fuß des Peißenberges (dessen Gipfel die Bodenspitze heißt) berührend, ein Bauernhof, genannt der Enterrottacher, in glücklicher Einsamkeit. Dieser Hof ist im echten Gebirgsstyl erbaut; Wohnhaus, Stallung und Stadel unter einem vorspringenden mit Steinen beschwerten Schindeldache, darinnen eine sehr große, zum Theil als Wohnstube benützte Küche mit dem patriarchalischen Heerde, um das Haus ein reicher Obstgarten, vor demselben ein niedliches Blumengärtchen und der Rollbrunnen mit dem tadellosen Quellwasser. Die von Honig duftenden Wiesen sind von herrlichen Ahornen, Linden und Buchen umgeben oder eingerahmt von dichtem Haselgebüsche. Im schattigen Obstgarten sind Tische und Bänke in dem Grasboden befestigt; denn nicht selten kommen hierher Städter, Leute aus allen Nationen der Welt, welche am Tegernsee oder in Kreuth Sommer und Herbst verleben, um den majestätischen Rottachfall zu beschauen, sich von dem Waldeshauch erquicken, von den reinen Berglüften stärken zu lassen. Dabei bietet die freundliche Bäuerin, was Küche und Vorrathskammer enthalten.

In dem oberbaierischen Gebirgshofe

Vom Fuße des Wallberges, bekannt wegen seiner in großer Menge und seltener Größe und Farbenpracht dort blühenden Rhododendras und Alpenröslein, tönt das Rauschen der Rottach herüber durch die grüne Au; jenes Berges zerklüftete Wände starren zum Thale herab. Von dort herunter schimmert das schönste Grün, das üppigste Gras, die heilsamsten Kräuter wachsen zwischen den Spalten der Felsen, die Zwergföhre mit ihren breiten Aesten und den langen dichten Nadeln überdeckt große Strecken, wie von Thränen übergossen glänzen die Wände und glitzert das Gestein im Sonnenlichte. Aus zahllosen Adern träufeln die Wasser der Felsen zu den Gräben und Schluchten hinab, an welche ein Bergforst stößt mit seinen himmelanragenden Tannen und Fichten.

Selten wagt es ein kühner Kräutersammler, in dies Labyrinth zu klettern, wo die Gemse ihr Lager auf weichem Moose und in der bergenden Kluft hat, wo der Adler kreist und horstet in behaglicher Sicherheit. Wird der Hirsch in den tiefer gelegenen Forsten gejagt oder durch einen Schuß erschreckt, dann klettert auch er vorsichtig zum schützenden Gestein empor und verbirgt sich tagelang, die Aeßung zwischen den Felsenritzen mit Lebensgefahr suchend und die Tropfen Wassers vom Gesteine leckend.

Auch der Spielhahn streicht manchmal von Fels zu Fels, besonders zur Balzzeit. Aber der Jäger schießt ihn da nicht; was nützte es ihm auch, es zu thun? Der Schuß kracht, vom tödtenden Blei getroffen läßt das Thier die Schwingen sinken und stürzt tief hinab in eine Ritze, oder in eine Schlucht, wo es nimmer zu finden.

Nicht eben die hohe Lage macht jene Wallbergwände so unzugänglich, denn sie sind höchstens 2000 Fuß über der Thalsohle, sondern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_181.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)