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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Der schwarzweiße Storch.

Ein Bild von der Grenze.
Von J. D. H. Temme.
(Schluß.)

Ich klopfte leise an die Thür des Grafen Tomborski. Der Diener öffnete. Als er mich sah, nickte er mir zu; dann ging er zurück. Im Augenblicke nachher stand der Graf bei mir im Gange; wir sprachen leise mit einander.

„Mein Herr, die Russen werden in einer Viertelstunde hier sein.“

„Also doch!“

„Aber hoffentlich sind Sie gerettet.“

„Ich? Nie werde ich mein Weib, mein Kind verlassen.“

„Sie sollen es nicht. Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin in dem Augenblicke?“

„Sie schläft. Das Fieber scheint etwas nachgelassen zu haben.“

„Würden Sie sie wecken dürfen?“

„Wenn es sein müßte.“

„Würde sie ohne Gefahr aus ihrem Bette hier oben in ein Bett nach unten im Hause gebracht werden können?“

„Muß es sein?“

„Es muß sein.“

„So werden mein Diener und ich, sie hinuntertragen.“

„Das Kind kann nachgebracht werden. Darf ich nur bitten, sich zu beeilen!“

„Es soll geschehen.“

„Ich werde Sie unten erwarten.“

Ich kehrte nach unten zurück. Vorher lauschte ich noch einmal an den Thüren des Assessors und der Harfenistin; sie schnarchten Beide ungestört. Der Krüger hatte in der Krugstube zwei Lager bereitet, für mich und den Dolmetscher.

„Schlafen Ihre Frau und Kinder schon?“ fragte ich ihn.

„Meine Frau ist noch auf.“

„Wo?“

„In unserer Stube hier nebenan.“

„Lassen Sie sie zu den Kindern in die Kammer gehen. Dort bleibt sie; Sie kehren hierher zurück.“

„Er ging in seine Stube, der Frau den Befehl zu überbringen. Ich hörte schon Tritte die Treppe herunter kommen und ging ihnen in den Hausflur entgegen; es waren der Graf und sein Diener. Sie trugen die Gräfin in ihren Bettstücken; ich ließ sie in die Krugstube, dann in die Stube des Krügers treten und wies ihnen das Himmelbett der Krügersleute an. Sie legten die Kranke hinein. Der Diener kehrte zurück, die Wiege mit dem Kinde zu holen; er brachte sie bald und trug sie gleichfalls in die Stube.

„Jetzt rasch nach oben zurück,“ ließ ich ihm durch den Dolmetscher befehlen, „um jede Spur zu vertilgen, daß heute jemand in dem Zimmer verweilt habe.“

Er eilte zurück, der Dolmetscher begleitete ihn. Nach wenigen Minuten brachten sie den Rest der Bettstücken von oben, welche in die Stube des Krügers getragen wurden.

„Schnarchen die Beiden oben noch?“ fragte ich den Dolmetscher.

„Es hört sich in dem Gange wie ein Kreuzfeuer an,“ antwortete er.

Der Graf kam in die Krugstube, um mich zu fragen ob ich noch etwas anzuordnen habe.

„Nichts, mein Herr,“ sagte ich ihm. „Bleiben Sie nur mit Ihrem Diener bei der Kranken und dem Kinde. Ganz ruhig, was Sie auch hören mögen.“

„Sie haben Hoffnung?“

„Vertrauen und Hoffnung.“

Er kehrte zu der Kranken zurück; der Diener war bei ihr geblieben. Es schlug Mitternacht auf der Wanduhr in der Krugstube. Der Dolmetscher, der Krüger und ich waren allein in dem Zimmer; der Dolmetscher hatte sich auf die Bank am Ofen gesetzt[ws 1], und der Krüger ging unruhig in der Stube umher. In mir war es gleichfalls unruhig genug. Aber ich war auch ermüdet. Ich setzte mich zu dem Dolmetscher. Ich hatte gethan, was ich konnte; mich wollte darnach auf einmal eine große Angst befallen. Nicht um den Assessor, der die Milde der russischen Regierung nicht genug hatte loben können; er bekam jetzt Gelegenheit, sie näher kennen zu lernen. Auch nicht um Laura Lautenschlag, sie kam ungehinderter an ihr Reiseziel. Daß Beide Sibirien nicht sehen würden, darüber war ich unbesorgt, da konnte eine kleine Angst sie nur zu einem wohlthuenden Nachdenken bringen. Ich muß es leider gestehen, ich hatte kein Mitleiden für sie.

Aber wenn von den Russen da oben die Verwechselung erkannt wurde? Dann war all mein Mühen vergeblich, und die unglücklichen Verfolgten waren nur neuen Grausamkeiten der um so mehr erbitterten Russen ausgesetzt. Und wie leicht war die Erkennung! Der Assessor und die Harfenspielerin wurden zwar im ersten, tiefen Schlafe und zwar in jenem festen Schlafe des Rausches überfallen. Die Russen hatten Veranlassung und liebten es, bei solchen Gelegenheiten jedes Geräusch zu vermeiden, und gaben daher gewiß dem Einen nicht lange Zeit zum Reden und der Andern nicht zum Schreien. Zudem verstanden Beide nicht Polnisch und nicht Russisch. Aber schon die Veränderung der Zimmer konnte ein Mißlingen befürchten lassen; dann das Fehlen des

  1. Original: gegesetzt
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_193.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)