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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und nicht blos den krankhaften Verirrungen der davon getrennten Einzelnen, sich aus die Seite der „Erweckten“ und „Angefaßten“ wirft und so dem großen, urtheilslosen Haufen die Meinung einflößt, auf dieser Seite sei wirklich die Wahrheit und das Recht und die Erleuchtung, und die darum verfolgt würden, seien Märtyrer und Glaubenshelden. Leider ist es so. Leider haben die Presbyterien beider evangelischer Gemeinden der Stadt Elberfeld Collectivschritte gethan zu Gunsten der abgesetzten Verwaltung des Waisenhauses, bei denen theils einstimmig, theils mit 22 gegen nur 5 Stimmen Beschlüsse in dieser Richtung gefaßt wurden. So droht eine verfinsterte und verfinsternde Ansicht weiter um sich zu greifen und argen Samen des Mißtrauens und der Zwietracht zwischen die Diener der Kirche und die Gemeinde und innerhalb der Gemeinde zu werfen, wahrlich nicht zum Heil der Kirche. Dieses Treiben kann nur die entgegengesetzte Frucht von derjenigen zeitigen, welche jene kurzsichtigen und von falschen Befürchtungen getriebenen Freunde der Kirche damit zu erzielen hoffen.

In verständigerer Weise behandelte der berühmte holländische Prediger Gerhard Kuypers die Erregungen, die in seinem Lande in der Mitte des vorigen Jahrhunderts großes Aufsehen erregten und von dem Orte, wo sie am meisten sich zeigten, den Namen der „Nykerker Erweckung“ erhalten haben. Obwohl gerade die Kraft seiner Reden diese Zustände vielfach erzeugt hatte, so sah er doch ein, daß es sich bei Vielen nicht sowohl um religiöse, als um leidenschaftliche körperliche Aufwallungen handelte; und da diese immer stärker wurden, den geregelten Gottesdienst beständig störten und fast unmöglich machten, und zumal die so Afficirten auf keinen guten Rath hören wollten, war er es gerade, der dem Kirchenrathe Vorschläge machte, dieser Unordnung zu steuern. Auf seine Veranlassung faßte dieser am 29. October 1750 den dreifachen Beschluß: daß Alle, die den Gottesdienst durch körperliche Aufregung störten, sofort aus der Kirche zu entfernen seien; daß die den Zufällen Unterworfenen nicht in der Mitte, sondern an den Thüren der Kirche Platz zu nehmen hätten, um im Nothfalle gleich entfernt werden zu können; endlich daß die Vorsteher der sogenannten Uebungen mit den Predigern für Herstellung der Ordnung wirken sollten, widrigenfalls ihnen die Erlaubniß zum Halten derartiger Versammlungen genommen werden würde. – Diese Beschlüsse bewährten sich so sehr, daß mit ihrer Publicirung die Aufregung in Nykerk selbst sich legte und bald ganz verschwand. Wenn die anfängliche religiöse Bewegung durch das Evangelium selbst zur Ruhe gebracht worden war, so wich die körperliche Aufregung, die sich außer in ganz epileptischen Zufällen besonders auch im Schiefziehen des Mundes, im Festklemmen des Daumens, im starken Athemholen gezeigt hatte, den passenden äußern Maßregeln. Aus Nykerk hatte sich bald die Bewegung auch anderswohin fortgepflanzt. Besonders leidenschaflliche Aufregung zeigte sich im Frühjahr 1751 in der Provinz Groeningen, wo ihr aber die weise Handlungsweise der meisten Prediger ein schnelles Ende bereitete.

Dem leidenschaftslos und abgesehen von jedem religiösen Parteigeist Urtheilenden muß die ganze Angelegenheit als eine äußerst einfache und deren Lösung als eine natürlich sich ergebende erscheinen. Auch die Religion ist Sache des Einzelnen, mag er gläubig oder prüfend und sichtend an den ihm überlieferten Stoff herangehen, die wahre Religiosität muß doch wieder etwas selbst Erlebtes, in ihm Erwachsenes, Gewordenes sein. Mag, was ihn dazu führt, Gefühl – Bedürfniß nach etwas Unbestimmtem, an das, als eine höhere Macht, er sich anlehne – mag es Erkennen sein: gleichviel – etwas individuelles ist sie, sonst ist sie eitel Flitterwerk. Von außen, von Dritten eingezwängt, eingeredet, durch welche Mittel immer aufgepfropft, gleicht sie der aus dem mütterlichen Boden gerissenen Pflanze, die, in fremdes Erdreich gesetzt, keine Kraft gewinnt und von jedem Sturme geknickt wird.

Man lasse also dem Kinde vor allem seine natürliche Entwickelung. Will man dasselbe in krankhafte Erregungen versetzen, ihm den Schlaf, die in diesem Alter so unentbehrliche ordentliche Lebensweise und Ruhe nehmen, es in Convulsionen fallen lassen und in diesem Zustande sein Gemüth mit religiösen, schwärmerischen Vorstellungen erfüllen, so zerstört man ihm Leib und Seele, erzeugt in ihm eine Fülle der unrichtigsten, zu den größten geistigen Ausschweifungen führenden Vorstellungen und entfremdet es schließlich der Religion, statt es derselben zuzuführen. – Der Umstand aber, daß so viele auf der Höhe der Bildung stehende Männer dennoch sich zu Verfechtern der Thorheit um ein mildes Wort zu gebrauchen – aufwerfen konnten, beweist die Größe der Gefahr. Die Bekämpfung derselben scheint uns daher eine Aufgabe der Presse zu sein. die der hohen Bestimmung derselben würdig ist. –




Zur Wurzenhütte am Spitzingsee.

(Schluß.)


Am Kühzaggl – Ein Asyl für Erdmolche – Der Spitzingsee und seine Vergiftung – Die Wurzenhütte und die Geschichte von der Burgl und dem Jörgl.

Vom Enterrottacherhofe nach Nordosten führt ein Steig zur Höhe des fünftehalbtausend Fuß hohen Kuhzaggls, welcher das Thal von Schliersee vom Rottachthale scheidet; ein reichbewaldeter Bergrücken, der die Baumgarten- und die Bodenspitze verbindet und im hohen Winter dem nach Aeßung zu Thal steigenden Gemswild häufig als Uebergangspunkt dient. Am Felsenbette eines Giesbaches, rechts das wild geklüftete nördliche Gewände der Bodenspitze, zieht der Weg bergan; unfern dem Rücken ist in verborgener Einsamkeit in Mitte saftiger Wiesen eine Alme. Auch in die wasserreichen Gräben und Klüfte der Umgebung treiben die Dirnen ihre Kühe, denn dort ist gutes Futter. Oben am Höhensaum kreuzen sich die Ziehwege zu mehreren in den nächsten Bergen gelegenen Almen. Hier hatte einmal ein von dem Kirchweihfeste zu Egern, wo er all sein Geld verspielt hatte, auf dem Heimwege ins Thal nach Bairischzell begriffener Bursche den Einfall, seinem Verdrusse durch Aufhängen an einem Baume Luft zu machen, nachdem er zuvor das Motiv hierzu durch Umkehren sämmtlicher leeren Taschen dem redlichen Finder zu erkennen gegeben hatte. Fremde, welche zufällig vorbeipassirten, fanden den verzweifelten Humoristen entseelt und starr an einem Aste baumelnd. An jenem Tage wüthete ein Sturmwind in den Bergen, und die Bewohner schrieben ihn hintennach dem Selbstmörder zu, dessen arme Seele eben zur Unterwelt geführt würde. Heute noch bewahren die Sennerinnen ihr Vieh vor der Weide jener verrufenen Unheilsstätte, weil dort giftiges Gras wachse, und wenn je sich Eine gezwungen sieht, zur Dämmerzeit noch dort vorbeizukommen, so schlägt sie, die sonst muthige, ein Kreuz, beschleunigt ihre Schritte und betet laut ein Vaterunser für die schlechteste Seele im Jenseits. Das allein bannt den Geist des lockeren Vogels, der manchmal Felsbrocken von den Wänden löst und sie tückisch nach den Kühen schleudert. Mit Erhängten ist kein Spaß zu treiben, und sie sind schlimme Gesellschaft.

Im Winter, wenn viel Schnee gefallen, geht auf Handschlitten aus den Hochforsten des Kuhzaggls viel Holz zu Thal, denn es giebt noch reiche Wälder hier, obgleich sie seit zehn Jahren fortwährend unter der rastlosen Axt stehen. Hoffentlich hat in weiteren zehn Jahren die liebe Aufklärung schöne Erfolge dort erzielt, und die niedergefällten Wälder werden Oedungen sein!

Vom Enterrottacher gegen Osten geht es gleich hinter dem Gute hinan zum Wasserfall der Bodenalme und der Bodenspitze. Dieser Wasserfall, nur im Frühjahr beim Schneethauen und nach heftigen Regengüssen im Sommer einigermaßen mit Wasser versehen, imponirt mehr durch die Kühnheit der Felspartien, durch die und über welche hinab in’s Thal derselbe den Weg nimmt. Vom Wasserfall führt der Steig an der steilen Wand hinauf, und zwei Mal schreitet man, links eine Wand und rechts den Abgrund, über einen schon halbverfaulten, schwankenden Baum, um den festen Boden jenseits der jähe hinabfallenden Schluchten zu gewinnen. Schon mancher Fremde, der die Höhe von dieser Seite erreichen wollte, ist hier wieder umgekehrt. Da blüht kein Alpenröslein, kein Rhododendron, kein Vergißmeinnicht, – nur der Teufelsapfel stinkt, nur der giftigen Einbeere eckige Frucht, nur der blaue Eisenhut (Giftwurzel mit seinen giftathmenden schönen Blüthen, nur der Seidelbast mit seinen wie Hyacinthen riechenden schädlichen Blüthen oder der hochrothen Beere winkt, und außer verworrenem Geisblattgestrüppe, Schlehdorn- und Braunbeerhecken

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_202.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)