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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Nein.“

„Ich begreife nicht, wie Du das aushältst.“

„Ich kann warten,“ erwiderte der Wartende mit seiner weichen tiefen Stimme, und sobald er diese Worte gesprochen, wandte sich der Lieutenant Bonaparte hastig um. Im nächsten Augenblick stand er auf seinen Beinen und starrte seinen Besuch verwundert an. Dies dauerte wohl eine Minute; die beiden jungen Männer schwiegen. Pozzo di Borgo ließ sich betrachten; Bonaparte sah aus, als halte er, was er sah, für Täuschung, dabei blieb er so ernsthaft, als ob er kein großes Vergnügen über diesen unerwarteten Anblick empfände.

„Carlo Andrea!“ rief er dann und kam ihm näher. „Wie geht es in Ajaccio?“

„Ich weiß es nicht, Napoleon,“ war die Antwort, „denn ich komme von Pisa und komme Dich zu besuchen.“

In dem Augenblick verwandelte sich das Gesicht Napoleons. Er streckte dem Jugendfreunde beide Hände entgegen. „Sei mir willkommen, Carlo, es ist mir lieb, Dich zu sehen! Aber wie kommst Du hierher und wohin willst Du?“

„Ueber Paris will ich nach Haus, um dort, da meine Studien nun vollendet sind, meine Advocatur zu beginnen. Hierher komme ich, sowohl meines Weges wegen, als um Dir einen Brief zu bringen.“

„Einen Brief! Von wem?“

„Von einem Manne, den wir beide verehren, der jedem Corsen heilig und theuer ist.“

„Von Pasquale Paoli!“ rief Napoleon.

„Von dem Präsidenten,“ sagte Carlo Andrea.

Als die Franzosen im Jahre 1709 nach der Schlacht an der Golobrücke Corsica erobert und die corsische Republik vernichtet hatten, floh der Präsident Paoli nach London und lebte in dieser Verbannung nun seit zwanzig Jahren. Aber die zärtliche Verehrung des corsischen Volkes begleitete den großen Bürger in das sonnenkalte Land des Nebels, und dort leuchtete er immer noch als Stern, zu dem die Corsen ihre Segenswünsche und Gebete sandten. Wenn Einer in seiner Noth nicht wußte, wer ihm rathen und helfen sollte, wandte er sich an den verbannten Vater des Vaterlandes. Wer etwas Wichtiges unternahm, wollte wissen, was Er dazu sagte, und wo Männer und Jünglinge für ihres Landes und Volkes Sache hofften und strebten, war es die höchste Ehre, wenn der Präsident sie lobte und ihren Eifer mit seinem Beifall belohnte.

Als Pozzo di Borgo gesprochen hatte, zog er aus seiner Tasche einen Brief und reichte ihn Napoleon hin. „Da ich ihm schrieb,“ sagte er dabei, „daß ich von Pisa nach Paris reisen und meinen Weg über Turin und Lyon nehmen wollte, sandte er mir dies Schreiben für Dich, das ich Dir geben möchte, sobald ich Dich sehen würde. Hier hast Du es; ich habe meinen Auftrag erfüllt.“

Napoleon brach schweigend den Brief auf, blickte hinein und las. In seinen Mienen zeigte sich dabei eine Unruhe, die er nicht ganz unterdrücken konnte und welche Carlo Andrea sehr wohl bemerkte. „Er hofft! er hofft!“ rief er, indem er das Blatt sinken ließ. „Wir hoffen Alle auf eine neue Sonne, die der Menschheit aufgeht, doch man muß sich vor Illusionen hüten.“

„Du hast ihm einen Entwurf zu einer Geschichte Corsica’s gesandt, welche Du schreiben willst,“ sagte Carlo Andrea.

„Sie ist schon zum guten Theil vollendet,“ versetzte Napoleon, indem er nach dem Schreibpulte blickte und auf die angehäuften Bogen deutete. „Ich schrieb es ihm,“ fuhr er lebhaft fort, „daß ich sein reines Andenken vor der Verleumdung feiger Seelen retten, die Verräther am Vaterlands schonungslos brandmarken wollte. Ich will zeigen, wie wir gequält und mißhandelt, verrathen und entehrt wurden. Ich will damit den tugendhaften Minister, welcher Frankreich jetzt regiert, Herrn von Necker, für unser Schicksal interessiren, ihm meine Schrift übersenden, sobald ich sie vollendet habe.“

Der junge Advocat schwieg einige Augenblicke und erwiderte dann: „Necker wird kaum den Franzosen helfen können, noch weniger den Corsen, aber Paoli ist entzückt von Deinem Vorhaben und Deinem Briefe. Er setzt große Hoffnungen auf Dich.“

„Auf uns Beide also,“ erwiderte Napoleon, indem er den Freund ansah. „Denn er schreibt hier, daß er nichts sehnlicher wünsche, als uns zum Heile unseres Vaterlandes zu verbinden, da Zeiten kommen werden, wo Corsica seine besten Söhne brauche, und daß wir unsere geistigen Fähigkeiten vereinigen mögen, um einträchtig zu helfen.“

„Damit Corsica werde, was es war,“ antwortete Carlo Andrea, „damit die Republik und ihr Präsident zurückkehren.“

„Das ist nicht meine Meinung für unser Wohl!“ fiel Napoleon rasch ein. „Wir gehören jetzt zu Frankreich und müssen bei ihm bleiben. Wir wollen nicht wieder zu einem bedeutungslosen Staubkorn herabsinken, aber man soll uns gerecht werden. Wir wollen die Größe und das Glück des großen französischen Volkes theilen, wollen Franzosen sein, keine Colonie.“

Wie diese beiden jungen Männer schon als Knaben keine Viertelstunde beisammen sein konnten, ohne sich zu zanken, so geschah es auch jetzt, als sie sich nach Jahren kaum wieder gesehen hatten, trotz der eben vernommenen Ermahnung des verehrten Paoli, einig zu sein. Pozzo di Borgo wollte nichts von einem corsischen Franzosenthum wissen. Er zählte auf, mit welcher Gewalt und welchem Unrecht die Franzosen sich der Insel bemächtigt, wie sie die Corsen behandelt hätten und noch behandelten, und wie diese durch Sprache, Sitte und Abstammung von ihnen fremd und verschieden seien und zu Italien gehörten. Napoleon dagegen nahm sich eifrig der Franzosen an, bei denen die Corsen seit alten Zeiten Hülfe gegen die Tyrannei der Genuesen gefunden, und erwartete jetzt, wo die große Nation zu einem neuen freien Staatswesen sich eben Bahn brach, das Allerbeste auch für alle, die zu ihnen gehörten.

Bald befanden sich die beiden Landsleute in vollem Wortwechsel, und ihr Streit pflanzte sich weiter fort auf die Vorgänge in Paris. Der Lieutenant Bonaparte wurde dabei immer heftiger und absprechender in seinen Aeußerungen. Der junge Pozzo di Borgo vertheidigte die Grundsätze bürgerlicher Freiheit und Gleichheit, wie man dies von einem so entschiedenen Anhänger und Bewunderer des Präsidenten Paoli erwarten konnte, aber er that es mit vieler Mäßigung und der kaltblütigen Sicherheit und Schärfe, welche alle seine Urtheile auszeichnete. – Während der hitzige Napoleon bald in leidenschaftlichen Eifer gerieth, indem er seine Meinungen verfocht, dabei umherlief, seine Arme in die Luft warf, seine Lippen zucken und seine Augen rollen ließ, saß Carlo Andrea, ohne sich zu rühren, und betrachtete ihn mit verschränkten Armen.

„Nun, ich sehe wohl,“ sagte er endlich, „Du bist mehr Franzose geworden, als ich es erwartete, und bist ein besserer Royalist, als es nach den Briefen, welche Du an Deinen Bruder Joseph geschrieben, und nach den Grundsätzen, die Du dem Präsidenten Paoli für Deine Geschichte Corsica’s vorgetragen, anzunehmen war.“

„Was wollt ihr denn?“ rief Napoleon heftig, und durch sein gelbbleiches Gesicht schimmerte eine plötzliche Röthe. „Meint ihr besser zu sein als ich, ihr Anderen? Ich bin ein Corse von Geburt und werde es bleiben! Aber ich bin auch ein Bürger des großen Frankreichs, ein Bürger des mächtigsten europäischen Staates; das ist mehr werth, unendlich mehr, als Bürger einer ohnmächtigen, kleinen Republik zu sein, die jeden Augenblick die Beute eines stärkeren Nachbars, eines Abenteurers oder eines tyrannischen Herren werden kann. Ich bin ein Royalist, sagst Du? Ich verlange Gerechtigkeit, das Aufhören aller Vorzüge, aller Vorrechte. Ich will, daß das wahre Verdienst jeden Weg frei finde, daß jeder Bürger gleich sei vor dem Gesetz, mit gleichen Rechten, gleichen Ansprüchen, und ich hoffe, dahin soll es jetzt kommen. Die Nationalversammlung wird uns einen neuen Staat schaffen.“

„Nicht ohne eine Revolution,“ antwortete Pozzo di Borgo.

Bei diesen Worten warf Napoleon den Kopf auf, sah seinen Landsmann an und begann zu lachen. „Du gehörst also auch zu Denen,“ sagte er, „die Blut und Zerstörung prophezeien und nicht glauben wollen, daß die großen Ideen der Menschheit und der Aufklärung mächtiger sind, als die Vorurtheile der Privilegirten? Diese werden sich fügen müssen! Der König wird sich mit weisen Rathgebern umgeben müssen, der tugendhafte Necker wird in der Nationalversammlung Stützen und Gefährten finden, ihnen wird der König sich in die Arme werfen und nicht anders können. Der ganze Schwarm dieser nichtsnutzigen Hofleute und verstockten Sünder wird daran zerstäuben.“

„Ich weiß nicht,“ sagte Pozzo di Borgo, „ob Du Recht hast, mir scheint es jedoch, als würde der tugendhafte Necker eben so wohl nächstens fortgejagt werden, wie die Nationalversammlung, wenn nicht – “

Der Lieutenant fuhr heftig auf. „Genug, genug!“ rief er, „was sollen wir uns um solche Dinge streiten? wir haben uns oft genug gestritten. Aber, mein Freund, Du mußt mich begleiten, ich muß Dich mit Frau von Colombier bekannt machen, dort wirst Du Leute finden, die mit Vergnügen Deine Schreckbilder anhören werden.“

„Ich bin schon zu diesem Besuche eingeladen worden,“ erwiderte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_211.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)