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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

das Weite, vielleicht mitten in fürstlicher Pracht des väterlichen Bürgerhauses gedenkend. Es sagt ja ein Sprüchwort: „Eine Frau, welche über ihren Stand heirathet, muß jeden Winkel der Wohnung, in die sie einzieht, mit Thränen waschen.“ Hier am Thore theilt sie den Armen, welche sie überall aufsuchten, Almosen aus, wie sie ein Basrelief auf ihrem Grabe darstellt; dort auf dem Vorsprunge des Hügels saß sie unter den Bäumen und kredenzte dem Gatten den Becher; ihre Haut sei so zart gewesen, daß man, wenn sie trank, den rothen Tyrolerwein durch den Hals schimmern sah. Wer vermöchte ihren Reiz, ihre Anmuth zu schildern, welche selbst einen gelehrten Pedanten, wie den berühmten Doctor Roner, in einer lateinischen Rede zu dem Ausruf veranlaßte: „Wen rührt nicht ihre ausgezeichnete, bewunderswerthe Schönheit, wen entzückt nicht die edle, erhabene Gestalt, welche schon von fern die Fürstin verkündet? Wer sah nicht mit Wonne das holde Gesicht, worauf Majestät und sanfter Reiz der Liebe verschmolzen, das lebendige Feuer des Auges? Alle Vorzüge des Geistes und Körpers waren in ihr vereinigt.“ Darf man sich da wundern, wenn sie den jungen Kaisersohn bezauberte, wie früher die Badertochter Agnes Bernauer den Herzog von Baiern? Ihre Züge sind uns von Künstlern der verschiedensten Art überliefert worden. Das Portrait unserer Zeitschrift ist nach einem Gemälde, welches sich im Museum zu Innsbruck befindet.

Besuchen wir das Schloß. Die Kunstschätze, welche Ferdinand mit den Beiträgen der Tyroler Stände ankaufte und hier vereinigte, sind längst auf dem Inn und der Donau nach Wien geschifft; wer hätte nicht von Raphaels Madonna nel verde im Belvedere, dem Sarkophage des Phidias, den seltenen Waffen berühmter Helden, der kostbaren Gudrunhandschrift gehört? Vor einigen Jahren kam zwar die freudige Botschaft, Tyrol solle die ganze Sammlung zurück erhalten, bis jetzt wurde jedoch kein Stück nach Innsbruck geschickt, und man zweifelt bereits, ob es je geschehen werde. Was nicht nach Wien geschleppt wurde und an den Wänden des Rittersaales aufgehängt ist, verlohnt kaum einer langen Betrachtung.

Auf einigen Stufen abwärts gelangt man in eine kleine Kammer mit einer kupfernen Wanne. Hier pflegte Philippine zu baden. Man mag sich dabei gerne an jenes liebliche Gedicht Walters von der Vogelweide erinnern, der seine Gebieterin belauschte, wie sie in das Wasser stieg. Dem Volke gilt jedoch dieser enge Raum als eine verfluchte Stätte grauenvoller Missethat. Philippine war nämlich dem Adel, welcher, so lange die Ehe geheim blieb, der glänzenden Feste entbehren mußte und in Sorge stand, den Hof ganz zu verlieren, wenn Ferdinand keine standesmäßen Erben zeugte, sehr verhaßt, obwohl Bürger und Bauern sie anbeteten und für sie auf einen Wink durch das Feuer gegangen wären. Auch die Jesuiten, deren Messen sie nie besuchte, während ihr Gegner, der aus Fischart’s Schriften wohlbekannte Weihbischof Nasus, bei Hof Zutritt hatte und demselben predigte, waren ihr abgeneigt, um so mehr, da sie bei dem Bürgerkind von Augsburg Spuren lutherischer Ketzerei witterten und daher besorgen mußten, es könne durch sie ein Sprößling des Hauses Habsburg der alleinseligmachenden Kirche abspenstig werden. Nun heißt es, der Adel habe ihr durch einen bestochenen Arzt, ehe sie in das Bad ging, Opium reichen und dann die Adern aufschneiden lassen, so daß sie verblutete. Nach einer anderen Angabe wäre dieses im Auftrag des Papstes, vermuthlich unter Mitwirkung der Jesuiten, die man überall nur zu gern als Mitschuldige böser List nennt, geschehen. Beides ist jedoch völlig unwahr. Das Volk verdichtete nach dem Tode der edlen Frau den ohnmächtigen Haß von Adel und Jesuiten zur Frevelthat, die von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wurde. Wer hätte auch gewagt, sich an ihr zu vergreifen? Das blieb erst Herrn Oscar von Redwitz vorbehalten, der sie in dem Thränenstrome seiner sentimentalen Poesie ertränkte. Er hatte jedoch schon einen Vorgänger an Schikaneder, welcher für Mozart das Textbuch der Zauberflöte schrieb und aus den Schicksalen Philippinens ein romantisches Schauspiel zurecht schnitt, in welchem unter dem größten Beifalle des Publicums Tyroler Bauern, Knappen, Ritter und Berggeister ihren Unfug trieben.

Suchen wir wieder das Licht. Dort öffnen sich die Thüren des Kellers, der Castellan Panzl bringt uns einige Flaschen Bier auf die Terrasse, da genießen wir zugleich die herrliche Aussicht in das Ober- und Unterland, bis der breite Fluß in der Ferne verschwindet, begleitet von den Ketten der Gebirge, links wild und felsig, rechts sanft schwellend mit üppigen Matten. Da und dort blickt auch ein Dorf aus den Bäumen, während Innsbruck von hier aus fast wie eine große prächtige Stadt aussieht und Hall mit seinem grauen Münzerthurm an den lustigen Herzog Siegmund erinnert, der dort beim Fackelschein sprang und tanzte. Da hört man gerne von der schönen Philippine erzählen; die Abendglocke wird zum Aufbruch mahnen, und auf dem Rückweg bewundern wir das Alpenglühen als die letzte Spur eines reinen, heiteren Tages.

Im Mittelalter leiteten die deutschen Geschlechter ihren Ursprung von Griechenland, Rom und Troja her, als ob sie sich der deutschen Urwälder schämten. So knüpfte auch die Familie der Welser ihren Stammbaum an den Namen des großen Gothenbezwingers Belisar, der vor dem Undank seines Gebieters in die Schluchten des Wallis fliehend dort ein neues Geschlecht gegründet haben soll, welches später nach Augsburg auswanderte und zu solcher Blüthe gedieh, daß Kaiser in seinem Hause wohnten und seine Flotten unter dem Befehle Dalsingers Venezuela eroberten, jedenfalls mehr als gegenwärtig der ganze deutsche Bund in Amerika zu leisten vermöchte.

Bei Frauen nach dem Geburtsjahr zu fragen, galt schon damals für eine Unart, wo dem Franz Welser von seinem Weibe Anna von Zinnenburg ein Töchterlein geboren wurde, das später in dem reichen Kranze deutscher Frauen einen ruhmvollen Platz einnehmen sollte. Kein Geschichtsschreiber weiß ihren Geburtstag anzugeben, und auch ihr Grabstein enthält gegen den gewöhnlichen Brauch keine Nachricht, als wäre es zum Zeichen, daß sie im Gedächtniß der Menschen ewig jung bleiben werde. Von ihrer Erziehung wissen wir nur, daß sie in jedem Sinne ausgezeichnet war; Musik übte sie sehr gerne, und auch die Noten des einfachen Liedes sind erhalten, das sie all den kunstvollen Tonverschlingungen, welche damals durch Niederländer und Italiener in Mode kamen, vorzog.

Sie mochte ungefähr das achtzehnte Jahr erreicht haben, als der große Reichstag nach dem schmalkaldischen Kriege eröffnet wurde. Am 20. October 1547 zog Karl der Fünfte, sein Bruder Ferdinand, der römische König, und dessen Sohn gleichen Namens in den Mauern der Reichsstadt ein, welcher unter dem Druck der Zeiten viel gelitten hatte. Ueber Liebesseufzer und Küsse wurden bis jetzt noch nie Urkunden mit Siegeln ausgefertigt, und so wissen wir auch nicht, wann der Herzensbund zwischen Ferdinand und Philippine geschlossen wurde. Im Besitz der Familie Welser befindet sich ein altes Oelgemälde, welches ihr Haus auf dem Heumarkt darstellt. Ferdinand reitet auf einem Schimmel vorüber und blickt grüßend zu Philippine empor, die von der Fensterbrüstung niederschaut. So mochte der erste Blick entscheiden; Gelegenheit sich zu sehen war bei den Festlichkeiten, welche jeden Congreß hoher Häupter begleiten, gewiß hinlänglich, da der Reichstag 8 Monate dauerte. Wir wissen nur soviel, daß Philippine auch dem Fürsten gegenüber genug weiblichen Stolz besaß, ihren vollen Besitz von der Ehe abhängig zu machen, ebenso daß er als deutscher Mann sie gerade deswegen für würdig hielt sein Weib zu werden. Ferdinand verdiente übrigens ihre Liebe; er war schön, groß und so stark, daß er zwei über einander gelegte Kronenthaler mit den Fingern zerbrach, einen zweispännigen Wagen im schnellsten Fahren aufhielt und eine Lanze von 28 Fuß weithin schleuderte. Ueberdies bestrahlte ihn der weiblichen Herzen so gefährliche Ruhm des Kriegers; er hatte in der Schlacht bei Mühlberg siegreich einen Flügel geführt. Was die Eigenschaften seines Geistes betrifft, so war er edel, mild und verständig. Daß er nich blos für die Interessen einer dynastischen Hauspolitik Sinn hatte, beweist die von ihm angelegte weltberühmte Amraser Sammlung. Ueberdies sah er Künstler und Gelehrte gern um sich, ja selbst als Dichter versuchte er die Schwingen, obwohl in keiner Literaturgeschichte sein Name erwähnt ist. Er mag manches glühende Lied an seine Philippine gesungen haben; uns blieb nichts erhalten, als ein moralisirendes Schauspiel, wo der überglückliche Ehemann an einer Stelle, die wir hier nicht mittheilen können und welche sich zweifelsohne auf Philippine bezieht, aus der Schule schwatzte.

Ueber den Fortgang des Verhältnisses ist ein Schleier gebreitet, den nur die Hand jenes Dichters, welcher uns Romeo und Julie schuf, lüften dürfte. Die Vermählung erfolgte heimlich am 24. April 1550 zu Innsbruck, und zwar, wie es scheint, nicht gegen den Willen von Philippinens Eltern, sodaß wir diese Geschichte mit keiner Entführungsscene ausschmücken können. Dies widerspräche auch dem reinen Charakter Philippinens, welche makellos in jedem Sinne gewiß nicht in eine Ehe getreten wäre, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_214.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)