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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

schaffen; er bedurfte zu diesem Zwecke nicht nur die Einwilligung des deutschen Kaisers, sondern auch der übrigen Fürsten. Bereitwillig ging Sophie Charlotte auf seine Wünsche ein und übernahm, obwohl sie sich sonst von allen Staatsgeschäften fern hielt, die oft schwierige Unterhandlung. Im Verein mit ihrer Mutter reiste sie in dieser Absicht zunächst nach Brüssel, wo es ihr gelang, den Kurfürsten von Baiern für die hochstrebenden Pläne ihres Gatten durch Liebenswürdigkeit zu gewinnen. Von hier begaben sie sich nach Holland, um die Zustimmung der einflußreichen Seemächte zu erlangen. Bei allen diesen Gelegenheiten zeichnete sich Sophie Charlotte durch die entschiedenste Ueberlegenheit ihres Geistes und durch die Klugheit ihres Benehmens aus, so daß ihre Bemühungen von dem besten Erfolge gekrönt wurden. Trotz dieser politischen Unterhandlungen behielt sie noch immer Zeit und Lust, ihren wissenschaftlichen Neigungen zu folgen. Kaum im Haag angekommen, wo der berühmte Kritiker Peter Bayle verweilte, schickte sie noch am späten Abend zu demselben, um seine belehrenden Gespräche zu genießen. Schon im Bette liegend und von Kopfschmerzen gequält, mußte er die ihm zugedachte Ehre ablehnen. Erst später erschien er in Gesellschaft des nicht minder ausgezeichneten Basnage vor der Kurfürstin, welche beide Gelehrte mit der größten Achtung aufnahm. Die mit Bayle gepflogene Unterhaltung, welche sie Leibnitz mittheilte, gab diesem die Veranlassung, seine berühmte „Theodicee“ zu schreiben. Zu gleicher Zeit verdankte ihr somit Preußen eine Königskrone und die Welt ein philosophisches Werk von der höchsten Bedeutung.

Mit unermeßlichem Aufwande und nie gesehener Pracht fand in Königsberg am 18. Januar 1701 die feierliche Krönung des Königspaares statt, wobei Sophie Charlotte ihren auf Etiquette besonders achtenden Gemahl nicht wenig dadurch verletzte, daß sie während der langweiligen Ceremonie eine Prise aus ihrer vom Czar Peter geschenkten goldenen Dose nahm, als sie sich einen Augenblick unbemerkt glaubte. Fast erlag sie unter der Last ihrer Würde und der darauf folgenden Festlichkeiten. In jenen Tagen schrieb sie an Leibnitz folgende charakteristische Zeilen: „Glauben Sie nicht, daß ich all den Glanz und diese Krone, von der man so viel Aufhebens macht, dem Vergnügen vorziehe, das mir unsere philosophischen Unterhaltungen in Lützelburg gewähren.“

Auch als Königin bewahrte sie sich den freien Sinn, mit dem sie auf die irdische Größe von ihrer geistigen Höhe niederschaute. „Letzthin,“ sagte sie ironisch in einem Briefe an ihre Freundin, „hat mich Leibnitz von dem unendlich Kleinen (seine Theorie der Monaden) unterhalten. Wer kennt diese kleinen Wesen besser als ich?“ –

Während sie aber mit Nichtachtung auf das kleinliche Treiben des Hofes blickte, schlug ihr Herz für das große Ganze, für das Wohlergehn des Volkes. Schon als Kurfürstin hatte sie den ihr zugehörigen Garten, der jetzt den Namen „Monbijou“ führt, mit dem daran grenzenden Vorwerk und einer bedeutenden Meierei den Berliner Bürgern gegen einen geringen Grundzins oder auch ganz umsonst überlassen, indem sie mit dieser Schenkung das Glück und den Wohlstand unzähliger Familien begründete. Theilnehmend sprach sie mit den geringsten Leuten und half ihnen, wo sie konnte. Die Liebe zu ihrem Volke wurde von diesem reichlich vergolten, und noch heute bewahrt die Köpniker Kirche eine reich gestickte Fahne, die ihr die Berliner Bürgerschaft zum Geschenk gemacht.

Um so tiefer und schmerzlicher war der Eindruck, den ihr unerwarteter Tod hervorrief. Sie starb, erst sechsunddreißig Jahre alt, am ersten Februar 1705 auf einer Reise nach Hannover an den Folgen einer vernachlässigten Halsentzündung. Bis zum letzten Augenblicke bewahrte sie jene philosophische Ruhe und Erhabenheit, die ihr Leben auszeichneten. Auf dem Sterbelager tröstete sie ihren jüngern Bruder, der verzweifeln wollte, mit den Worten: „Der Tod schreckt mich nicht, schon allzulange betrachte ich ihn als unvermeidlich.“ Den französischen Hofprediger La Bergerie, der ihr in den letzten Stunden beistand, begrüßte sie lächelnd: „Man erkennt seine Freunde in der Noth. Sie kommen mir Ihre Dienste anzubieten in einer Zeit, wo ich nicht mehr im Stande bin, etwas für Sie zu thun; ich danke Ihnen dafür.“ – Als er darauf einige tröstliche Worte an sie richtete, erwiderte sie ihm: „Ich habe seit zwanzig Jahren der Religion ein ernstliches Studium gewidmet, und mit Aufmerksamkeit die Bücher gelesen, die davon handeln; mir ist kein Zweifel übrig. Sie können mir nichts sagen, was mir nicht bekannt wäre; ich kann Ihnen versichern, daß ich ruhig sterbe.“ -In einem zärtlichen Briefe nahm sie von ihrem Gatten Abschied; worauf sie, vielleicht an seine Prachtliebe denkend, sich an ihre anwesende Freundin, Fräulein von Pöllnitz, mit den Worten wendete: „Ach, wie viele unnütze Ceremonien wird man für diesen Körper anstellen!“ Als sie diese in Thränen zerfließen sah, fuhr sie fort: „Was weinen Sie? Dachten Sie denn, ich sei unsterblich?“

Der König fiel, als er die Nachricht von ihrem Tode erhielt, in Ohnmacht; es mußte ihm eine Ader geöffnet werden. Er war tief gebeugt durch ihren Verlust, nicht minder ihre untröstliche Mutter, und der große Leibnitz, der sie in seinem Trostbriefe an Fräulein von Pöllnitz „die vollendetste Fürstin der Welt“ nannte. Alle Höfe legten tiefe Trauer um sie an, am meisten aber wurde sie von ihrem eigenen Volke beweint. – Friedrich der Große, ihr auch im Geiste verwandter Enkelsohn spricht das Urtheil der Mit- und Nachwelt über die herrliche Frau in folgenden Worten aus: „Sophie Charlotte hatte eine starke Seele. Ihre Religion war geläutert, ihre Gemüthsart sanft, ihr Geist geschmückt durch das Lesen aller guten französischen und italienischen Bücher.“

Sie starb zu Hannover im Schooß ihrer Familie. Man wollte einen reformirten Geistlichen bei ihr einführen. Sie sagte ihm: „Lassen Sie mich sterben, ohne daß wir uns streiten.“ – Eine ihrer Damen, die sie sehr liebte, zerfloß in Thränen. „Beklagen Sie mich nicht,“ sagte sie zu dieser, „denn ich gehe jetzt, meine Neugier befriedigen über die Urgründe der Dinge, die mir Leibnitz nie hat erklären können, über den Raum, das Unendliche, das Sein und das Nichts, und dem Könige, meinem Gemahl, bereite ich das Schauspiel eines Leichenbegängnisses, welches ihm neue Gelegenheit giebt, seine Pracht darzuthun.“ – Sie empfahl sterbend ihrem Bruder dem Kurfürsten die Gelehrten, welche sie begünstigt hatte. –

Sophie Charlotte verdiente im Leben wie im Tode den Namen der „philosophischen Königin“. –

Max Ring. 




Spaziergänge durch das heutige Rom und durch die Campagna.

„Hotel de la Minerve!“ sagte ich zu meinem schweigenden Kutscher, der mich auf dem Bahnhofe in Empfang nahm, und bald hielt der Wagen auf einem ziemlich großen Platze Rom’s, in dessen Mitte ein Elephant eine Pyramide auf seinem Rücken trug, vor einem erleuchteten Hause, über dessen Thore ich in glänzenden Metallbuchstaben den Namen des Gasthofs las. Ich war ja zum ersten Male in Rom, in der märchenhaften Siebenhügelstadt des Romulus und des Numa, in der Stadt der Gracchen, in der Hauptstadt der Erde, in deren Tempeln und Palästen lorbeergekrönte Imperatoren die Schätze Griechenland’s, Afrika’s und des Orients aufhäuften, in dem modernen Rom, wo sich der Titanengeist Michael Angelo’s und Raphael’s unsterblicher Genius ewige Denkmale von wunderbarer Schönheit geschaffen haben, in der tausendjährigen Residenz des Hohenpriesters der christlichen Kirche, aus der er ein Jahrtausend lang vermittelst des Bannfluchs und der Knechtung des Gedankens die Welt beherrscht hat. Welche Erinnerungen! Rasch ließ ich mir einen Lohndiener geben, um mich noch eine Stunde in der Stadt spazieren zu führen.

Wie war Alles still und öde in den Straßen! Ich kam über Plätze, auf denen Obelisken standen und Wasserstrahlen aus dem Munde von Tritonen rauschten, welche von Delphinen getragen wurden. Die Obelisken standen einst in den sonnendurchglühten Ebenen des Nilthals; die Brunnen waren Meisterwerke Bernini’s, des großen Baumeisters und Bildhauers zweier mächtiger Päpste. Todesstille Einsamkeit lagerte über den Obelisken und Tritonen, ich hörte die Millionen Tropfen, welche auf der Spitze der im Mondlicht glänzenden Strahlen in die Höhe flogen, in silberne Funken zerstieben und auf dem Spiegel der Wasser rauschten, in deren glänzendem Grunde sich Tritonen und Delphinen zunickten. Tropfen nach Tropfen hörte ich fallen; so

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_218.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)