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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Brüderschaft des Städtchens, aus den vornehmsten Bewohnern desselben bestehend, wie sie in den meisten Städten Mittelitaliens und Süditaliens sich gebildet haben. Die Confraternita sammelt in den Straßen und in den Häusern milde Beiträge für die Armen und für die Gefangenen, sie bestattet die Gestorbenen zu Grabe, ihre Zwecke und ihre Tendenzen sind Demuth und Wohlthun; die Leichenzüge in den offenen Särgen, die bunten Farben derselben, die vermummten Gestalten sind Alles noch Reste antiker Sitte.

Den Strohhut abnehmend, grüßte ich die langsam vorübergetragene Todte. Mein Kutscher betete ein Ave Maria. Noch lange schaute ich dem sonderbaren Zuge nach, bis der eintönige Grabgesang in der Ferne verhallte. Dann fuhr ich ein in das Städtchen. Die Straßen des berühmten Wallfahrtsortes der Madonna del buon Consiglio im Sabinergebirge, zu deren Kapelle in den Marientagen die Menschen aus der Umgegend und selbst aus dem Neapolitanischen zu Tausenden wallfahrten, waren heute Abend einsam und öde, bis ich auf den Platz kam, an dem der ehrwürdige Palast des einst in diesen Gegenden so mächtigen Geschlechts der Colonna steht: da war Alles voll Leben und Bewegung. Mitten auf dem Platz hielt ein mit zwei Pferden bespannter Wagen. Der Kutscher saß, die Peitsche und die losen Zügel in der Hand, auf dem Bocke. Im Wagen stand aufrecht, eine Flasche in der einen Hand, mit der andern Hand in der Luft gesticulirend, ein Mann, etwa in der Mitte der Vierziger, und redete zu der den Wagen umgebenden Menge.

Was redete der sonderbare Mann? Er pries der gaffenden Bevölkerung des Städtchens die Medicin an, welche in der Flasche enthalten war. Es war kein Heilmittel für ein einzelnes Uebel, etwa für Rheumatismus, oder für Magenbeschwerden oder gegen das Fieber. O nein, mit der Bereitung solcher Kleinigkeiten hatte sich der Mann im Wagen niemals abgegeben. Es war eine Universalmedicin, ein Heilmittel für alle und jegliche Uebel, ein wunderbares Elixir, welches er in dem Decoct von seltenen Pflanzen fand, die nur in den afrikanischen Wüsten wachsen. Dort hielt er sich Jahre lang auf, nicht, wie seine Collegen, sich üppiger Muße hingebend, sondern den ernstesten Studien obliegend. Jetzt bereiste er Europa, von Sicilien anfangend, um mit seinem Wunderelixir alle Schmerzen und alles Elend der leidenden Menschheit zu heilen, nicht um Schätze zu erwerben, nein, sondern nur der leidenden Menschheit wegen. Deshalb forderte er auch keinen Goldscudo für sein Wundermittel, nicht einmal einen Silberscudo – der Werth des Elixirs sei ja mit Hunderten von Goldscudi nicht bezahlt –, sondern er bot es an – für nur einen einzigen Paolo.

Der Charlatan.
Nach der Natur aufgenommen von Zwahlen und Zielcke

Dann erzählte er unter den lebhaftesten Gesticulationen lange, schreckliche Krankheitsgeschichten. Immer erschien er zum Schluß als rettender Engel, sein Universalelixir, wie heute, in der Hand, welches noch niemals seine Urkraft verleugnete. Ich kehrte mich um und lachte. Da saß er ja, mir gerade gegenüber, auf einem abgebrochenen Säulenstumpf, seine Zeichenmappe vor sich auf den Knieen, der Freund, den ich in Gennazzano suchte, der auf dem Verdecke des französischen Dampfschiffes in dem langweiligen Hafen von Civitavecchia von mir Abschied genommen hatte! Er zeichnete den gesticulirenden Mann in dem Wagen mit seinem Wunderelixir. Mit einem fröhlichen „Guten Abend“ streckte ich ihm die Hand entgegen.

„Was ist denn das für ein sonderbarer Kerl, da in dem Wagen?“

„Das ist der Römische Charlatano oder Heilkünstler“, erwiderte er, „doch passen Sie auf, jetzt kündigt er die Operationen an. Nun, über das Herausreißen eines Zahnes geht er selten hinaus!“



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_221.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)