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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

armen Demarris, der sich vergebens darum bemüht hatte, den Rang ablaufend.

Man war erstaunt, den schweigsamen, sonst so ungeselligen Helden Bonaparte so liebenswürdig beweglich zu sehen, und er verdunkelte mit diesen bisher nicht an ihm entdeckten Eigenschaften selbst seinen Freund Andrea, dem sonst der ungetheilte Beifall zugekommen sein würde. In der That hatte Pozzo di Borgo bei diesen jungen Genossen fast noch mehr Anerkennung gefunden, als bei der ehrbaren Seite der Gesellschaft, denn seine feinen und gefälligen Sitten, seine Artigkeit und seine lebhafte Theilnahme an den vorgeschlagenen Vergnügungen fanden dankbare Anerkennung. Er bewies sich so anregend und gewandt, dabei so voll guter Laune und guter Einfälle, daß er schnell ein Uebergewicht geltend machte und für die gemeinsame Lust den treibenden Mittelpunkt zu bilden begann. Neben ihn stellte sich jedoch Bonaparte und machte ihm diesen Vorzug streitig, indem er mit ihm wetteiferte. Es konnte beinahe scheinen, als sei er eifersüchtig auf das Wohlgefallen geworden, das Pozzo di Borgo so schnell zu Theil wurde, und als habe Demarris doch einiges Recht mit seinen Behauptungen, daß diese beiden jungen Männer nie und nirgend beisammen sein könnten, ohne sich sogleich gegen einander zu versuchen. Auch Carlo Andrea hatte einige Male versucht, Bonaparte bei dem Fräulein von Colombier zuvorzukommen, allein es war ihm nicht besser ergangen, als dem Lieutenant Demarris. Napoleon wurde entschieden vorgezogen und schien sich daran sehr zu ergötzen. Er warf spöttische Blicke auf seinen Freund, der diese mit seinem feinen Lächeln erwiderte, ohne den geringsten Mißmuth zu zeigen. Der junge Advocat hatte dafür die Ehre, daß Frau von Colombier ihn zu ihrem Nachbar machte, und konnte an den Unterhaltungen Theil nehmen, welche am oberen Ende des Tisches geführt wurden. Es war natürlich, daß von den Dingen die Rede war, welche in Frankreich alle Köpfe in Bewegung setzten, und daß er zunächst über die Meinungen befragt wurde, welche in Corsica sich geltend machten.

Er beantwortete diese verfängliche Frage mit vieler Bescheidenheit. „Madame,“ sagte er, „man theilt in Corsica die Hoffnungen, welche man in Frankreich von der Nationalversammlung hegt, daß das Glück der Nation daraus hervorgehen möge; aber man ist weit davon entfernt, dies Glück aus dem Umsturz des Bestehenden zu erwarten.“

„Nun, dahin wird es auch glücklicher Weise nicht kommen,“ lächelte der Baron Salingré. „Man wird die Menschen, welche dies Entsetzliche herbeiführen möchten, schon zur rechten Zeit entfernen und beseitigen.“

„Das wäre sehr zu wünschen,“ sagte Pozzo di Borgo.

„Verlassen Sie sich darauf,“ fuhr der Baron vertraulich fort. „Man wird nächstens mit diesem heillosen Genfer Bankier, diesem Herrn Necker, den Anfang machen und dann die übrige Gesellschaft hinterher schicken.“

„Wenn es noch angeht, kann man gewiß nichts Besseres thun,“ erwiderte Carlo Andrea, „aber ich fürchte –“

„Was fürchten Sie?“

„Daß es dazu zu spät ist.“

„Meinen Sie? Warum soll es zu spät sein?“

„Weil die revolutionairen Ideen sich schon zu weit verbreitet haben.“

„Revolutionaire Ideen!“ lächelte der Baron. „Glauben Sie denn an solche Hirngespinste?“

„Leider glaube ich daran,“ sagte Pszzo di Borgo, „obwohl ich es besser nicht thun möchte.“

„Das sind Einbildungen des Pöbels,“ fiel die alte Vicomtesse ein, indem sie einen mißbilligenden Blick auf den jungen Mann warf. „Kein Edelmann wird diese gelten lassen.“

„Sehr wahr,“ antwortete Andrea noch bescheidener, „aber unglücklicher Weise giebt es nicht wenige Edelleute, welche dies ganz vergessen haben.“

„Für diese, mein Bester,“ lächelte der Baron, „haben wir eine Bastille, in welcher, wie ich hoffe, bald der Herr Marquis Mirabeau und manche andere gut aufgehoben sein werden. Nein, es wird nicht gelingen, dafür sorgen wir, der Adel und die Armee, unsere tapferen Officiere.“

„Gewiß der allerbeste Schutz, allein –“

„Was haben Sie noch für Zweifel?“

„Ich habe gehört, daß selbst den Soldaten nicht mehr zu trauen ist, und manche Officiere –“

„Das sind Verleumdungen!“ rief der Baron. „Ah! wir haben ja auch hier in unserem Kreise Officiere. Da ist Herr Bonaparte, der soll uns sogleich seine Meinung sagen.“

Der Lieutenant Bonaparte war in lebhafter Unterhaltung mit seiner schönen Nachbarin, als er von dem Baron unterbrochen wurde, aber er antwortete sogleich: „Der Officier hat nichts zu thun, als die Befehle seiner Vorgesetzten zu erfüllen.“

„Sehr gut! sehr gut!“ rief der Baron, und die Vicomtesse nickte beifällig. „Diese Befehle werden wahrhaftig nicht ausbleiben, und unsere tapferen Officiere werden diese unnützen Menschen schon zur Ordnung bringen. Nicht wahr, Herr Bonaparte?“

„Sicherlich, Herr Baron. Wir haben die besten Mittel dafür.“

„Was meinen Sie?“

„Pulver und Blei!“

„Vortrefflich! ganz vortrefflich!“ lachte der Baron. „Ihre Gesundheit, mein lieber Herr Bonaparte, Ihre Gesundheit!“

Der Beifall war so allgemein, daß alle Gläser in Bewegung kamen. Der Lieutenant Bonaparte hatte für einen ziemlich wohlfeilen Triumph zu danken; aber seine Lippen zuckten spöttisch dabei und seine schwarzen Augen funkelten nach allen Seiten umher. Er bemerkte sehr wohl, daß sein Freund Andrea ihn lächelnd betrachtete, und wandte sich von ihm ab, wo Fräulein Beatrice ihn mit holdseligen Blicken empfing.

„Das ist ein ausgezeichneter junger Mann,“ sagte die Vicomtesse, „von wahrhaft wohlthuender Gesinnung.“

„Und ein ebenso ausgezeichneter Officier,“ fügte Frau von Colombier hinzu. „Der Lieutenant Demarris versichert, daß der Oberst des Regiments dies öffentlich ausgesprochen hat.“

„Dann verdient er um so mehr, daß man ihn empfiehlt, wo es von Nutzen ist,“ erwiderte der Baron. „Ich will mit Vergnügen an den Prinzen von Lambec darüber schreiben, aber – ist er auch von gutem Adel?“

Er wandte sich mit dieser Frage leiser an Frau von Colombier, die ihrerseits zu ihrem Nachbar mit vieler Freundlichkeit begann: „Sie werden dies am besten beantworten können, Herr Pozzo di Borgo; ich bin jedoch gewiß, daß Herr Bonaparte von gutem Adel ist.“

„So ist es in Wahrheit,“ sagte Andrea. „Die Bonaparte sind eine alte und gute Familie. Der Adel ist allerdings in Corsica derartig allgemein, daß ganze Dörfer und Ortschaften adlig zu sein behaupten konnten. Es erschien daher, als die Insel an Frankreich kam, ein Befehl des Königs, daß künftig nur vierhundert Familien fernerhin den Adel behalten und die Vorrechte desselben genießen sollten. Unter diesen befand sich auch die Familie Bonaparte.“

„Das ist eine anerkennende Auszeichnung,“ sagte der Baron, „auf welche man sich verlassen kann. Mit wahrer Freude will ich diesen trefflichen jungen Officier empfehlen und bin überzeugt, daß dies ihm gute Dienste leisten soll.“

Nach dieser Episode ging das Mahl in freudiger Geselligkeit weiter, und als es sein Ende erreicht hatte, wurde noch in der Halle getanzt, bis endlich spät die Freunde sich empfahlen und nach der Stadt zurückkehrten. Frau von Colombier war ungemein gütig, sowohl gegen Napoleon wie gegen den Fremden, und schärfte jenem ein, den Freund nicht abreisen zu lassen, sondern ihn am nächsten Tage wieder mit in das Landhaus zu bringen.

„Wie dankbar ich auch für so große Huld bin,“ erwiderte Carlo Andrea, „so werde ich doch morgen abreisen müssen, da die Post am Abend nach Lyon geht.“

Die Dame schüttelte jedoch lächelnd den Kopf. „Wir wollen nichts davon hören,“ sagte sie, „und gewiß wird auch Herr Bonaparte es nicht leiden, daß Sie ihn so bald verlassen. Daher nehmen wir keinen Abschied, sondern müssen Sie morgen bei einem kleinen Feste sehen, bei welchem es, wie ich hoffe, noch fröhlicher hergehen soll, als es heute der Fall war.“

Damit verabschiedete sie ihre Gäste, und Bonaparte führte seinen Freund rasch davon, ohne auf Demarris zu warten, dessen Stimme sie bald hinter sich hörten, ohne ihm zu antworten. Bonaparte bog in einen Nebenweg und hielt sich mit Carlo Andrea dort verborgen, bis die Anderen vorüber waren.

„Ich will mit Dir allein sein,“ sagte er, „denn ich habe Dir noch mancherlei zu sagen und Dich zu fragen. Wie hat Dir diese Gesellschaft gefallen?“

„Ich glaube, daß sich nur günstig darüber urtheilen läßt,“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_227.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)