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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

erwiderte Pozzo di Borgo, „obwohl, wo viel Licht ist, auch die Schatten nicht fehlen können.“

„O!“ rief Napoleon mit seinem scharfen Lachen, „die alte Vicomtesse und dieser bepuderte Baron mit dem Riechfläschchen werfen einige schwarze Linien auf Dein Bild, aber was haben wir damit zu schaffen? Diese Welt wird untergehen, ohne daß wir daran rühren; sie ist schon im Untergange begriffen, und diese Reste sind wie Mumien in einem Museum, bei deren Anblick man sich vorzustellen sucht, wie es zu Ramses des Großen Zeiten einst in Aegypten ausgesehen hat.“

„Nun,“ versetzte Andrea ebenfalls lachend, „diese sprechenden Mumien sind jedenfalls nicht geneigt, von dieser Welt zu scheiden, und haben die besten Absichten, Dich den Geheimkämmerern Ramses des Großen bestens zu empfehlen.“

Mit einer ungestümen Bewegung rief Napoleon: „Warum nicht? wenn das so geschehen soll. Mögen sie mich empfehlen, ich werde nicht Nein sagen. Bei großen Ereignissen muß man nicht in dem Winkel sitzen, man muß zusehen, wie man auf das Theater kommt und mitspielt.“

„Du möchtest eine Rolle in dem Stücke übernehmen?“

„Die größte, die zu haben ist, wär’s auch eine Kaiserrolle!“ rief Bonaparte.

„Ja, dafür ist Corsica zu klein,“ lachte Carlo Andrea. „Selbst die Könige sind bei uns schlechte Schauspieler geblieben, unser kleines, armes Volk kann keine größeren Helden brauchen, als die Sampiero, Gastoni oder Paoli, die es frei und gesittet machen wollten.“

„Und was haben sie vollbracht?“ erwiderte Napoleon. „Sie sind ermordet oder verjagt worden, und die Barbarei ist geblieben, wie sie war. Hätten sie Corsica groß machen können, mächtig, die Welt bewegend – aber es blieb der abgelegene, vergessene Winkel, und das Volk – was ist aus dem Volke geworden? Wo ist seine Gleichheit, wo ist seine Freiheit? Die armseligen Ziegenhirten und halbnackten Fischer haben nichts dabei gewonnen, sie sind so wild und roh wie sie gewesen. Nein, Carlo, nein! ich will nicht nach Ajaccio zurück. Ich kann Urlaub haben in jedem Augenblick, er liegt für mich bereit, aber ich will in Frankreich bleiben, denn hier giebt es Ereignisse, Thaten, Raum und Menschen für die Weltgeschichte!“

„Ich kann Dir nicht Unrecht geben,“ erwiderte Pozzo di Borgo.

„Du giebst mir also Recht!“ versetzte der lebhafte Officier mit seinem spöttischen Schärfe. „Wir werden in Corsica nicht wieder um unser Ansehen streiten. Ich überlasse es Dir dort der Erste zu sein. Damit bist Du zufrieden.“

„Vollkommen zufrieden, und wünsche Dir dafür, daß Du in Frankreich der Erste sein magst.“

Bonaparte schüttelte ihm lachend die Hand. „Gut,“ sagte er, „wir wollen diesen Vertrag abschließen, und jeder von uns mag sich Mühe geben. Doch im Ernst gesprochen, Carlo, was sagst Du dazu –“ er hielt plötzlich inne und fragte dann schnell: „Was sprach Frau von Colombier mit Dir?“

„Sie fragte nach Deiner Familie und ob Du von gutem alten Adel seist.“

„Mein Adel! mein Adel!“ rief Bonaparte und er schlug mit der Hand an seinen Degen und fuhr dabei fort: „Damit hoffe ich meinen Adel ihnen allen am besten zu beweisen.“

„Ich habe sie und den Herrn Baron vollständig darüber beruhigt,“ fiel der Freund ein.

„Du? Was sagtest Du ihnen?“

„Daß Deine Familie zu den besten und zu den Vierhundert gehörte.“

„Die Marbeuf adlig machte!“ lachte der Lieutenant. „Alle diese Narrheit wird ein Ende nehmen. Alle Familien in der Welt sind von gleichem Alter, wie könnten sie sonst am Leben sein? und alle haben gleiches Recht, alle sind Wesen einer Art, alle sind Menschen!“

„Doch sehr verschieden begabte,“ sagte Pozzo di Borgo. „Ich rathe Dir doch, mein lieber Napoleon, dies nicht zu vergessen, wenn Du Dich dem Herrn Herzog von Liancourt und dem Prinzen Lambec empfehlen lassen willst.“

„Oho!“ rief Bonaparte, „alle diese Schranzen werden vor der Sonne der Vernunft zerschmelzen, diese große neue Zeit wird bessere Männer an ihren Platz stellen. Der Adel wird eine wahre Vereinigung der Edelsten sein; jeder muß darnach streben, zu denen zu gehören, die zu dieser Erhebung des Menschengeschlechtes beitragen können.“

„Das ist jedenfalls eine edle und hohe Aufgabe.“

„Man darf den Einfluß der Mächtigen dabei gewiß nicht verachten,“ fuhr Napoleon fort, „sondern muß günstige Verhältnisse benutzen, muß auf den Rücken derer steigen, die ihn dazu anbieten. Ist man oben, dann erst vermag man Großes und Gutes zu thun.“

„Vollkommen richtig gedacht,“ antwortete Pozzo di Borgo.

„Sagst Du es?“ rief Bonaparte. „Findest Du, daß ich Recht habe?“

„Wenn Du richtig speculirst, kann es so kommen.“

„Speculirst! speculirst! Was verstehst Du darunter?“

„Nun,“ erwiderte Carlo Andrea, sich vertraulich zu ihm beugend, „ich glaube, daß ich mich damit nicht irre, lieber Napoleon, sondern Dich richtig verstehe. Du hast mir heut schon gesagt, daß, wenn man sein Glück machen will, man mit einer einflußreichen Familie sich verbinden muß, und ohne Zweifel bist Du auf dem besten Wege dazu.“

„Meinst Du das? Meinst Du es aufrichtig?“

„Daran zweifle nicht. Der Schwiegersohn der Frau von Colombier hat gewiß die besten Empfehlungen zu erwarten. Und dies ist ein artiges Fräulein, ein allerliebstes Gesicht, schmachtende blaue Augen. ein süßes, hingebendes Lächeln. Die Speculation hat somit überall angenehme Aussichten.“

„Halt ein!“ rief Bonaparte und preßte seinen Arm. „Es ist keine Speculation, Carlo, denn ich liebe Beatrice!“

„Du liebst sie? Ja, das ist etwas Anderes,“ antwortete Pozzo di Borgo.

„Ich liebe sie!“ fuhr Napoleon mit Heftigkeit fort, „und auch sie – sie würde mich Allen vorziehen – zieht mich vor!“

„Dann habe ich nichts mehr zu sagen,“ versetzte der Freund.

„Es ließen sich Bedenken erheben, doch Deine Liebe rechtfertigt Dich. Ich begreife nun vollkommen Deine Wünsche und warum Du nicht nach Corsica willst. Dein Herz befiehlt Dir hier zu bleiben, und Dein Ehrgeiz verlangt nach Auszeichnung, um einer Braut aus solcher Familie würdig zu sein. Es ist wahr, die Zeit ist in wilder Gährung; wer weiß, wohin diese Stürme noch treiben, wer weiß, ob es gelingt, den Strom in seinem Bette zu halten, und wer weiß, wen er verschlingt. Aber Du wählst, wie Du wählen mußt, weil Du liebst, und ich zweifle nicht daran, daß Du bald nach Paris gerufen sein wirst, denn man braucht dort Officiere, auf welche sich der Hof verlassen kann. Du wirst schnell ein Capitainspatent in der Tasche haben, wohl gar Oberst werden, je nachdem, und dann wird Frau von Colombier freudig ihren Segen geben, und ihre Verwandten werden Dich mit Vergnügen umarmen.“ „Gute Nacht!“ rief Napoleon, indem er ihn losließ. „Dort ist das rothe Haus; gute Nacht!“

„Laß uns noch beisammen bleiben.“

„Nein! morgen mehr. Es ist genug für heute.“

Ohne sich aufzuhalten, ging er weiter. Pozzo di Borgo wandte sich dem Gasthause zu, und als er einige Schritte gethan hatte, lachte er leise vor sich hin.

(Fortsetzung folgt)




Das letzte Pfand.

Es ist der Tag vor Ostern,
Warm treibt der Frühling schon,
Geendet hat nun Sang und Predigt
Von „Kreuz und Dornenkron’“.

Im Auferstehn zur Freude
Regt Alles draußen sich hold,
Still breitet auf Berge und Thäler
Das Leben sein Ostergold.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_228.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)