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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

er selbst wollte in dem Gehölze die Nacht zubringen. Wohl waren die Nächte schon kalt und feucht, an Wind und Wetter von Jugend auf gewöhnt, fürchtete er sie nicht, denn schon in kälterer Zeit hatte er manche Nacht im Freien zugebracht. Je mehr der Abend hereinbrach und je stiller es wurde, um so lauter schallte das Geräusch von dem Treiben im Thale zu ihm herauf, das dumpfe schwere Rollen der Kanonen und Proviantwagen, der Hufschlag der Pferde, dazwischen laute Stimmen, Trommelschlag und Musik. Schon dies Geräusch schreckte ihn ab, in das Thal zurückzukehren, und lange hielt es ihn wach, bis er endlich sitzend, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, dicht neben sich seinen Hund und seine wenigen Thiere, entschlief. –

Der 13. October brach heran, einer der wichtigsten Tage in Deutschlands Geschichte, denn an ihm und nicht am folgenden Tage wurde das Geschick der Schlacht im Voraus entschieden. Der Herzog von Braunschweig, besorgt um die für sein Heer so nothwendigen Vorräthe in Naumburg, welche von Davoust, Bernadotte und Murat bedroht wurden, und hoffend, daß Napoleon nicht sogleich und zumal nicht auf diesem für ihn so ungünstigen Terrain eine Schlacht liefern werde, hatte seine Armee getheilt, und der Haupttheil derselben zog mit dem Könige an der Spitze mit Tagesanbruch nach Sulza und kam am Abende dieses Tages auf den Höhen von Auerstädt an. Hohenlohe blieb als Nachhut auf den Berghöhen zwischen Jena und Weimar zurück. Er selbst gab die Vortheile seiner Stellung, die ihn mächtig machten, unbegreiflicher Weise auf. Statt sein Corps nach dem Abzuge des Herzogs von Braunschweig noch mehr zu concentriren, um die Hauptpunkte dieser Stellung gehörig besetzen und vertheidigen zu können, dehnte er dasselbe über einen Raum von sechs Stunden aus, ohne in dieser langen, schwachen Linie wirklich bedeutende Stützpunkt zu haben. Und den wichtigsten und höchsten Punkt der ganzen Stellung, den Landgrafenberg, gab er ganz auf.

Kaum hatte Napoleon diesen Fehler bemerkt, so bestieg er selbst den Berg, und bald darauf war er von Lannes’ ganzem Corps besetzt. Zu spät sah jetzt Hohenlohe seinen Fehler ein, er wollte den Hügel wiedernehmen, wurde indeß zurückgeworfen. Von diesem Hügel aus konnte Napoleon die ganze Stellung des preußischen Heeres beobachten, und die weite Ausdehnung der feindlichen Linie ließ dasselbe größer erscheinen als es war. Für den folgenden Tag hatte er einen Schlachtplan entworfen. Lannes’ ganzes Corps hatte er bereits auf der Anhöhe, noch fehlte ihm aber die Reiterei und die Artillerie, und ohne Beide konnte er keine Schlacht wagen. Vergebens war Alles aufgeboten, sie an den hohen und steilen Abhängen des Landgrafenberges hinaufzuschaffen; es war unmöglich, ohne die Zeit von einigen Tagen zu verlieren. Hatte doch selbst die Infanterie die größte Mühe, auf den schmalen, den Berg hinanführenden Pfaden hinaufzuklimmen.

Der Morgennebel hatte sich verzogen, und erst jetzt wurde Hohenlohe gewahr, was für eine bedeutende Macht des Feindes, die während der Nacht auf die Anhöhe gebracht war, ihm gegen über stand. – Um dieselbe Zeit stand auch der Schafhirt wieder an dem Bergabhange, seine Thiere zu weiden. Sein erster Blick war in das Thal hinab gewesen, und aus seinen Augen glühte ein begeistert freudiges Feuer, als er die zahlreichen Geschütze und Munitionswagen im Thale aufgefahren sah und aus den großen Massen Reiterei erkannte, daß es noch nicht gelungen war, diese den Berg hinauszuschaffen.

„Teufel!“ rief es unwillkürlich in ihm. „Wenn er den Weg wüßte, der auf jene Höhe führt! Er selbst wird ihn nimmer finden, es kennen ihn überhaupt nur Wenige und vielleicht Niemand so genau als ich. Er sieht nicht aus, als ob es möglich wäre, ihn zu passiren, und doch bin ich selbst früher mehr als einmal auf ihm geritten.“

Wieder kam der Mann, der ihn am Tage zuvor überrascht hatte, vom Berge herab zu ihm.

„Ihr sagtet gestern, daß Ihr nach Naumburg wolltet? “ fragte Born.

„Das war allerdings meine Absicht, alle Wege sind indeß so gut wie versperrt, es ist fast unmöglich hindurch zu kommen. Ich habe übrigens gestern noch ein gutes Geschäft gemacht, von dem ich schon eine Zeit lang leben kann. Schaut!“ fügte er hinzu, indem er einen Geldbeutel empor hielt, in welchem mehrere Goldstücke glänzten. „Seht, es sind jetzt schlechte Zeiten, Handel und Arbeit stocken, es hält schwer, Geld zu verdienen, und man weiß noch nicht, welche Schicksale uns bevorstehen. Mit diesem Gelde will ich wieder einen kleinen Handel beginnen. Hört, wie ich mir das ausgesonnen habe.“

„Ich versteh’ von Euerem Handel nichts, und es geht mich auch nichts an,“ unterbrach ihn der Hirt, der mit diesem Menschen nicht länger Etwas zu schaffen haben mochte.

„Nun, was habt Ihr?“ fragte Sielert beruhigend. „Ich habe Euch dazu nöthig – hört mich ruhig an. Seht, den Landgrafenberg und die ganze Höhe dort haben die französischen Fußvölker besetzt, wie Katzen sind sie den Berg hinaufgeklettert. Da oben giebt’s wenig, wie Ihr wißt, es traut sich auch Niemand zu den Franzosen; ich fürchte sie nicht. Nun möchte ich gern mit einem kleinen Wagen Wein und Bier dorthinauf schaffen, man wird es mir gut bezahlen, aber wie soll’s hinaufkommen? Seht, Born, ich schenke Euch eins von diesen Goldstücken, wenn Ihr mir den Weg zeigt, von dem Ihr gestern spracht. Wollt Ihr?“

Mit steigender Spannung hatte Born ihm zugehört, forschend ruhte sein Auge auf seinem Gesichte.

„Ich soll Euch den Weg zeigen?“ rief er. „An die Feinde wollt Ihr ihn verrathen!“

Sielert lächelte verschmitzt. „Seid kein Thor, Born! Und wenn dies nun wirklich meine Absicht wäre? He! Kommt, wir wollen das Geschäft zusammen machen, ich unterhandle mit den Franzosen, ich stelle eine Forderung und ich verspreche Euch, daß sie uns soviel geben sollen, daß Keiner von uns Beiden in seinem Leben wieder zu arbeiten braucht.“

Des Hirten Wangen hatten sich geröthet, die Adern auf seiner Stirn waren angeschwollen, in seinem Innern gährte ein Unwetter, aber noch brach es nicht los.

„Nun sprecht, Born,“ drängte Sielert.

„Ich – ich soll den verd – Franzosen den Weg verrathen?“ rief Born, der noch immer nicht Luft für seinen Zorn bekommen konnte.

„Nun weshalb nicht, wenn es gut bezahlt wird? und dafür sich’ ich!“

„Schuft!“ unterbrach ihn der Hirt heftig, indem er ihn an der Brust erfaßte. „Schuft Du! Mein eigenes Vaterland, das Leben meiner Söhne soll ich für Geld verrathen? Da, fahr hin!“ und mit überlegener Kraft, trotz seines Alters, stieß er ihn den Abhang hinab.

Mehrere Male stürzte der Verräther kopflings über, dann raffte er sich auf und drang wuthschäumend auf den Alten ein. Dieser hatte seinen Schäferstab erhoben und sah nicht aus, als ob er zögern werde zuzuschlagen. Sielert wagte sich nicht an ihn heran. „Das sollt Ihr büßen!“ rief er wüthend und eilte den Berg hinab.

„Denk an Dein eigen Leben, das endet am Galgen!“ rief ihm der Alte nach.

Sein einfach schlichter Sinn vermochte solche Schändlichkeit nicht zu fassen. Er setzte sich nieder und stützte das Haupt auf die Hand. Wie war es möglich, daß Jemand an seinem eigenen Vaterlande zum Verräther werden konnte? Er dachte seiner Söhne, seiner Tochter und Frau. Seit langer Zeit hatte er sie nicht gesehen. Noch waren sie ungefährdet, denn jenseits der Saale erblickte er noch keine Feinde, die dortigen Höhen waren noch frei. Aber was sollte aus ihnen Allen werden, wenn die Franzosen wirklich siegten? Es konnte und durfte nicht sein!

Länger denn eine Stunde hatte er sinnend dagesessen. Nahende Schritte schreckten ihn auf. Mehrere französische Soldaten näherten sich ihm. Da erblickte er auch Sielert in einiger Entfernung. Eine bange Ahnung stieg in ihm auf. Erschreckt sprang er auf. Sollte er fliehen? Seine alten Beine würden ihn nicht weit getragen haben. Sollte er sich zur Wehr setzen? Fest, fast krampfhaft erfaßte er seinen Stab – auch dies wäre Thorheit gewesen! Scheinbar ruhig blieb er stehen. Die Soldaten traten heran, und einer von ihnen forderte ihn in gebrochenem Deutsch auf, ihnen zu folgen.

„Wohin?“ fragte Born, dessen Ruhe und Fassung zum großen Theile zurückgekehrt waren.

„Zum Marschall,“ lautete die Antwort.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_234.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)