Seite:Die Gartenlaube (1861) 254.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Als Reichardt nach beendeter Mahlzeit sein Zimmer betrat und seine Violine erblickte, kam es ihm vor, als habe er sich gegen sie einer Untreue schuldig gemacht. Er öffnete den Kasten; das Instrument war immer seine Busenfreundin gewesen, der er anvertraute, was unklar oder unausgesprochen in ihm ruhte. Und so begann er auch jetzt, auf- und abschreitend, im freien Spiele seinem Herzen Luft zu machen. Kaum zwei Minuten lang mochte er aber das Zimmer durchmessen haben, als sich auch leise die Thür öffnete und Bob’s Gesicht sich vorsichtig hereinschob. Den Mund halb offen, die Augen starr auf den Spielenden gerichtet, blieb er eine kurze Weile in der Oeffnung stehen; dann aber stellte er sich, behutsam die Thür hinter sich schließend, neben dem Thürpfosten auf. Reichardt hatte ihn bemerkt, aber die Gestalt paßte gerade in seine Phantasien hinein, und so setzte er, ohne sich unterbrechen zu lassen, sein Spiel fort, bald in weichen Tönen klagend, bald in energischen Doppelgängen dem Schicksal Trotz bietend oder in tollen Läufern und Arpeggios den Kampf mit ihm beginnend. Als er endlich, zur Klarheit sich hindurcharbeitend, mit einem kräftigen Schlusse geendet, blieb er vor dem regungslosen Schwarzen stehen und reichte diesem die Geige.

„Jetzt, Bob, laß’ einmal hören, was Du kannst!“ sagte er; der Angeredete aber schüttelte mit einem verlegenen Grinsen den Kopf, während seine Augen sich dennoch gierig auf das Instrument richteten. „Ich kann blos fiedeln in meiner Manier, Sir,“ sagte er, „vielleicht, wenn ich die Noten verständ’, könnt’ ich auch Anderes –“

Reichardt sah, wie des Schwarzen Finger sich unwillkürlich bewegten, um die Violine zu ergreifen, sich aber dennoch immer wieder scheu zurückzogen, und mit einem Lächeln stiller Belustigung drückte er ihm das Instrument in die Hand. „Nur los, Bob!“ sagte er, „Jeder thut, wie er es gelernt hat!“ und mit auflebendem Gesichte leistete der Schwarze Folge. Gravitätisch setzte er den linken Fuß vor, die Augenbrauen zogen sich in einem Ausdruck tiefer Wichtigkeit zusammen, und nun sauste es los. In zappelnder, windschneller Bewegung flog der Bogen über die Saiten, bald nur die einzelnen Noten andeutend, bald andere Saiten mitklingen lassend, der linke Fuß trat den Takt, in Kurzem aber folgte der Kopf der Bewegung und zuletzt auch der übrige Körper, schwingend die Tanzbewegung andeutend. Und immer ernster wurde das Gesicht, immer eifriger flog der Bogen, immer lauter trat der Fuß auf, bis der Spielende mitten in seiner sichtlichen Begeisterung plötzlich abbrach und ängstlich aufhorchte. Aber kein außergewöhnlicher Laut wurde hörbar, und mit einem scheuen Lächeln, den Kopf halb in die Schultern ziehend, gab der Schwarze die Violine zurück. „Ich dachte,“ sagte er, „ich hörte Masters Stimme, er sicht’s nicht gern, wenn ich fiedele!“

Reichardt hatte in des Schwarzen Spiel eine derselben „Hornpipes“ erkannt, in welcher er sich selbst in Saratoga hatte hören lassen, und er konnte jetzt Harriet’s Empfindungen mehr als bisher verstehen; trotzdem lag, abgesehen von den äußerlichen Zuthaten, etwas in der Weise, in welcher der Neger die Melodie variirt und verziert hatte, was auf mehr als gewöhnliches Talent deutete. „Ihr solltet im Osten sein und ordentlichen Unterricht haben, Bob,“ sagte er; „es könnte, da Ihr die Geige so lieb habt, noch etwas aus Euch werden!“

„Es könnte schon sein, Sir,“ erwiderte der Schwarze mit einem Grinsen des Vergnügens, „aber Bob ist ein armer Nigger, Sir, und wird sein Lebtag den Osten nicht sehen.“

„Und warum dürft Ihr nicht wenigstens hier spielen, wenn Ihr freie Zeit habt?“

„Ich hab’s wohl ein Bischen zu viel getrieben, Sir,“ war die halbverlegene Antwort; „wo ich eine Geige hörte, da mußte ich hin, und des Nachts habe ich mich ein paar Mal aus dem Hause geschlichen, blos um mit zum Tanze spielen zu können. Mr. Curry sagte, das Tanzen sei eine von den schlimmsten Sünden und seine Dienstboten sollten nicht dazu helfen; ich dürfe keine Geige mehr anrühren, wenn ich nicht zur Feldarbeit vermiethet sein wolle. Ich konnte ’s aber doch nicht lassen, und da hat er mich hier in’s Hotel gegeben, wo ich ihm mehr einbringe – der Master hier aber sieht mir so scharf auf die Finger, daß ich heute zum ersten Male wieder zum Spielen gekommen bin. Können ’s die freien Schwarzen im Osten besser, als wir hier, Sir?“ fuhr er mit gedämpfter Stimme und einem furchtsamen Ausdruck von Neugierde fort.

„Hab’ noch keinen gehört, Bob,“ erwiderte Reichardt, welchen diese Musikmanie zu amüsiren begann, „so viel ich aber verstehe, würdet Ihr’s sicher mit Jedem dort aufnehmen können!“

Das schmutzige Gelbschwarz im Gesichte des Negers schien dunkler zu werden; er sah scheu nach der Thür zurück und dann wieder in das Gesicht des jungen Mannes; dann aber, als habe er zu viel von seiner Erregung merken lassen, verzog sich sein Gesicht zu einem halbverlegenen Grinsen. „Dank Ihnen, Sir, Dank Ihnen,“ sagte er, „aber Bob ist ein armer Nigger, der dem Mr. Curry gehört und der den Osten niemals sehen wird!“ Er schien wieder zu horchen, öffnete dann leise die Thür und schlüpfte vorsichtig hinaus.

„Sonderbare Kerls, diese Schwarzen!“ brummte Reichardt, lächelnd den Kopf schüttelnd, barg seine Violine wieder in den Kasten und suchte dann das in New-York beschaffte „Prayer-Book für Episkopalen“ hervor, sich noch einmal die Ordnung des morgenden Gottesdienstes genau einzuprägen.

Reichardt glaubte noch nie so viel wirkliches Sonntagsgefühl in sich gehabt zu haben, als da er am nächsten Morgen nach einer sorgfältigen Toilette den Weg nach der Kirche einschlug. Eine laue, weiche Morgenluft durchwehte die sonnigen Straßen. Aus drei verschiedenen Richtungen klangen die einzelnen Schläge der Glocken, bald zusammen einen Accord bildend, bald getrennt auf einander folgend, und ringsum herrschte die eigenthümliche sabbathliche Stille amerikanischer Städte, nur unterbrochen durch die einzelnen im Festtagskleide hinschreitenden Kirchengänger. Reichardt war noch niemals ein großer Gläubiger gewesen und hatte in manchem Jahre seine heimathliche Kirche gar nicht besucht. Heute aber meinte er das Gefühl eines Jeden, dessen Weg mit dem seinigen zusammenfiel, verstehen zu können; war er doch selbst, wenn er vor der Orgel saß, ein ganz Anderer in seinem Empfinden und Denken, als im Alltagsleben, und die stille Spannung, mit welcher er der Entscheidung seines augenblicklichen Schicksals entgegen ging, trug nur dazu bei, seine Stimmung zu heben. Er erreichte das Chor der Kirche, während noch der schwarze Balgtreter sich hinter der Orgel abmühte, den Glockenstrang zu ziehen, und nahm einen Stuhl neben der Orgelbank ein; er war neugierig, die Leistungen seines Vorgängers zu hören.

Bald begann es sich um ihn auch von Damen und jungen eleganten Männern zu füllen, ohne daß indessen Jemand besondere Notiz von ihm zu nehmen schien. Erst nach geraumer Weile erschien der alte Herr, welcher ihm gestern als Trustee der Kirche bezeichnet worden war, in Begleitung eines jüngern und wandte sich, sobald er Reichardt’s ansichtig wurde, nach diesem. „Sie werden uns gewiß heute eine Probe Ihrer Kunstfertigkeit geben,“ sagte er, „hier ist Mr. Young, welcher bisher den Gesang mit seinem Spiele geleitet hat; er wird Ihnen jetzt in Allem, worin Sie es wünschen sollten, Auskunft geben, und ist es Ihnen recht, so mögen Sie gleich mit einer Einleitung beginnen.“

Reichardt hatte sich erhoben und verbeugte sich bejahend. Dann fiel sein Blick auf den ihm beigegebenen jungen Mann, und ein düsteres Auge, das seine ganze Erscheinung durchdringen zu wollen schien, begegnete dem seinigen. „Ich werde Ihnen sehr dankbar für Ihre Unterstützung sein!“ sagte Reichardt höflich, aber nur ein kaltes, steifes Lächeln antwortete ihm, und ohne sich eines leisen Gefühls von Verwunderung erwehren zu können, zog der junge Deutsche die Klingel für den Balgtreter.

Schon die ersten Accorde des großartigen Anfanges, welchen der Spielende gewählt, ließen alle Köpfe sich nach ihm wenden. Reichardt hörte das Kleiderrauschen und Flüstern um sich, welches jedenfalls die Erkundigungen nach der unbekannten Persönlichkeit hervorriefen; er fühlte die Versuchung, vor der ganzen versammelten Gemeinde sein Licht im besten Glanze leuchten zu lassen. Noch bald genug erinnerte er sich aber, daß er nur eine kurze Einleitung zu spielen habe, und führte rechtzeitig das aufgenommene Thema zum Schlusse.

Die Stimme des Predigers begann, und Reichardt sah beim Umblicken seine ganze Umgebung auf die Kniee sinken; er wußte nicht, ob er durch eine Theilnahmlosigkeit nicht Anstoß erregen werde, schlüpfte leise von der Bank und folgte dem Beispiele der Uebrigen. Es mußte nach Ausweis seines „Prayer-Books“ noch eine geraume Zeit währen, ehe der Gesang des Chors begann. Kaum hatte er es sich aber möglichst bequem auf einem Kniee gemacht, als es neben ihm rauschte und eine weibliche

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_254.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)