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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 17.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Am Scheidewege.

Von Th. Mügge.
(Schluß.)


Demarris wurde verlegen. „Bonaparte vertraut mir mancherlei,“ begann er, „von dieser Sache jedoch hat er niemals mit mir gesprochen, und bisher habe ich in Wahrheit auch nicht daran gedacht, daß er sich für Beatrice Colombier oder für irgend eine junge Dame ernsthaft interessiren könnte. Denn er sprach von dem ganzen Geschlecht kalt und spöttisch, unterhielt sich fast nie mit jungen Damen, bis gestern zu meinem Erstaunen – Der Oberst muß davon gehört haben, und ich möchte wissen, Herr Pozzo di Borgo, ob Bonaparte Ihnen etwas mitgetheilt hat.“

Carlo Andrea zuckte lächelnd die Achseln. Er gab keine directe Antwort darauf, sondern sprach wie ein kluger Advocat. „Ich glaube wohl,“ sagte er, „daß eine solche Verbindung wünschenswerthe Aussichten bietet, und warum sollte ein junger Mann nicht danach streben? In Wahrheit, Herr Demarris, ich habe gestern dieselbe Bemerkung gemacht wie Sie. Ich fand, daß Napoleon dem schönen Fräulein auffällig den Hof machte, und glaubte auch zu sehen –“

„Was glaubten Sie zu sehen?“

„Daß es ihr durchaus nicht zuwider sei.“

Demarris’ Gesicht wurde dunkelroth und verzerrte sich zu einem Lachen, während seine Lippen zitterten. „O, warum nicht?“ rief er, „es ist wohl möglich, obgleich ich selbst dies nicht bemerkte.“

„Vielleicht täusche ich mich auch, und die schöne Beatrice dachte an einen ganz Anderen, während sie es duldete, daß Napoleon sie zu seiner Beute machte und nicht von ihrer Seite wich,“ sagte Pozzo di Borgo mit grausamem Spott.

„Das läßt sich hören,“ fiel der Lieutenant vergnügt ein.

„Es geschieht gar nicht selten, daß in solcher Manier ein Eifersüchtiger bestraft und geneckt werden soll.“

„Ei ja, das ist ein Gedanke, Herr Pozzo di Borgo. Sie haben Recht. Beatrice ist übermüthig, aber ich, was mich betrifft – O! ich würde niemals eifersüchtig sein, wenigstens nicht, was Bonaparte anbelangt.“

„Nun, Herr Demarris, man kann doch nicht wissen,“ fiel der Advocat warnend und bedenklich ein.

„Nein, hören Sie!“ rief Demarris, „ich achte und liebe Napoleon wie meinen besten Freund und habe vor seinen Kenntnissen allen Respect, aber was jungen Damen zu gefallen anbelangt, dergleichen Eigenschaften besitzt mein armer Bonaparte blutwenig.“

„Ich meine, wenn er will, kann er doch auch sehr liebenswürdig sein,“ sagte Carlo Andrea.

„Nun, er kann doch kein Anderer werden, als er ist,“ lachte Demarris. „Ich habe Manche schon über ihn spotten und witzeln hören, und nicht allein über seine kleine Gestalt, seine schiefen Schultern und sein scharfes Gesicht, noch mehr über seine Manieren, sein Benehmen und sein abstoßendes Wesen. Nein, nein, Herr Pozzo di Borgo, ich glaube nicht, daß der arme Bonaparte etwas zu hoffen hat.“

Pozzo di Borgo spielte mit dem Lieutenant wie die Katze mit der Maus. Er bestärkte zunächst dessen Eitelkeit durch schmeichelnde Winke, die ihm außerordentlich gefielen; als er ihn aber ganz getröstet sah und Demarris wohlgefällig seine angenehme Gestalt im Spiegel bewunderte, streckte er plötzlich wieder die Krallen heraus.

„Seien Sie doch nicht allzu sicher, mein lieber Herr,“ fing er an, „denn ich weiß zwar nicht, wie die Neigungen des schönen Fräulein von Colombier beschaffen sind, allein vergessen darf man niemals, daß die Liebe der Weiber die seltsamste Laune unter allen ihren Launen ist. Sie verschmähen zuweilen Männer mit den prächtigsten Gesichtern und schlankesten Körpern und beten dafür einen häßlichen, kleinen, widerwärtigen Gesellen an. Es begreift es Niemand, doch kommt es alle Tage vor und ist von den ältesten Zeiten an so gewesen. Wenn also Fräulein von Colombier die Laune hat, Napoleon zu lieben –“

„Aber sie hat diese Laune nicht!“ schrie Demarris.

„Ich weiß es freilich nicht, doch um so besser, wenn Sie überzeugt sind. Mir ist es fast vorgekommen, als bemerkte ich in ihren Augen zuweilen –“

„Was in ihren Augen?“

„Sehr zärtliche Blicke.“

Demarris sprang auf und ging hastig an’s Fenster.

„Wenn dies wirklich so wäre,“ sagte Pozzo di Borgo hinter ihm, „ja dann, mein bester Herr Demarris, würde Bonaparten die schiefe Schulter, und was ihm sonst zum Adonis fehlt, durchaus nicht schaden. Fräulein Colombier würde darauf schwören, daß er der schönste Mann in Valence, wo nicht gar in der ganzen Welt sei.“

Demarris wandte sich um, es war mit seinem Vertrauen vorbei. „Das wäre sehr übel für mich, Herr Pozzo di Borgo,“ sagte er stockend, „denn wenn Sie Recht hätten, so bliebe für Andere – für mich – nichts mehr zu hoffen übrig.“

„Da Sie gewiß sind, daß Fräulein Colombier keine so seltsamen Launen hat, wie sie dazu gehören, Bonaparte liebenswürdig zu finden, so haben Sie nichts zu besorgen. Was ihn selbst betrifft, so möchte ich glauben, daß Sie Recht haben, daß er –“

„Daß er sie nicht liebt!“ rief der junge Officier.

„Daß er trotz seiner Kälte gegen die Schönen doch heiße Leidenschaften besitzt und dabei klug zu rechnen weiß.“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_257.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)