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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Deutscher

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


„Ich wollte nur, Miß Harriet, ich könnte Ihr Vertrauen im vollsten Maße verdienen!“ sagte Reichardt mit aufwallender Empfindung.

„Sie sollen jedenfalls Gelegenheit dafür erhalten – aber ziehen Sie die gleichgültige Conversationsmiene wieder auf, überall um uns her gehen Leute, und wir kennen uns ja kaum!“ Sie warf leicht einen Blick um sich und ging einige Schritte schweigend weiter. „Sie sollen jedenfalls Gelegenheit erhalten,“ nahm sie dann ihren früheren Satz wieder auf, „Sie wissen noch nicht, was ein mittheilungsbedürftiges Mädchenherz zu thun im Stande ist – ich wußte’s wohl selbst bis jetzt noch nicht. Ich habe außer meinem Vater hier eigentlich Niemand, mit dem ich ein vertrauliches Wort reden könnte. Ich bin schon von früher Jugend an im Osten zusammen mit Margaret Frost erzogen worden, und in den zwei Jahren, seitdem ich hierher zurückgekehrt bin, hat mich Alles nur als wildes Mädchen, das von seinem Vater und Lehrern gründlich verzogen worden ist, betrachtet – eine Andere hätte auch wohl kaum den Geniestreich unternehmen dürfen, Sie ohne Weiteres hierher zu senden. Und doch fühlte ich schon seit Monaten, daß ich nicht länger so allein hier stehen dürfe, wenn ich nicht zuletzt den Muth verlieren und, von den mir zunächst Stehenden verlassen, der Speculation in den Rachen fallen sollte. Sie verstehen das jetzt noch nicht, aber Sie sollen morgen schon klarer blicken. Morgen Abend werden einige Freunde bei uns sein – was man in der großen Welt Freunde nennt. Ein ganz respectabler Theil davon gehört zu meiner Menagerie, und wenn Sie mich selbst mit Schlangen und derartigem Gethier ganz freundlich verkehren sehen sollten, so denken Sie nur daran, daß es mir Spaß macht, die Schleicher sich selber betrügen zu lassen. Sie als Wundertier werden natürlich nicht fehlen und die Herrschaften höchlichst amüsiren, am Piano oder mit Ihren Erzählungen, die in Ihrem Englisch so wunderhübsch klingen. Es ist das, genau betrachtet, auch eine Art Niggergeschäft, ein Merkchen höher als das Fiedeln zum Tanz, aber ich weiß, mir zu Liebe unterziehen Sie sich dessen einmal. Es wird Ihrer Stellung hier mit einem Male die rechte Begründung geben, und ich werde Ihnen dabei mein lebendiges Bilderbuch so aufblättern können, daß Sie kaum noch viel zu fragen haben werden! Dort sehe ich aber meinen Vater,“ fuhr sie aufblickend fort, als sich auf der andern Seite der Straße ein plaudernder, lachender Trupp Kirchenbesucher bemerkbar machte. „Mr. Reichardt!“ sie neigte sich steif und sprang dann leicht über die Straße, sich, ohne umzublicken, mit der Gesellschaft vereinigend; der junge Deutsche aber, als er sich bemerkt sah, zog tief den Hut und schlug dann den Rückweg nach seinem Hotel ein.

Es war am nächsten Abend, als Reichardt den Weg nach Mr. Burton’s Wohnung verfolgte. Er hatte die einfache Einladung erhalten, den Abend mit der Familie und einigen Freunden zuzubringen, und hatte sich von Bob eine Menge der ersten Namen in der Stadt sagen lassen, sie sorgsam aufnotirend und das Gedächtniß daran gewöhnend, um endlich die Möglichkeit zu erhalten, seine neuen Bekanntschaften zu cultiviren. Trotz der Freundlichkeit aber, welche in der Einladung lag, konnte er sich einer Art unangenehmer Spannung auf seinem Wege nicht erwehren. Er hatte, um sich keines Vorwurfs von Harriet schuldig zu machen, deren Anweisung befolgt, und am Morgen dem Prediger einen neuen Besuch gemacht, ihn bittend, die Entscheidung über sein Engagement möglichst zu beschleunigen. Mr. Ellis aber hatte unter vielen Complimenten über des jungen Mannes Fähigkeiten die Achseln gezuckt und erklärt, daß in der Schnelle, wie dieser es zu wünschen scheine, kaum eine Entscheidung herbeigeführt werden könne, daß er der Einstimmigkeit der Kirchenmitglieder für eine bedeutendere Neuausgabe, trotz des Beifalls, welcher dem Orgelspiele von allen Seiten gezollt worden, doch nicht sicher sei, daß er zwar versuchen werde, heute noch mit einzelnen Männern von Einfluß, die er bei Mr. Burton zu sehen gedenke, zu sprechen, daß sich aber eine solche Angelegenheit, die Allen sich ganz unerwartet aufgedrängt, durchaus nicht über das Knie brechen lasse. Fast hatte aber das ganze Wesen des Geistlichen den jungen Mann berührt; als liege etwas Anderes als eine einfache Ungewißheit hinter den Worten, als mache sich bereits eine verborgene Opposition gegen ihn geltend, die er, je wesenloser sie sich ihm entgegenstelle, um so weniger brechen könne. Er hatte an das erste Begegnen des Mr. Young, der sich durch ihn von der Orgel verdrängt sah, an dessen mißtrauisches Wesen in Bezug auf sein Verhältniß zu Harriet denken müssen, und in Secundenschnelle hatte sich ihm die Ueberzeugung aufgedrungen, daß, wenn sich ihm nicht auf den ersten Anlauf hier eine Existenz biete, dies später gar nicht möglich sein werde. Er besaß noch so viel Geld, um eine kurze Zeit leben und die Reise nach Nashville machen zu können, von welchem Bob als einem „großen Platze“ viel gesprochen, der ihm also wohl Gelegenheit zum Musikunterricht oder einer ähnlichen Beschäftigung bieten konnte; und so hatte er in gleicher Weise wie der Geistliche die Achseln gezuckt und diesem erklärt, wie er zwar äußerst glücklich sein würde, nicht nur die Orgel unter sich zu haben, sondern auch das Chor, das bis jetzt kaum noch so zu nennen, für einen würdigen Kirchengesang heranzubilden, daß er aber nicht im Stande sei, sich länger als den nächsten Tag auf eine ungewisse Hoffnung hin im Orte aufzuhalten. Der Prediger hatte, etwas überrascht von der Leichtigkeit, mit welcher Reichardt seine Abreise behandelt, geschienen, ihm aber versprochen, das Mögliche zu thun, um die Angelegenheit zu einem raschen Schlusse zu bringen – und jetzt ging der junge Deutsche dem Orte zu, wo jedenfalls aus den einzelnen stillen Verhandlungen sich sein augenblickliches Schicksal entwickelte; daß aber Harriet am wenigsten dazu gezogen werden würde, konnte er sich selbst sagen.

Burton’s Haus lag dicht außerhalb der Stadt auf einem Hügel – in den Parkanlagen, durch welche sich der breite Fahrweg und die geschlängelten Kiespfade zogen, wie in dem geschmackvollen Aeußern des großen Wohngebäudes den Reichthum des Besitzers andeutend, und den Ankommenden überlief ein eigenthümliches Gefühl, wenn er an sein Verhältniß zu Harriet dachte, welche jedenfalls einmal die Haupterbin des reichen Besitzthums wurde.

Zwei Doppelparlors mit weiten Flügelthüren öffneten sich zu beiden Seiten der Vorhalle und schufen so einen mit dem ganzen Comfort des Südens versehenen Raum, in welchem sich bei Reichardt’s Eintritt bereits eine zahlreiche Gesellschaft zwanglos bewegte. Ein bis zur weißen Binde vollkommen salonfähig gekleideter Schwarzer schien an dem Haupteingange den Ceremonienmeister zu machen und wies mit einer tiefen Verbeugung den jungen Mann nach dem hintern Theile der bereits hell erleuchteten Räume, wo er Mr. Burton treffen werde; dieser schien aber den Eintretenden schon bemerkt zu haben und kam ihm auf halbem Wege entgegen. „Kommen Sie mit mir, Sir,“ sagte er, den Arm des Deutschen unter den seinigen fassend, „Sie sind fremd unter uns, und ich werde Ihre nächste Vorstellung übernehmen!“

Auf einem reichverzierten Divan, welchem Beide entgegengingen, saß eine bleiche, elegante Frau, dem Anscheine nach im Beginn der dreißiger Jahre. Aber in einigem Contraste mit den ruhigen Zügen leuchtete das dunkle, große Auge den Herantretenden entgegen. Neben ihr saß Harriet, den blitzenden Muthwillen in dem belebten Gesichte. Reichardt aber wollte seinen Augen nicht trauen, als er an ihrer Seite, bequem auf einen Stuhl hingeworfen, Young’s Gestalt erblickte, der soeben im interessantesten Gespräche gestört zu werden schien.

„Lassen Sie mich Sie meiner Frau zuführen!“ sagte der Hausherr. „Mr. Reichardt, Liebe! den Du freilich in seinem wahren Glanze, wie er ihn gestern in unserer Kirche entfaltet hat, nicht sehen wirst; hoffentlich erhalten wir aber heute Abend von ihm ein Pröbchen seiner Kunstfertigkeit. – Meine Tochter hier kennen Sie ja wohl bereits, Sir!“ wandte er sich wieder an den jungen Mann, der mit einer Verbeugung leicht die Hand der Dame berührte. Reichardt sah Young’s Augen wie im finstern Forschen auf sich gerichtet, Harriet erhob sich steif, brach aber plötzlich in helles Lachen aus. „Entschuldigung, Sir, aber Sie kommen gerade recht,“ rief sie lustig, „Mr. Young will mir beweisen, daß die tiefste Zuneigung sich in der tiefsten Unterwerfung ausspreche, und ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_270.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)