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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

finde doch den Satz, von einem Manne ausgesprochen, so komisch, daß ich ihn gern noch einmal hören möchte!“

„Harriet!“ rief die Dame vom Hause, einen verweisenden Blick nach ihr und einen andern voll halber Besorgniß nach dem jungen Amerikaner werfend.

„Well, es ist wenigstens ein Satz, der nicht Jedermanns Geschmack ist!“ lachte Burton. „Da ist eine Gelegenheit, die Sie gleich mitten in’s Gefecht bringt, Sir,“ wandte er sich an Reichardt, „schonen Sie nur nicht, wenn sie nicht selbst die scharfe Waffe fühlen wollen!“ Mit einem freundlichen Nicken und einem launigen Seitenblick nach seiner Tochter wandte er sich davon.

„Es giebt Sätze, Miß, die in dieser abstracten Fassung kaum zu beurtheilen sind!“ sagte Reichardt, eine ernste Miene annehmend, während er doch nicht hindern konnte, daß ein stiller Humor, welcher bei Young’s Anblick mit der Erinnerung an die „Eidechse“ in ihm erwachte, sich durch ein leichtes Zucken um seinen Mund bemerkbar machte; „wenn mir der specielle Fall vorgelegt würde –“

„Sie haben sicher Recht, Sir, und man überläßt derartige Fragen wohl am besten Jedes eigenem Geschmacke,“ unterbrach ihn Mistreß Burton leichthin, obgleich eine leise Falte, welche sich zwischen ihren Augen zeigte, ein Mißvergnügen über die ganze Scene andeutete; schon im nächsten Augenblicke indessen klärte sich ihr Gesicht, das sich einem Neuankommenden zuwandte, auf, während ein leichtes Roth in ihre Wangen stieg und wieder ging; Reichardt trat zur Seite und erblickte einen halb geistlich, halb weltlich gekleideten Mann, welcher soeben mit einer Verbeugung die Hand der Lady faßte und sie, während er zu der Dasitzenden sprach, in vertraulicher Weise festhielt. Durch des jungen Deutschen Kopf aber schoß es, als müsse er dieses volle, wohlgeordnete braune Haar in Verbindung mit dieser eigenthümlichen Biegung des Nackens und diesem langen Rocke schon irgendwo gesehen haben, und plötzlich stand die sonderbare Scene, welche er in einem der Hotelzimmer in Saratoga am Ballabende belauscht, vor ihm. Sie war ihm unter den mannigfachen Sorgen, welche während der letzten Tage seine Gedanken beansprucht, fast gänzlich aus dem Gedächtniß geschwunden, jetzt indessen hätte er einen Eid darauf ablegen mögen, daß er dieselbe Persönlichkeit wie damals vor sich habe. Mit einer leichten Neigung hatte sich der Geistliche nach Harriet und Young gewandt und hob jetzt das Auge nach Reichardt, der ihn wahrscheinlich mehr forschend ansah, als es zu dem gewöhnlichen Gesellschaftstone passen wollte, denn wie in fragender Befremdung blieb sein Blick in dem des jungen Mannes hängen.

„Entschuldigung, Sir,“ begann Reichardt, welcher seinen Fehler schnell erkannte, „ich frug mich nur so eben, ob ich nicht das Vergnügen gehabt, Sie in Saratoga zu sehen.“

„Ich war allerdings dort,“ erwiderte der Andere mit leichtem Kopfneigen, „ohne mich jedoch entsinnen zu können, Ihren Zügen, Sir, dort begegnet zu sein.“

„Es war allerdings nur ein halber Tag, welchen ich mich aufhielt, und auch diesen nur mehr hinter der Coulisse!“ erwiderte er, ohne den Ausdruck von Humor, welchen seine Antwort in ihm selbst erregte, ganz unterdrücken zu können.

„Der Gentleman, welcher die Orgel in der Episkopalkirche spielen wird – unser ehrwürdiger Mr. Curry von der Methodistenkirche!“ beeilte sich die Frau vom Hause Beide einander vorzustellen. Curry hielt ihm steif die Hand entgegen, ohne dabei die frühere Miene von Befremdung ganz aufzugeben, und nahm dann zur Seite der Mrs. Burton auf einem Stuhle Platz.

„Sind schon bestimmte Arrangements für Ihr Verbleiben an unserer Kirche gemacht, Sir?“ frug Young, sich an den Deutschen wendend; und dieser sah aufblickend einen kurzen hämischen Zug um des Fragers Mund zucken, der so genau mit seinen gehabten Befürchtungen übereinstimmte, daß er um die Deutung desselben nicht einen Augenblick verlegen war.

„Glaube kaum, Sir,“ erwiderte er leicht, „jedenfalls habe ich, wenn kein Uebereinkommen zu Stande kommen sollte, hier einige höchst angenehme Tage verlebt, und ich bleibe dann nahe genug, um meine hiesigen Bekanntschaften nicht ganz aufgeben zu müssen. Ich gedenke schon morgen eine andere Stellung in Nashville anzunehmen, falls sich bis dahin hier nichts entscheidet – “

„O, bei der Frage fällt mir etwas total Vergessenes ein,“ unterbrach ihn Harriet, sich erhebend, „darf ich Sie wohl bitten, Mr. Reichardt, mich auf einige Augenblicke zu meinem Vater zu begleiten? Die Herren werden entschuldigen – ich bin schnell wieder hier, Mutter!“ wandte sie sich zurück, und im nächsten Augenblick fand sich Reichardt an ihrer Seite, der nächsten offenen Thür zuschreitend.

„Ich begehe die größte Thorheit, Sie zu meiner Begleitung aufzufordern,“ sagte sie, als Beide das nächste Zimmer erreichten, in welchem das Reden und Lachen der umher stehenden und sitzenden Gruppen jedes Einzelngespräch verdeckten, „ich sollte Ihrethalber allen Schein einer nähern Bekanntschaft zwischen uns meiden, bis Sie Ihren Boden unter den Füßen haben; aber als die schwarze Schlange sich zu uns setzte und ich so recht zwischen ihr und der Eidechse saß, überkam es mich fast wie Angst – und dazu Ihr sonderbares Gesicht! Kennen Sie den Mr. Curry? ich habe etwas in Ihrem Auge gelesen, das Anderes erzählte, als Sie gestanden, und mir liegt an Allem, was den Mann betrifft, mehr, als ich Ihnen jetzt sagen kann. Sprechen Sie, Sir, damit ich rasch zu einem andern Punkte kommen kann – wenn der Tanz begonnen hat, werde ich kaum ein unbehorchtes Wort mit Ihnen reden können.“

„Ich weiß kaum, Miß Harriet, was ich Ihnen erwidern soll,“ entgegnen Reichardt, während sie zwischen den Gruppen promenirten, in augenblicklicher Verlegenheit, „ich habe in Saratoga durch einen gewöhnlichen Zufall eine Art geistlicher Zusprache des Mannes belauscht, die mir ganz wunderbar erschien, obgleich sie vielleicht zu den methodistischen Gebräuchen, die ich nicht kenne, gehören mag –“

„Sie wollen nicht offen reden, Sir, ich höre es!“ unterbrach sie ihn, wie ungeduldig. „Sie dürfen aber nicht zurückhalten, Sie können nicht wissen, wie viel Wichtiges in dem, was Sie belauscht, für mich liegen mag. Ich werde Ihnen indessen in voller Offenheit vorangehen – lassen Sie uns ein anderes Zimmer aufsuchen, in dem wir weniger beobachtet sind!“

Sie führte ihn durch die offenen belebten Räume nach einem der Hinterparlors; beim Durchschreiten der Vorhalle aber kam ihnen der alte Burton in Begleitung einer kleinen Anzahl seiner männlichen Gäste entgegen.

„Mr. Reichardt glaubt nicht, Vater, daß wir im Hinterwalde auch etwas Rechtes von Musikalien haben können, und so muß ich jedenfalls unsere Ehre retten!“ rief sie ihm lachend zu.

„Verstehe wenig von der Sache selbst, Sir, und ich will also auch ihre Wichtigkeit nicht bestreiten,“ wandte sich der Angeredete launig an den jungen Mann, „sonst hätte ich Sie gebeten, sich uns zu einer anderen Inspection anzuschließen. Indessen sollen Sie nicht darum komnen, wir sehen uns nachher schon wieder!“ Er schritt, von seinen Begleitern gefolgt, der Treppe zum obern Stock zu, und das Mädchen wandte sich nach einem offenen, aber jetzt gänzlich verlassenen Zimmer, dessen Mitte ein reiches Piano einnahm.

„Hier blättern Sie,“ sagte sie, eines der dortliegenden gebundenen Notenbücher vor ihm öffnend, „ich denke, die Beschäftigung wird für jeden Beobachter genügen und uns frei von Gesellschaft halten!“ Sie setzte sich, unweit von ihm, nachlässig auf den Pianosessel, als verfolge sie eine Prüfung seinerseits, und begann mit vorsichtig gemäßigtem Tone wieder: „Ich habe Ihnen gesagt, daß ich erst vor zwei Jahren hierher wieder zurückkehrte; das war zu der Zeit, als Papa zum zweiten Male geheirathet hatte, und ich fand eine neue Mutter, an die ich mich anschloß, so wenig wir auch harmonirten, weil ich sah, wie sehr Vater es wünschte. Es ging Alles gut, bis vor sechs Monaten von dem methodistischen Prediger eine neue Glaubenserweckung veranstaltet wurde; das Revival währte drei Tage, und bei Vielen soll der Eindruck ein kaum zu schildernder gewesen sein, darunter auch die Schwester des Mr. Young, welche in Convulsionen und Bewußtlosigkeit gefallen ist, daß sie sich heute von den Folgen noch nicht ganz erholt zu haben scheint. Auch Mutter, welche zur Gemeinde gehört, wurde von da ab eifrigeres Kirchenmitglied als je; aber erst zwei Monate darauf begann ich einen persönlichen Einfluß des Mr. Curry auf sie wahrzunehmen. Seine Privatbesuche in unserm Hause wurden häufiger und fanden meist während Pa’s Abwesenheit statt; plötzlich wird der Mr. Young, der noch niemals in unsern Kreisen gesehen worden, hier durch Mr. Curry eingeführt und wird nach Kurzem ein Günstling der Mutter, als habe er versprochen, seine Seele auf methodistische Weise retten zu lassen. Ich hatte nichts wider ihn, denn er half

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_271.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)