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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

welche mit der üppigsten Laubvegetation bedeckt waren; zuweilen wechselte das schattige, fast undurchdringliche Dach der Eiche mit Pinien und Olivenbäumen, um deren Stämme sich malerische Festons von Weinlaub schlangen, ab; links hatten wir den Blick über die Campagna und auf das Häusermeer der ehemaligen Hauptstadt der Welt, auf deren Kuppeln die Funken der Mittagssonne glühten. Durch einen uralten, im cyklopischen Baustyl construirten Thoreingang kamen wir auf die Scheitelfläche der Höhe, wo einst das alte Tusculum lag. Trümmer römischer Villen, die hochgelegene, noch in einzelnen Resten erkennbare Ruine der Stadtburg und das kleine Amphitheater mit seinen wohlerhaltenen Sitzreihen waren die einzigen Reste dieser vergangenen, zweitausendjährigen Herrlichkeit. Die Fernsicht war unbeschreiblich schön in ihrer wechselvollen Mannigfaltigkeit von Gebirgsformen, üppiger Vegetation, glänzenden Villen und weißen Städtebildern, in der zauberischen, sonnendurchglühten Beleuchtung des Südens.

Im Schatten uralter Kastanien und Steineichen ritten wir an der andern Seite des Berges abwärts. Die Natur im Albanergebirge ist außerordentlich kräftig und reizvoll. Wir sahen Castell Gandolfo, das durch seine reine Luft berühmte Lustschloß der Päpste, auf seiner waldigen Höhe, hoch über dem smaragdgrünen, stillen Albaner-See, wir ritten am Monte Cavo vorüber und kamen durch das freundliche Marino, welches auf den Trümmern der Villen Murena’s und des Marius erbaut ist, dann traten wir in die obere Gallerie, in diesen wunderbar herrlichen Laubgang uralter Bäume; rechts am Horizont, am Rande dieses mit Villen und Dörfern bedeckten, grünen Hügellandes, schimmerte ein breiter, glänzender Streifen, der Streifen war das mittelländische Meer. Glühend stand die Sonnenscheibe nahe über seinem blaufunkelnden Spiegel, da ritten wir in Albano ein.

Das Städtchen hatte seinen Festtagsrock angezogen. Alle Straßen waren voll Leben und Bewegung. Die Bewohner waren im Feiertagsschmuck, das weiße, tellerartig über den Kopf geformte Tuch, die weißen, bauschigen Mieder und die bunten, faltigen Röcke standen den Mädchen, welche bekanntlich unter die schönsten Frauen Italiens zählen, vortrefflich. Alles drängte sich durch die Hauptstraße, welche Albano von Norden nach Süden durchschneidet, nach dem andern Ende des Ortes zu. Wir ließen die Pferde nach dem Albergo führen und folgten unbewußt dem Menschenstrome. „Das Wettrennen findet jetzt wahrscheinlich statt,“ sagte der Doctor. „Wo giebt es ein Fest in Italien ohne Wettrennen? Pferderennen! Eselsrennen! Mit oder ohne Reiter! Vedremo!

Und wir sahen! Auf der andern Seite des Städtchens war die Feierlichkeit des Wettrennens, das allgemein beliebte römische Volksvergnügen, im vollen Gange. Die Pferde sind selten im Gebirge, man hatte also das edle Roß auch hier durch den somaro, nämlich durch den Esel, ersetzt. Die ganze Bevölkerung war auf dem Platze versammelt. Es war eine Scene voll Leben und Bewegung. Die Esel, auf deren knöchernen Rücken halberwachsene Buben saßen, waren gerade im Abreiten nach dem Ziel begriffen.

Zwei Esel waren glücklich im Gange und sprengten unter ihren Reitern auf dem ziemlich holprigen Pfade vorwärts, verfolgt von dem Geschrei der versammelten Menge, welche durch die lebhaftsten Gesten ihre Theilnahme bezeigte. Alles war in Aufregung, Alles in Bewegung. Wenn es sich auf dem Platze um die Abstimmung gehandelt hätte, ob Albano von nun an zu dem Königreich des neuen Italien gehören oder unter der Herrschaft des Papstes verbleiben solle, die Theilnahme und der Lärm hätte nicht größer sein können. Zwei Esel wollten durchaus nicht vorwärts. Mit der diesen Thieren eigenen Störrigkeit schienen sie es darauf abgesehen zu haben, nicht vom Platze zu gehen; der eine wandte sich sogar um, und wollte den Weg nach Albano in seinen Stall einschlagen. Die beiden Reiter schienen in Verzweiflung zu sein. Mit Gerte und Zügel gaben sie sich alle erdenkliche Mühe, die störrigen Thiere vorwärts zu bringen, aber vergebens: Eigensinnig standen sie noch, wie angenagelt, auf dem Platze, als die andern bereits, im Galopp am Ziele angelangt waren und von einem hundertstimmigen Jubelgeschrei der versammelten Menge empfangen wurden.

Wir gingen zurück in das Städtchen. Noch waren die Nummern der Tombola, welche gewonnen hatten, in ellenlangen Ziffern an dem Hause zu sehen, wo Nachmittags die Ziehung stattgefunden hatte; die breite, lange Straße war voll Leben, Bewegung und Jubel. Mit Musik wurden die Glücklichen, welche gewonnen hatten, durch die Straße geführt. Eine Abtheilung französischer Soldaten ging dem Zuge vorher und beschloß denselben in Paradeuniform, das Gewehr im Arm. Es war währenddem Abend geworden. Die goldene Sonne war schlafen gegangen in das blaue Bett des unendlichen Meeres und hatte die Wogen mit einem letzten purpurnen Schimmer vergoldet, tiefblaue Schatten lagerten über Hügeln und Flächen. Die letzte Feierlichkeit des Tages wurde in Scene gesetzt. Ein Luftballon sollte aufsteigen. Noch wurde er an Stricken festgehalten, das Feuer wurde angezündet und die Gaze blähte sich auf. Jetzt war der Moment des Steigens gekommen, die Flamme brannte lichterloh, die Stricke wurden durchschnitten, und gerade stieg er in die Höhe, in den dunkelblauen Nachthimmel, bis er endlich als ein kleiner, leuchtender Punkt erschien, und der leuchtende Funken über dem Gebirge verschwand. Endlos war der Jubel und das Geschrei. Dann füllten sich alle untern Räume des Albergo, wo wir eingekehrt waren, mit der fröhlichen Menge. Der Doctor und ich saßen mit den schönen Albaner Mädchen, mit ihren Vätern und Brüdern und mit den französischen Soldaten an einem der langen Tische und tranken mit ihnen Wein von Orvieto. Das allgemeine Band der Fröhlichkeit hatte auch die armen französischen Soldaten umschlungen; man sah in ihnen heute nur die Streiter von Solferino und Magenta, nicht die Soldaten, welche den Stuhl des heiligen Vaters stützten, daß er nicht umfalle vor dem Sturm der Revolution, welcher über Italien braust, und als der Doctor „Evviva l’Italia!“ rief, ertönte es durch den ganzen Albergo hundertstimmig: „Evviva l’Italia, Evviva Garibaldi!

Nur in einer Ecke des großen Saales saßen ein halbes Dutzend Menschen, einsam, die Langeweile auf den Gesichtern; ein Kreis von Oede und Leere war rings um sie gezogen, Niemand trat in diesen Kreis, als wenn der Hauch des Fiebers in ihm wehte. Niemand stieß mit ihnen an, Niemand sprach mit ihnen. Wer waren diese von der allgemeinen Fröhlichkeit Ausgestoßenen? Ich kannte sie recht gut. Sie sprachen die Sprache meiner Heimath, die deutsche Sprache. Es waren „Soldaten des Papstes“.

G. R. 




Allgemeine Wehrkraft als Aufgabe der Volkserziehung

Eine Ansprache an deutsche Stammgenossen.
Von Dr. Schreber in Leipzig.

Allgemeine Wehrkraft durch militärische Erziehung der Jugend ist eine Zeitfrage des nationalen Lebens. Daß vor allem der lebensfrische Geist der deutschen Nation dazu drängt, ist in der natürlichen Lage der Dinge begründet, ist zum zweiten Male in diesem Jahrhundert angeregt durch den Wellenschlag der Tagesgeschichte, ist begründet in den geographischen und politischen Verhältnissen der deutschen Nation, welche das Herz der europäischen Völkerfamilie bildet. Dieser Drang ist also ein durch und durch natürlicher und hocherfreulicher.

Welcher Staat sollte überhaupt nicht wünschen, daß in ihm fort und fort ein kräftiges, mannhaftes Geschlecht heranwachse? Körperliche und geistige Vollkraft ist ja die Grundbedingung für das Gedeihen aller Lebensverhältnisse und insbesondere auch für die Wehrkraft, für die Festigkeit, Sicherheit und Selbständigkeit, für die geschichtliche Fortentwicklung einer Nation.

Die directe militärische Einschulung der Jugend von einer gewissen Altersstufe an ist zwar für diesen Zweck überaus wichtig und unentbehrlich. Aber, Stammgenossen, dadurch allein wird noch keine volle, probebeständige Wehrkraft erzielt. Wie sehr auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_278.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)