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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

selbst mit in’s Kirchenstübchen getragen, als sie zu Boden stürzte; ich würde mir lieber die Zunge abbeißen, als Ihnen eine Lüge sagen, Sir!“

Durch Reichardt’s Gehirn schoß plötzlich ein heller Blitz – die methodistische Glaubenserweckung, von welcher ihm Harriet erzählt, die Konvulsionen, in welche Young’s Schwester dabei gefallen war; – noch fehlte ihm jeder Zusammenhang, aber er ahnte, um was es sich handeln könne. „Ich verlange nicht, Bob, daß Ihr mir etwas von der Sache selbst sagt, ich brauche sie von Euch nicht zu hören,“ begann er, sich wieder nach dem Aufwärter kehrend, „ich möchte nur wissen, wie Young dazu kam; – ich bin übermorgen aus der Stadt, und Ihr lauft mit keinem Worte Gefahr,“ fuhr er fort, als er den Schwarzen wieder furchtsam den Kopf zwischen die Schultern ziehen sah, „ich verspreche Euch aber als ehrlicher Mann, daß, wenn Ihr mir die wenigen Andeutungen geben wollt, ich Euch eine Violine aus dem Westen schicken werde, wie sie hier herum nirgends zu haben sein soll!“

Der Neger schien Reichardt’s Gesicht scheu zu studiren. „Es liegt mir im Augenblick nicht so viel an der Violine,“ sagte er nach einer Pause, einige Schritte näher herantretend, während es sonderbar um seine Augen zuckte, „aber ich möchte Sie wohl um Einiges fragen, Sir, und wenn Sie mir bei Christus schwören wollen, daß Sie keinem Menschen verrathen wollen, was ich gefragt, so will ich Ihnen erzählen, was Sie verlangen – da Sie doch einmal die Hauptsache schon wissen.“

„Es hätte keines Eides meinerseits bedurft, Bob,“ erwiderte der junge Mann, der mühsam an sich hielt, um die Spannung nicht zu verrathen, welche sich plötzlich seiner bemächtigte und selbst die Neugierde nach dem Geheimnisse, welches der Schwarze auf dem Herzen zu haben schien, nicht aufkommen ließ. „Da Euch aber etwas daran zu liegen scheint, so schwöre ich hiermit bei Christus, daß ich Niemandem verrathen will, was Ihr mich fragen werdet, und ich verspreche Euch auch diese Fragen nach besten Kräften zu beantworten!“

Der Neger that einen tiefen Athemzug, sah sich scheu nach der Thür um und sagte dann halblaut: „Well, Sir – was soll ich Ihnen nun sagen?“

„Ich bin fremd im Lande und in dem hiesigen Methodistenwesen, das ich aber gern kennen lernen möchte,“ erwiderte Reichardt in scheinbarer Ruhe, „fangt also nur an, wo Ihr selbst meint, Bob!“

Der Schwarze warf nochmals einen scheuen Blick um sich und trat dann dicht an den Tisch heran, auf welchen sich der Deutsche stützte.

„Es war am dritten Abend des Revivals, wo die Sache passirte,“ begann er halb flüsternd, „ich weiß es noch genau, denn ich hatte doppelt so viel Lampen als gewöhnlich anzünden müssen. Der fremde Prediger, der zur neuen Glaubenserweckung gekommen war, hatte so gewaltig gesprochen, daß viele Bekehrungen geschahen und über eine Menge der Geist sich ausgoß; es war ein Niederwerfen und Stöhnen und Händeringen, wie ich es noch niemals gesehen. Mit einem Male aber sprang die Miß Young in die Höhe und schrie, daß man’s durch die ganze Kirche hörte: „Christ is coming! Glory, Glory, Glory!“ und schlug mit den Armen um sich, und „Glory!“schrieen die Anderen, und plötzlich stürzte die junge Miß zu Boden. Da fing der fremde Prediger wieder an zu reden, daß es nur so donnerte, und es ging wieder los unter den Uebrigen mit Schlagen vor die Brust und Stöhnen; Mr. Curry aber war auf die junge Miß zugetreten, die mit Händen und Füßen zuckte, und winkte mich von der Seitenthüre herbei, wo mein Platz war, um immer bei der Hand zu sein. Ich mußte sie unter den Armen fassen, er nahm ihre Füße auf, und so trugen wir sie in’s Kirchenstübchen – von den Andern, die um sie herum gewesen waren, hatte noch nicht einmal Eins den Kopf nach ihr gedreht. Wir lehnten sie in’s Sopha, und Mr. Curry schickte mich durch die Hinterthür, wo es in’s Freie geht, fort. Well, Sir, ich war von dem langen Sitzen auf einem Flecke müde und vertrat mir ein Weilchen die Beine; da kommt, eben wie ich daran denke, meinen Platz wieder einzunehmen, Mr. Young an mir vorbeigeschossen und will in’s Kirchenstübchen – die Thür aber war verschlossen. Er rüttelt erst ein- oder zweimal, dann that er einen gewaltigen Stoß dagegen, und die Thür springt auf.“

Der Schwarze machte eine Pause und sah wie in scheuem Zögern dem jungen Manne in’s Gesicht. Dieser aber nickte ruhig und sagte: „Ich weiß schon, was kommt, Bob, erzählt nur ohne Furcht weiter!“

Bob that einen tiefen Athemzug, blickte wieder ängstlich um sich und fuhr dann flüsternd fort: „Ich hatte einen Gedanken, es könne hier ein Unglück geben – er war mir so plötzlich gekommen, daß ich selbst nicht weiß, woher – und ich sprang mit zwei Sätzen an die aufgebrochene Thür. Mister Curry stand so weiß wie sein Hemdenkragen vor dem Sopha, auf dem die junge Miß lag, und hielt den jungen Gentleman zurück, der zu seiner Schwester wollte; der aber riß ihn mit einem Ruck auf die Seite, und ich konnte nun sehen, daß die junge Lady, die ihre Sinne noch nicht recht zu haben schien, nicht –“ der Erzähler warf auf’s Neue einen scheuen Rundblick durch das Zimmer, „nicht mehr so anständig dalag, als wir sie hingelegt hatten. Mr. Young hatte auch kaum seine Augen auf sie gerichtet, als er auch meinen Herrn bei beiden Schultern packte. Aus der Kirche klang’s gerade jetzt wieder: „Glory! Glory! Glory! “, ich aber dachte: jetzt geht’s los! trat in die Thür und sagte: „Bob ist jetzt hier, Mr. Curry!“ Der junge Gentleman fuhr nach mir herum, und ich sah, daß er trotz der Wuth in seinem Gesichte unschlüssig wurde, was er thun solle. Endlich nahm er seine Hände von Mr. Curry’s Schulter, sah ihn aber an, als wolle er ihn mit seinen Augen erstechen. „Ich spreche Sie morgen früh, Sir!“ sagte er, und die Aufregung schien ihm die Kehle halb zuzuschnüren. Das war auch das erste Wort, was gesprochen ward, oder was ich wenigstens gehört. Dann richtete er die junge Lady auf, sie wankte wie betrunken in seinen Armen, er kehrte sich aber nicht daran, faßte sie zur Unterstützung um den Leib und führte sie nach der Thür, die ich geschwind genug frei machte. Ich hatte noch keine zwei Minuten außerhalb gewartet, ob mich Mr. Curry vielleicht brauche, als er mich hineinrief. Er sah wieder so gleichmüthig wie jemals zuvor aus und ging langsam auf und ab. „Das ist ein Wahnsinniger, dem aber Verstand beigebracht werden soll,“ sagte er; „indessen, Bob“ – und damit blieb er vor mir stehen und sah mich mit Augen an, die ich gut genug kannte, es war noch jedesmal, wenn er so blickte, der bitterste Ernst dahinter gewesen – „ich will nicht, daß etwas verlautet, kein Hauch davon, Bob! unser heutiger glorioser Tag soll nicht durch das leiseste Wort beschmutzt werden!“ Er hob den Finger auf, aber ich wußte auch ohne das genug. – Als ich wieder auf meinem Platze in der Kirchthür ankam, sah ich auch schon Mr. Curry beim Altar, und bald darauf fing er selber an zu predigen, so schön und rührend, wie er es noch kaum gethan. – Well, Sir,“ fuhr der Sprecher mit einem neuen Athemzuge fort, als habe er eine schwere Aufgabe hinter sich, „am nächsten Morgen kam Mr. Young schon ganz früh in unser Haus und sah aus wie eine schwarze Gewitterwolke, die nur auf einen kleinen Anstoß wartet, um loszublitzen und zu donnern. Ich führte ihn, wie es mir geheißen worden war, sogleich in die Bibliothek; als er aber – es mochte wohl eine Stunde vergangen sein – das Haus wieder verließ, begleitete ihn Mr. Curry bis vor die Thür, sie drückten sich die Hände, und wenn es auch noch nicht gerade Sonnenschein auf Mr. Young’s Gesichte war, so konnte ich doch sehen, daß das Gewitter sich seitwärts weggezogen hatte. Es blieb auch Freundschaft von da an; aber ich merkte bald, daß jetzt mein Gesicht meinem Herrn im Wege war; er fing an über mein Fiedeln zu reden und brachte mich endlich hierher in’s Hotel –“ der Sprechende hielt plötzlich inne und horchte, „das ist die Stage!“[1] rief er, und im gleichen Augenblicke begann auch die Hausglocke zu läuten. Mit zwei vorsichtigen Sprüngen war der Schwarze an der Thür, öffnete diese geräuschlos, und wenige Secunden darauf hörte Reichardt seine Stimme bereits von der Straße heraufklingen.

Der junge Deutsche begann mit langen Schritten sein Zimmer zu durchmessen. Bob hatte nichts von dem zu erzählen gewußt, was die plötzliche Freundschaft zwischen Young und dem Pfaffen geschaffen und diese an die Stelle der drohenden Rache, zu welcher der Erstere nur zu sehr berechtigt gewesen wäre, gesetzt – aber Reichardt war so vollkommen klar darüber, als hätte er eine Mittheilung der kleinsten Details erhalten. Harriet und ihr Vermögen waren der Preis, mit welchem sich Curry Verschwiegenheit gesichert, der Preis, um welchen Young die Ehre seiner Schwester verkauft hatte. Rascher wurde der Gang des jungen Mannes; seine Wangen begannen sich zu röthen und seine Augen einen eigenthümlichen Glanz anzunehmen; der alte Burton hatte ihm gerathen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_290.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
  1. Postkutsche.