Seite:Die Gartenlaube (1861) 302.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zurückzukommen, so will ich ein jüngstes Erlebniß dieser Art mittheilen.

Da gab’s einen Käfig mit allerhand Gethier zu sehen, wie Waschbären, Armadill, Marder, Fuchs, Hauskatzen, Hunde, Kaninchen, Meerschweinchen, ein Rehkälbchen u. s. w., alle scheinbar in zärtlicher Eintracht untereinander lebend. Auch hier wurden nun die Zuschauer mit einer Explikation regalirt, die wirklich originell war. Da hieß es unter anderm von dem Rehkälbchen, das vielleicht erst unlängst in der Dresdener Haide gehascht und gepascht worden war: „Hier sehen die Herrschaften einen der kleinsten Hirsche der Welt; sein Vaterland ist Brasilien.“ Brasilien spielt nämlich eine große Rolle unter den Vaterländern der verschiedenen Thiere; es klingt so recht ausländisch, so recht „praßlig“. Dann war die eine gemüthliche Hauskatze eine indische, die andere aber mit abgehacktem Schwanze und kreuzlahm, daß sie hinten zusammenkauerte, sollte ein Bastard zwischen Katzen und Kaninchen sein. Und das Publicum? O, das Publicum ist die Gläubigkeit selbst. Es glaubte auch, daß der Hund, weil er roth aussah, ein Bastard von Hund und Fuchs sei. Die Kaninchen und Meerschweinchen waren ägyptisch, Fuchs sibirisch, Marder wieder brasilianisch. Die Waschbären blieben unverfälscht, dagegen mußte das Armadill sich gefallen lassen, zu fürchterlichen „Sohten“ ausgebeutet zu werden. „In seinem Vaterlande Aegypten“, hieß es, „saugt es den Krokodilen die Eier aus und gräbt sich, wenn das Ungeheuer dazu kommt, augenblicklich – man staune – sechs Fuß unter die Erde und entgeht so der Rache der Krokodilmama“. Aber nicht genug! „Hat das Armadill keine Krokodileier zur Hand, so geht es auf die Kirchhöfe, scharrt die Leichen aus und frißt sie“ – ich will nicht selbst lügen und dazu setzen: lebendig auf, aber „frißt sie auf,“ sagte er wirklich. Das Publicum betrachtete jedoch das harmlose Thierchen nach so schamlosen Verleumdungen mit nervösem, gespanntestem Interesse und schüttelte die Häupter ob seines scheußlichen Charakters.

Nachdem ich mit einem richtigen Neugroschen meiner Verbindlichkeit für Anschauung eines vertrockneten tättowirten Neuseeländer-Kopfes nachgekommen war, schritt ich ergötzt zur Bude hinaus, um draußen noch einem Lieblingsgenuß zu fröhnen, nämlich die Aushängebilder der Menagerie zu betrachten. Hier waren mit wahrhaft fleischfresserischer Phantasie die blutigsten Scenen zwischen phantastisch geformten Menschen, Löwen, Tigern, Schlangen u. s. w. dargestellt, die von salatgrünen Palmen und kornblumenblauen Gebirgen überragt wurden. Daß drin in der Bude kein einziges von den hier abgebildeten Thieren zu sehen war, fand ich so charakteristisch, daß es mir leid gethan hätte, wenn es anders gewesen wäre.




Zur Geschichte des Aberglaubens.

Nr. 4

Ich kann mir leicht denken und weiß es, wie schwächere Menschen unter mancherlei mystischen Eindrücken leiden, und will eben deßhalb etwas von meinen Selbstcuren erzählen; vielleicht geschieht es nicht ohne Nutzen für manchen Befangeneren. –

Es ist nämlich ganz eigenthümlich, wie jedem Bildungsgrad zum Trotz die Hinneigung zum Aberglauben falsche, lächerliche Combinationen und Trugschlüsse veranlaßt, bis sich in dieser Richtung eine solche Begriffsverwirrung einstellt, die alle vernünftigen Anlagen auflöst, den Verstand völlig corrumpirt und schließlich eine dergestaltige Zerstörung des Nervensystems zur Folge hat, daß solche Menschen zuweilen für die Gesellschaft förmlich unbrauchbar werden. –

Giebt es einen Menschen, der mit verdorbenem, krankhaftem Nervensystem schon aus der Kinderstube kam, so war ich es. Ich verstand es prächtig, Andere zu schrecken, – vielleicht nur deßhalb, weil ich alle Schauer der etwa dennoch möglichen Wahrheit meiner Erzählungen selber mit empfand. Eine dunkle Stube, in welcher ich allein sein sollte, – eine Leiche im Hause, das Sprechen einer ungehört eingetretenen Person – Träume etc., derlei unbedeutende und unvermeidliche Veranlassungen setzten mich fieberhaften Aufregungen von tagelanger Dauer aus; und wäre mir nicht das derbe Leben zu Hülfe gekommen, das während meines Aufenthaltes in der Militärschule und den darauf folgenden sechs Jahren eines Kasernen-Lebens hinreichend Gelegenheit fand, meine naturwüchsige zweite Menschenhälfte auszubilden: – ich wäre, davon bin ich überzeugt, ein unter magnetischen Inspirationen vegetirender, für’s praktische Leben völlig unbrauchbarer Mensch geworden.

Ich muß, um das Nachfolgende in’s gehörige Licht zu stellen, noch einige Worte voraussenden. Verkenne mich Keiner in der Schilderung meiner Geisterseher-Erlebnisse. Ich bin nicht etwa ein zaghaft schwächlicher Mensch, sondern der Wahrheit getreu darf ich von mir sagen, daß ich stets ein couragirter Bursche war, der vor einer sicheren Gefahr niemals zurück schreckte. Ein durch meine militärische Erziehung kräftiger und ebenmäßiger Körper befähigte mich schon früh, als Turner und Fechter Ungewöhnliches zu leisten. – Todesfurcht war mir immer fremd geblieben; ich habe es vermocht, ruhig im Kugelregen zu stehen, ja vielleicht um ungenügender Veranlassungen willen muthig und muthwillig mein Leben auf’s Spiel zu setzen; so wie mir noch heute Keiner, der mich kennt, festen Willen und Entschlossenheit absprechen wird; – und dennoch habe ich viel unter abergläubischen Kindereindrücken gelitten. – Alles das zusammengenommen, maße ich mir nun das Recht an, vor den verderblichen Einflüssen des Aberglaubens, die selbst dem Gebildeten und Hochherzigen gefährlich werden können, laut zu warnen und Eltern recht eindringlich darauf aufmerksam zu machen, wie nothwendig es ist, Kinder geistesfrei zu erhalten und ihnen schon bei Zeiten die Grundbegriffe einer gesunden Logik an die Hand zu geben. Und nun zur Sache.

Ich verließ meine Militär-Carriere und wurde Schauspieler. Dieser Stand mit all seiner Exklusivität der Existenz war es, der mir am meisten zusagte. Wenn nun während meiner Militärzeit meine mystischen Anlagen schlummerten und nur hier und da mit träumerischen Beängstigungen spukten, so wurden dieselben jetzt unter den Einflüssen meines neuen Standes mit verdoppelter Gewalt lebendig. –

Nach mancherlei tollen Erlebnissen führte mich ein Engagement nach H… – fröhlichen Angedenkens. – Ich war in der Vollkraft meiner 26–27 Jahre und mit dem Entschluß ausgerüstet, meiner kränklichen Hinneigung zum Aberglauben, dessen Lächerlichkeit ich recht wohl einsah, ohne mich von ihm befreien zu können, ein Ende zu machen, als ich erfuhr, daß ein dicht am evangelischen Friedhof jener Stadt gelegenes Haus erst seit kurzer Zeit wieder von einer Familie bewohnt werde, nachdem dasselbe ein paar Decennien als Geisterschloß gemieden und umgangen war, weil sich in demselben ein Gespenstersaal befinde, wo ein Poltergeist sein Unwesen treibe. Gleichzeitig kam mir zur Kenntniß, daß zwei Zimmer, dicht an jenen Gespenstersaal grenzend, das eine mit der Aussicht nach dem Friedhof, das andere nach einem schönen Garten gelegen, zur Zeit noch unbewohnt seien.

Mein Entschluß war gefaßt. Ich miethete gegen ein Billiges die beiden hübschen Zimmer und zog trotz meiner Aversion, die ich jedoch vor Niemandem aussprach, dort ein. – Es ist überhaupt ein vortreffliches Mittel gegen eigene Schwäche anzukämpfen, wenn man es über sich zu gewinnen sucht, frei und offen mit ihr zu verkehren. Nun hatte ich meinen ganzen Nervenstärkungs-Apparat beisammen. Ein Geistersaal sammt Poltergeist – vor meinen Fenstern der Friedhof – geisterhafte Stille und Einsamkeit – und eine ganze Bibliothek von Schauergeschichten, die sich alle an dem verrufenen Ort meines Aufenthaltes zugetragen haben sollten. „Giebt es etwas von alledem, was Dich so oft mit Furcht und Schauder erfüllte,“ sagte ich mir, „so muß Dir hier etwas davon begegnen, und dann werde daraus was wolle; und begegnet Dir nichts, dann giebt es auch nichts, und Du wirst von Deiner unseligen Albernheit geheilt sein!“

Aus dieser Selbstansprache, lieber Leser, wirst Du erkennen, mit welchen Gefühlen ich meine Geisterburg bezog. Ich war entschlossen, jedem Geräusch, jeder Erscheinung zu begegnen und nicht eher zu ruhen, bis ich die letzte Veranlassung ermittelt, Wahrheit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_302.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)