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verbinden, wie’s Brauch ist beim Erschießen, aus einem Munde aber weigerten sich die Elf. Sie wollten, wie’s preußischen Soldaten ziemt, mit offenen Augen dem Tode entgegen gehen.

Sechsundsechzig französische Kanoniere traten an zur Execution, die Elf umarmten sich mit dem einen Arm, den sie frei hatten, dann stellten sie sich in eine Reihe, entblößten Brust und Hals und riefen den Franzosen zu, die preußischen Herzen nicht zu fehlen.

„Fürchtet nichts,“ lautete die Antwort, „die französischen Kanoniere zielen gut!“

„Fürchten?“ riefen die Elf, „wir Preußen fürchten keine französischen Kugeln!“

Die Kanoniere nahmen die Gewehre auf, und Friedrich von Flemming, der am äußersten linken Flügel stand, machte sich nach Verabredung fertig, selbst das Zeichen zu geben. Als die Franzosen im Anschlage lagen, warf er seine Mütze in die Höhe und riefen alle mit schallender Stimme: „Es lebe der König! Preußen hoch!“

Die Salve krachte, und zum Tode getroffen sanken die an einander Gebundenen lautlos nieder; nur Albert von Wedell, der achtzehnjährige Jüngling, richtete sich noch einmal auf unter den blutenden Leichen, seine rechte Seite war von den Kugeln zerrissen, aber mit starker Stimme rief er: „Könnt Ihr nicht besser treffen, Franzosen? hierher, hier sitzt das preußische Herz!“

Eine zweite Section trat vor und lud die Gewehre; welche Minuten voll bangem Entsetzen! Einige hofften, die Franzosen würden dem muthigen Jüngling das Leben lassen, viele der Feinde selbst hätten’s sicher gern gethan, aber der kaiserliche Blutbefehl lautete bestimmt, und wer hätte es gewagt, dem Befehl des Kaisers entgegen zu handeln? Ein Tyrann herrscht nur über Sclaven, Sclaven aber gehorchen blind, bis sie meutern!

„Feuer!“ commandirte Albert von Wedell, und das barmherzige Blei bettete ihn sanft neben seine Waffenbrüder!

In die offenen Gräber warf man die Leichen der Elf, französische Soldaten schaufelten sie zu, und Weseler Bürger bezeichneten in der Nacht nach der Execution die Stätte, wo die edlen Opfer fremder Tyrannei zum ewigen Schlaf gebettet waren in vaterländischer Erde.

Das waren die Schüsse zu Wesel am Glacis, mit deren Krachen der fremde Imperator am 10. September den deutschen Zorn zu schrecken gedachte. Es kam aber anders; der Knall jener Schüsse weckte den Zorn auf, wo er bis dahin noch geschlummert. Wie der schöne Morgenstern der Befreiung war der Schill aufgegangen am deutschen Himmel, er ging unter in dem Pulverdampf am Glacis zu Wesel, aber der Morgenstern geht unter, wenn der Morgen kommt, den er verkündet hat, der Morgen des Befreiungstages!


2.

An einem Novembertage des Jahres 1809 herrschte zu Cherbourg, der starken französischen Seefestung, welche, das britische Portsmouth gegenüber bedräuend, am Canale thront, eine ganz ungewöhnliche Thätigkeit, denn die Sprengarbeiten an dem Riesenbassin, welches Napoleon im Jahre zuvor auszusprengen befohlen hatte, waren beendet, und es galt nun, die Steintrümmer so schleunig als möglich zu entfernen, damit der großartigste Schutzhafen für französische Schiffe alsbald vollendet werde. In Tausenden von Karren wurden Erde und Steingeröll über die Equerdreville- und Couplets-Hügel im Rücken des Homet-Forts abgeführt; schwere Arbeit, aber noch schwerere Arbeit wird leicht durch Lust und guten Willen! doch hier hört man keinen ermunternden Gesang, hier tönt kein erfrischendes Wort, hier arbeitet Niemand mit Lust und gutem Willen. Tiefe Stille herrscht, man hört nur das Kreischen der Räder, das Schnaufen der schwer arbeitenden Männer und den zornigen Zuruf der strengen Aufseher. Doch man hört noch ein Geräusch, ein Geräusch, bei dem selbst feste Männerherzen beben, man hört das Klirren der Ketten; denn die hier arbeiten, alle sind in Ketten geschmiedet, sie müssen arbeiten in Ketten – Gott erbarme sich!

Halb nackt, denn die Kleidung vom gröbsten Segeltuch reicht kaum aus, die Blöße zu bedecken, ziehen die Unglücklichen, die immer zu Zwei an eine Kette geschmiedet sind, in stummer Wuth oder schon in thierischer Gleichgültigkeit, die wenigsten in männlicher Fassung, mit keuchendem Odem den Karren bergauf.

Schwere Arbeit in Ketten! aber drüben donnert das ewige Meer und sein erfrischender Hauch weht auch um die Stirn des Galeerensträflings, die Sonne leuchtet und ihre Strahlen vergolden nicht nur den Knopf des Kirchthurms, sondern auch das Elend des Bagno-Gefangenen. Der Galeerensträfling, er ist bei schwerster Arbeit glücklicher als der Gefangene in der Tiefe des Thurmes, zu dem kein Sonnenstrahl dringt und kein Hauch von frischer Luft, der nichts hört als das Klirren seiner Ketten, für den die Stimme seines Kerkermeisters Musik geworden ist. Galeerensclave du, mit dem blauen Auge und dem jugendlichen Antlitz, was du auch verbrochen haben magst, wer da Gewalt über dich hat, er hätte schlimmer mit dir verfahren können: er schmiedete dich an die Kette, aber er hat dir das Licht gelassen, er bedeckte dich mit Lumpen, aber er hat dir die Luft gelassen – das ist der Galeerentrost!

Der jugendliche Sclave richtete sein Haupt stolz auf, der Schweiß rann ihm von der bleichen Stirn; ein Gleiches that der an eine Kette mit ihm geschmiedete Bärtige; Beide standen straff und fest, militairisch die Haltung, und stummer Groll loderte aus ihren Blicken. Der jugendliche Galeerensclave da mit den zornigen Augen und dem wehmüthigen Munde, das ist der „Zwölfte“; die Elf andern liegen vor dem Glacis zu Wesel im kühlen Grabe, der Zwölfte zieht in Ketten zu Cherbourg an der Karre, ein Galeerensclave des französischen Tyrannen!

Die Schüsse zu Wesel am Glacis hatten nicht den erwarteten Erfolg gehabt, es waren nicht Droh- und Schreckschüsse für Preußen und Deutschland geworden; sie hatten vielmehr, vom Echo durch ganz Deutschland getragen, eine so allgemeine Erbitterung und so bedenkliche Aufregung erzeugt, daß der fremde Despot es nicht wagte, auch den Zwölften noch nachträglich erschießen zu lassen. Er machte den preußischen Officier zum Galeerensclaven, er begnadigte ihn nach Cherbourg zu Kette und Karre! Bonapartische Großmuth!

So wurde Leopold Heinrich von Wedell, der Sohn einer alten neumärkischen Familie, die sich seit Jahrhunderten in alle Reiche des Nordens verbreitet hat, Galeerensträfling, weil er als ein Held gefochten und gefangen worden nach männlichem Widerstande. Der große Kaiser wagte den Zwölften nicht erschießen zu lassen, darum an die Kette mit ihm!

Leopold Heinrich von Wedell, Lieutenant im Regiment des Prinzen Louis, schlug sich heldenmüthig in Preußens dunkelsten Stunden bei Auerstädt 1806. Er erhielt eine Kugel in den Unterleib, ritt aber auf dem Pferde seines gebliebenen Majors, die Wunde im Leib, den Gram um das Vaterland im Herzen, von Auerstädt bis nach Magdeburg, um nur nicht in französische Gefangenschaft zu fallen. Schwer erkrankt und in Todesnoth vernahm er hier nach einiger Zeit das Gerücht, Magdeburg wolle capituliren; sofort machte er sich auf, denn er wollte keinen Theil haben an der brennenden Schmach, die damit dem preußischen Namen angethan wurde. Der Schwerverwundete, begleitet von seinem ältern Bruder, schleppte sich fort; er folgte dem Corps Blücher’s nach, aber auch das ging verloren durch die Capitulation von Lübeck, noch bevor er’s zu erreichen vermochte. Der Lieutenant von Wedell rettete sich nach Dänemark, ließ sich in Kopenhagen heilen und gelangte mit seinem Bruder zur See nach Königsberg, wo ihn sein König sofort bei dem Garde-Reserve-Bataillon wieder anstellte. Den vergifteten Tilsiter Frieden aber vermochte der feurige junge Mann nicht zu ertragen, von grimmigem Franzosenhaß bewegt, nahm er im Jahre 1808, als jede Aussicht auf einen nahen Krieg geschwunden war, den Abschied und schloß sich jenen treuen Patrioten und kühnen Männern an, welche sich bemüheten, einen Aufstand in den Landen zwischen Weser und Elbe zu organisiren und durch denselben das Spottkönigreich Hieronymi von Westphalen umzuwerfen. Es ist bekannt, welchen traurigen Ausgang diese Schilderhebung unter Dörnberg nahm. Flüchtig irrte der Lieutenant von Wedell durch die Lande, von Versteck zu Versteck folgten ihm die Häscher des Spottkönigs „Kehrum“, wie die Westphalen seinen verdammten französischen Namen „Jerome“ auszusprechen beliebten: da, im Frühjahr 1809, sah Wedell plötzlich den Säbel blitzen in Schill’s Faust, er vernahm die muthigen Klänge der Trompeten vom ruhmreichen zweiten Brandenburgischen Husaren-Regiment, die den französischen Kaiser, den Unterdrücker

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_306.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)