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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

werth hält, wenn er auch deren Bedingtheit und Begrenztheit wohl weiß.

„Du und ich,“ sagte mir Rietschel oft, „wir sind bescheidener als tausend Andere, die, wie die heuchlerische Modephrase will, stets von „ihrer Wenigkeit“ sprechen. Wir gelten nur leicht für eitel, weil wir bei einem Lobe, das uns entgegengetragen wird, nicht alsbald einfallen und thun: um Gotteswillen! beschämen Sie mich nicht! Ich weiß ja, daß Alles, was ich mache, nichts ist; erinnern Sie mich nicht an diese schwachen Stunden etc. Wer diese herkömmlichen Phrasen nicht vorbringt – natürlich je nach Gelegenheit variirt – wer nicht thut, als ob er auf sich selbst nichts halte, und bei einem Lobe eigentlich den Leuten in’s Gesicht sagt: Ich weiß, daß Ihr höflich lügt, und Ihr wollt wieder eine höfliche Lüge von mir als Bezahlung – wer sich nicht zu diesem falschen Spiel hergiebt, der gilt für eitel.“ – Ich sehe das Lächeln des Freundes noch vor mir und wie er zur Bestätigung mit seiner getreuen, kräftigen Hand fassend nach der meinen griff, als ich ihm einmal darüber sprach und wir dabei Nachts wohl zehnmal hin und her zwischen seinem und meinem Hause gingen, und Jeder den Andern immer heimbegleiten wollte, und als ich ihm da sagte: „Wenn man der Welt ehrlich zu verstehen giebt oder bekennt: ich weiß, ich wiege intellektuell ein Pfund oder ein halbes Pfund – ei, schreit die Welt, wie entsetzlich eitel ist dieser Mensch! Der glaubt doch offenbar, er wiege sieben Centner, denn er sagt ja: ich wiege etwas. Er sagt nur nicht das Ganze; wäre er bescheiden, so müßte er sagen, ich wiege gar nichts, ich bin leichter als Luft.“

Rietschel lachte hellauf in der stillen Nacht über die Zumuthung, daß man leichter als leere Luft sein solle.

Schon bei der Schiller-Goethegruppe klagte Rietschel oft über die Unzweckmäßigkeit seines Ateliers. Er hatte nicht einmal ein eigenes Zimmer, worin er die Entwürfe machen konnte. Er mußte Alles vor den Augen der Schüler, ja, vor den Augen der Besuchenden machen; und dazu war der Weg von der kleinen Reitbahngasse bis auf die Brühl’sche Terrasse beschwerlich und dort am erhöhten Ufer zugig und seiner Gesundheit schädlich, und zuletzt noch in der Werkstatt der Fußboden unmittelbar auf der kalten Erde. Als Rietschel im Winter wieder krank war, ging ich zu einem der ersten höheren Staatsbeamten und stellte ihm vor, welch eine Versündigung an der Nation und an der ganzen Kunst es sei, Rietschel ein solches Atelier zu geben und ihn noch dazu mit akademischen Verpflichtungen, Correcturen etc. zu belasten. Der brave Mann versprach das Seine zu thun. Es geschah aber nichts, bis es zu spät war.

Es ist kein Ruhm zu groß für die andachtsvolle Hingebung und Mühe, die sich Rietschel bei Ausarbeitung des Schiller-Goethe-Denkmals gab, und namentlich der Rhythmus der Fußstellungen wollte ihm lange nicht genügen. Er riß die kolossal ausgebauten nackten Gestalten, wie die bekleideten, wieder ein, und seine Schüler Gustav Kietz und Dondorf halfen ihm getreulich und unverdrossen. Nicht leicht giebt es einen Meister, der so die innige andachtsvolle Verehrung seiner Schüler genoß, wie Rietschel.

Als endlich das große Wagniß einer Doppelgruppe unserer Geistesheroen in modernem Costüm vollendet war, da war Rietschel trotz eines gewissen innern Genügens doch auch eifrig hinaushörend, wie der Eindruck sei. Es ist eitel Lug und Trug, wenn Manche mit der Maske der Bescheidenheit thun und sagen, sie kümmerten sich nichts um den Eindruck, den ihre Arbeiten machten, ja, sie fragten gar nicht darnach und wollten nichts davon hören, wie die Welt darüber urtheilt. Es ist das eitel Lug und Trug. Es giebt keinen Schützen, der, wenn er abgeschossen hat, nicht unwillkürlich nachsieht, ob er auch getroffen habe; er kann sich dabei wohl bewußt bleiben, daß nicht feine vorbedachte Geschicklichkeit das Ziel erreicht. Der ehrliche Künstler weiß, daß noch viel fehlt, damit das Werk das sei, was es nach der innern Conception hätte werden sollen, aber unmöglich ist es, daß man mit der Absicht, etwas Tüchtiges herauszubilden, und zwar mit dem ganzen Einsätze seiner Kraft, nun, wenn es fertig ist, sich davon lossage, als ob es Einen nie etwas angegangen hätte. – Rietschel hatte die Genugthuung, daß sein Werk schon bei der Ausstellung im Gipsmodell große Anerkennung fand. Dennoch fragte er mich oft: „Sage mir auch, was die Gegner dazu sagen; sage mir auch, was man tadelt und was nicht richtig ist. Ich weiß ja selbst, daß es viel besser sein sollte, aber daß etwas Tüchtiges daran ist, das weiß ich auch, und es wird mich keine Gegnerschaft irre machen.“

Wenn ich hier und sonst Rietschel’s Worte wiederhole, so will ich ein für allemal hiemit sagen, daß ich nicht dafür einstehen will und kann, daß dies gerade diplomatisch genau seine Worte waren, aber daß dies der Sinn derselben gewesen, dessen bin ich zuversichtlich überzeugt. Ich hatte damals meine Betrachtung der Schiller-Goethegruppe veröffentlicht, und ein Behutsamer warnte mich, mich nicht zu sehr mit diesem Werke und seinem Lobe einzutasten, man könne nicht wissen, wie sich das Endurtheil feststellen werde.

Ich hatte die Freude, während das Denkmal in München gegossen wurde, mit dabei zu sein, und als ich gleich in der Stunde darauf abreiste, schrieb ich dem Meister auf der Eisenbahn von München nach Augsburg einen Brief mit Bleistift und gab ihn gleich zur Post. Ich habe eine erquickliche Antwort von ihm darauf erhalten, die ich noch finden und später veröffentlichen werde.

Einen Glanzpunkt in Rietschel’s Leben bildeten die Septembertage 1858 in Weimar, und ich bin glücklich, sein Camerad in der eigentlichen Bedeutung des Wortes dabei gewesen zu sein. Es war ein Stück Leben außerhalb des gewohnten Seins in einem Momente großer geschichtlicher Gemeinschaft und in einer tiefheitern Weihestimmung zu einem großen, nie wiederkehrenden Feste. Wir wohnten mit einander in demselben gastlichen Hause, und die schönen sonnigen Tage sind unvergeßlich. Am Morgen das gemeinschaftliche Frühstück an langer Tafel im großen Saale, wo Besuche von Fremden und Einheimischen kamen und wo namentlich der Maler Preller – mit dem Rietschel in inniger Freundschaft lebte und den er als einen der ersten Künstler hockhielt – uns mit Erzählung von Begegnissen aus dem Leben Karl Augusts erfreute. Dann kamen Andere, alte Freunde wurden neu begrüßt, den Trägern guter Namen schaute man zum ersten Male in’s Auge; es kam (damit auch das Störende nicht fehle) die entsetzliche Albumplage, wo man seinen Namen womöglich noch mit einem Spruche auf die ersten Blätter eines neu angelegten Albums eintragen sollte; dann der heitere Gang im Garten am Hause, bis man sich endlich zerstreute und zu den Festlichkeiten vorbereitete – Es war einmal ein Stück Leben, wie auf einem Punkte außerhalb der Welt, in Weimar, diesem Jerusalem des deutschen Geistes, wo Straßen und Häuser von hohen Erinnerungen sprechen, und dazu noch der Mittelpunkt eines großen Weihefestes, da es Jedem zu Muthe war, als ob er den Heroen nun persönlich danken könne für das, was sie der deutschen Nation und der ganzen Welt geworden.

Der Tag der Grundsteinlegung zum Karl-August-Denkmale war regnerisch, auch der Tag der Enthüllung der Dichtergruppe, die nun, statt des bisherigen grauen Mantels, am Morgen einen weißen trug und vor unsern Fenstern wie ein wartendes Geheimniß stand, schien sich trübe anzulassen; aber schon beim Zuge nach dem Wieland-Denkmale hellte sich’s auf.

Die Enthüllung des Wieland-Denkmals war eine wenig erhebende. Als wir den Platz verließen, sagte Rietschel zu mir: „Halte Dich an meiner Seite, damit ich Dich habe und nach Dir fassen kann.“ Der Gang von einem Denkmal nach dem andern hatte etwas Trübseliges. Keine Musik, kein Gesang auf dem Wege, nichts, was an die schöne Festlichkeit der alten Zeit und auch des süddeutschen Lebens erinnerte. Wir standen beim Schiller-Goethe-Denkmal, die Frauen oben am Fenster in unserm gastlichen Hause. Rietschel winkte nur einmal leise hinauf. Dann erscholl Musik und Gesang, davon man nicht viel verstand. Jetzt begann die Rede. Rietschel faßte mich fest an, er mußte tief bewegt sein. Nun blähte sich der Mantel von einem Luftzuge auf, es war, als wollten die gewaltigen Gestalten nun endlich heraus an’s Sonnenlicht, daß sie in heller, voller Pracht dastehen. Auf ein Zeichen des Redners zogen die Schüler Rietschel’s, Kietz und Tondorf, den Mantel – die Hülle fiel, die Heroen standen da in ehernem und ewigem Glanze. – Ein vieltausendstimmiges jubelndes Hoch erscholl, und mir ist’s als spürte ich noch den Druck, mit dem die Hand, die das Werk geschaffen halte, mich zitternd faßte. Der Meister und sein Werk schauten einander an: der Meister in tiefster Bewegung, die geschaffenen Gestalten in ewiger Ruhe. Das Hoch, das jetzt nicht enden wollend durch die Lüfte scholl, es war der zusammengedrängte laute Ausruf tausendstimmiger Freude, der sich still von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen wird.

Ein Strahl der Ewigkeit senkte sich auf das demüthige Haupt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_314.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)