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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Deutscher

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

„Aber um Gotteswillen,“ rief Reichardt, dem die Erinnerung an die geheimnißvollen Fragen, welche ihm der entflohene Bob hatte vorlegen wollen, den Schweiß auf die Stirn trieb, „Alles, was ich auch gesagt haben möge, ist doch so völlig unverfänglicher Natur gewesen –“

„In Ihrem Sinne sicherlich, Sir,“ unterbrach ihn der Wirth, „nicht aber in dem unsrigen, die wir unsre Neger kennen; und um gleich Alles zu sagen, so möchte ich Ihnen als Freund rathen, die Stadt und wo möglich den Staat ohne die geringste Zögerung zu verlassen. Ich habe einige Worte des Predigers in Bezug auf Sie aufgefangen, die nichts Gutes verkünden, und es sollte mich schmerzen, Sir, Sie nicht vor Unannehmlichkeiten schützen zu können, deren Grenzen sich im Augenblicke noch nicht einmal absehen lassen. Ich kann meinen leichten Wagen in drei Minuten angespannt haben und fahre Sie nach der nächsten Station der Postkutsche, die gegen Mittag dort halten wird. Beim Dunkelwerden erreichen Sie dann Nashville und nehmen das Dampfboot, was von dort nach dem Ohio abgeht –“

„Das heißt, ich soll flüchten?“ rief der Deutsche, überrascht, aber noch ungewiß sich von seinem Stuhle erhebend.

„Gerade das, Sir, und zwar so lange es noch Zeit ist!“ war die bestimmte Antwort.

„Und vor wem, Sir, und weshalb?“ rief Reichardt erregt; „vor dem Prediger Curry, und wegen einer vielleicht hier unvorsichtigen, aber sonst ganz harmlosen Aeußerung? Nimmermehr, Sir, und wenn ich auch in dieser Schnelligkeit mich hier losreißen könnte. Ich denke, ich bin in einem Lande, wo wenigstens Gesetz und Ordnung herrschen, wenn auch die Redefreiheit auf ganz besonderen Füßen zu stehen scheint, und ich will die Dinge abwarten, die mich möglicherweise treffen können. Ich glaube gern, daß es der heißeste Wunsch dieses Mr. Curry sein mag, mich wie einen Verbrecher aus der Stadt hetzen zu können, ich weiß zu viel von seinen Angelegenheiten – aber wir wollen sehen, wer der Stärkere ist; hoffentlich werde ich auch von anderen Seiten nicht ganz verlassen sein!“

„Sie scheinen mit unsern Verhältnissen noch gänzlich unbekannt zu sein,“ erwiderte der Hotelbesitzer, und ein Zug von Unruhe stieg in seinem Gesichte auf. „Unser Volk ist das friedlichste und gastfreundlichste; nur darf es nicht an seinem empfindlichsten Punkte, den Verhältnissen der farbigen Diener und Arbeiter, berührt werden; und angesichts der vom Norden ausgehenden brandstifterischen Emancipationsbestrebungen ist es nur zu sehr in seinem Rechte, wenn es jeden Fremden mit mißtrauischem Auge betrachtet, ihn bei dem entferntesten Verdachte einer Einwirkung auf die Schwarzen kurz und entschlossen aus dem Staate schafft und ihm das Wiederkommen verleidet. Es ist das ein Gebot der Selbsterhaltung, Sir, und noch selten haben sich in derartigen Fällen unsere Beamten dem Volkswillen zu widersetzen gewagt. Nun liegt jedenfalls schon genug gegen Sie vor, um eine Ausweisung zu rechtfertigen, dazu ist der Prediger Curry, wie Sie selbst sagen, nicht Ihr Freund, und ich sehe Auftritte voraus, die, wenn Sie sich nicht bei Zeiten durch Ihre Entfernung davor schützen, Ihnen die bitterste Erinnerung an unsere Stadt verschaffen könnten –“

„Aber erlauben Sie mir, ich bin noch nicht volle zwei Monate in den Vereinigten Staaten und kenne weder Land noch Leute,“ versetzte Reichardt ruhig, „die mannigfachen Freunde, welche ich mir hier bereits gewonnen, wissen das und werden meine harmlosen Aeußerungen danach beurtheilen. Im Uebrigen aber glaube ich nicht einmal, daß Curry etwas gegen mich zu unternehmen wagt. Ich würde den Vorwurf der größten Feigheit auf mich laden, wenn ich in blinder Angst auf und davon liefe, ohne von befreundeter Seite nur einmal einen Rath eingeholt zu haben –“

„Well, Sir,“ erwiderte der Wirth, sich kurz erhebend, „ich habe Ihnen meine Hülfe angeboten und kann nichts weiter thun. Halten Sie sich für sicher, desto besser, und ich wünsche von ganzem Herzen mich geirrt zu haben.“

„Und ich danke Ihnen aufrichtig,“ gab der Deutsche zurück; „ich werde sofort ein paar Wege in dieser Angelegenheit gehen – aber muthen Sie mir nicht zu, wie ein Verbrecher mich heimlich davon zu machen!“

Der Hotelbesitzer nickte nur und verließ das Zimmer; Reichardt aber griff nach seinem Hute – er war durchaus nicht so ruhig, als er sich gegeben, und vielleicht hätte er bei seiner unsichern Stellung der Aufforderung seines Hausherrn gefolgt, wenn ihm nicht der Gedanke gekommen wäre, daß der Wirth möglicherweise im Einverständniß mit Curry handele, um ihn so auf die kürzeste und ruhigste Weise aus der Stadt zu schaffen, – wenn er außerdem es nicht auch für seine Pflicht gehalten hätte, Harriet zuerst von dem Stande der Dinge zu benachrichtigen.

Er verließ rasch das Hotel und schlug den Weg nach Burton’s Hause ein. Aufmerksam beobachtete er jedes Gesicht in der Straße, welches sich ihm zuwandte; nirgends aber traf er auf einen Blick, der eine Kenntniß des Geschehenen verrieth und seinen stillen Befürchtungen Nahrung gegeben hätte, und mit leichterem Herzen erreichte er Harriet’s Wohnung. Die junge Lady war, wie ihm die öffnende Schwarze sagte, mit ihrem Vater auf das Land gefahren und wurde vor Abend kaum zurück erwartet. Etwas getäuscht trat Reichardt den Rückweg an; nach kurzem Gange erblickte er indessen vor einem der Geschäftslocale ein Gesicht, das in freundlicher Erinnerung ihm die Versammlung der Männer wieder vorführte, welche in Burton’s Hause sich seines Interesses so rege angenommen. Der Dastehende nickte dem Deutschen schon von weitem zu. „Wie steht’s?“ fragte er, als Jener herangekommen war, und streckte die Hand aus, „sind die Sachen endlich geordnet und die Bedenklichkeiten der frommen Herren beseitigt?“

„Wohl noch nicht ganz!“ erwiderte Reichardt und drückte die dargebotene Hand; „indessen möchte ich mir wohl erlauben, in einer anderen Angelegenheit mir Ihren Rath zu erbitten.“

„Kommen Sie herein, Sir, ich bin immer bereit, wenn ich Ihnen mit etwas dienen kann,“ erwiderte der Amerikaner und schritt dem Deutschen nach einer Schreibstube im Hintergründe des Locals voran, zog dort einen Stuhl herbei und ließ sich zugleich auf einem andern nieder. Der junge Mann setzte sich und begann nach einem kurzen Eingange seine frühere Begegnung mit Bob, sowie das ganze mit seinem Wirth am Morgen gehabte Gespräch mitzutheilen, hinzufügend, daß er in derselben Angelegenheit soeben Mr. Burton vergeblich aufgesucht. Der Amerikaner sah, als Reichardt geendet, eine Weile schweigend vor sich nieder. „Ich muß Ihnen sagen,“ begann er dann, sich einigemal rasch durch die Haare fahrend, „daß ich in Ihrem Interesse wünschte, die Geschichte wäre nicht passirt. Ich glaube kaum, daß sich Unannehmlichkeiten daraus entwickeln werden, wie sie Ihr Wirth fürchtet, so viel unnützes Volk wir auch in der Nähe der Stadt haben, das sich ein Vergnügen aus jedem Krawall macht. – Sie sind unsern besten Männern hier schon genug bekannt, als daß diese sich Ihrer nicht annehmen sollten, und ich glaube auch noch nicht einmal, daß der Schwarze wirklich davon gelaufen ist, ich halte ihn für zu gescheidt dazu – indessen muß die Sache auf Ihre Zukunft unter uns hemmend einwirken. Man wird nicht Ihren bösen Willen, aber Ihre Unerfahrenheit in unsern Verhältnissen fürchten – und der Methodist, wenn Sie den einmal auf dem Nacken haben, wie mir scheint, ist schon im Stande, einen großen Theil der öffentlichen Meinung gegen Sie zu stimmen. Ich sehe nicht, daß sich im Augenblick etwas Anderes thun ließe, als die Dinge abwarten.“

Reichardt sah in das Gesicht des Mannes, welches trotz der Herzlichkeit des Tons einen Zug steifer Zurückhaltung anzunehmen begann, und erhob sich. „Ich will Sie nicht länger belästigen, Sir,“ sagte er, „ich fange an, einen Einblick in den Stand der Dinge zu erhalten, und werde, sobald ich nur Mr. Burton gesprochen, die Bewohnerschaft von der Sorge über meine Anwesenheit befreien.“

„Es ist wirklich äußerst unangenehm, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie leid mir die Sache thut,“ erwiderte der Amerikaner, seinen Gast nach der Thür begleitend, „ich kann aber beim besten Willen nicht sehen, was sich darin thun ließe –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_318.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)