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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Deutsche Männer.

Tyrol hat stets an den Kämpfen Deutschlands gegen seine Feinde einen thätigen Antheil genommen; vor dem Ruhme des Jahres 1809 treten jedoch alle früheren Ereignisse in den Hintergrund, und auch in diesem Jahre fällt der Glanz hauptsächlich auf Hofer’s Waffengefährten, welche mit ihm bei Sterzing und auf dem Berge Isel kämpften. Und doch giebt es noch viele Stätten, wo Heldenblut floß, noch manche Männer, deren mächtige Gestalten, welche ein langer fauler Friede vergaß, wieder vor das deutsche Volk hintreten sollten, denn auch jetzt droht ein Feind gleicher Art, gleichen Namens, noch gefährlicher durch seine List als sein Genie.

Der Leser lehnt es vielleicht nicht ab, mir in das schöne Unterinnthal zu folgen, dorthin, wo an der Grenze gegen Salzburg die Felsen näher zusammenrücken und den berühmten Paß Strub bilden. Zuerst trinken wir zu Waidring auf der Post einen Schoppen rothen Tyrolerwein; auf dem Hausflur hängt ein Oelgemälde, mit mehr Fleiß als Kunst entworfen stellt es die Gefechte dar, in welchen die Bauern, während die österreichischen Generäle Böcke schossen, ihren heimathlichen Boden mit einem Muthe vertheidigten, der ihnen gewiß einen Ehrenplatz neben den bewunderten Heroen Griechenlands anweist. Schon zu Waidring ist das Thal enger, rechts und links erheben sich waldige Berge, deren unersteigliche Felsengrate wie Mauerkronen emporragen. Einer derselben ist die Kammerkar, berühmt durch ihre Fernsicht und den Reichthum an Versteinerungen, welche in einem schönen rothen Marmor eingeschlossen sind, der für alle Kirchen der Umgebung das Material zu Säulen und Nischen lieferte. Folgt man dem Bache, so schließen sich die Kalkberge immer enger wie Coulissen einer ungeheuren Bühne, man kann von einem Abhang zum andern leicht mit einem Steine werfen, das Wasser überspringt schäumend die haushohen Felsblöcke, und nur die Straße hat noch spärlichen Raum gefunden. Dort, wo sie am engsten ist, steht ein Kirchlein, nebenan ein alter morscher Thurm, von dem eine zerbröckelnde Mauer den Berg hinaufläuft. Das ist die Thalsperre von Strub. Noch eine kleine Strecke vorwärts, und es erhebt sich eine steinerne Säule, rechts mit dem Adler von Tyrol, links mit dem Wappen von Salzburg. Von hier kann man in einer halben Stunde den Markt Lofer erreichen; auf dem Wege aber, den wir plaudernd zurückgelegt, stürmten die Franzosen unter Lefèbvre und Wrede tagelang vergeblich gegen die Tyroler, deren lautes Jauchzen von den Felsen wiederklang, ein kühner Jubelgesang der Freiheit, welche den wackern Männern auch später nicht blühen sollte. Damals waren die Zeiten des Rheinbundes, der tiefsten Schmach und Erniedrigung, und unsere Bauern dichteten das wilde Trutzlied:

Schämt euch, Baiern und Niederland
Und ihr Deutschlands falsche Bürger,
Man heißt euch nur Menschenwürger,
Euch bleibt ewig eure Schand’!

Man schießt nicht mit sanften Rosen
Auf euch her und die Franzosen,
Denn man nimmt das grobe Blei
Und bleibt wie das Gold getreu.

Es war am 1. November 1805. Gewöhnlich sind die Herbsttage im Hochgebirge weit schöner als der Frühling, wo das Wetter unbeständig wechselt und oft wochenlang der Regen niederströmt. Mit voller Klarheit spannte sich der Himmel von Berg zu Berg, sein tiefes dunkles Blau deutete bereits den Eintritt des Scirocco an, dessen Stürme stets den Schneemantel über die Alpen breiten. Im Passe Strub herrschte reges Leben, durch das Fallgitter des Thurmes lugten zwei Kanonen, etwas rückwärts waren Pferde an den Bäumen angebunden, die Dragoner hielten ihnen entweder in den Körben das Futter vor oder putzten das Riemzeug; weiter rückwärts, wo das Thal etwas breiter wurde, waren lässig einige Bataillone österreichische Infanterie aufgestellt, man mochte etwa 1500 Soldaten zählen. An den Abhängen des Berges lungerten Schützengruppen, theilweise in Hemdärmeln, die Pfeife im Munde oder erzählend von dem und jenem, denn es waren hier durch den Waffenruf Bekannte versammelt, welche sich oft jahrelang nicht gesehen. In die Schützencompagnien wurden damals nur solche Männer aufgenommen, welche beim Scheibenschießen mehrmals im Tage das Schwarze trafen, die anderen dienten als Landsturm, der mit Morgensternen drein schlagen mußte, wenn es zum Handgemenge kam. Eine solche Waffe wurde vor einigen Jahren im Strubpasse gefunden, sie wird jetzt im Museum zu Innsbruck aufbewahrt; es gehörte ein starker Arm dazu, sie zu handhaben. Jetzt ist es mit den sogenannten Tyroler Schützencompagnien anders, da wird jeder, der sich oft nur des hohen Soldes wegen meldet, eingereiht, gleichviel ob er schießen kann oder nicht, und so läuft Alles kunterbunt durcheinander. Die Scheibenschützen sind meistens wohlhabende Leute, welche ihren gutgenährten Leib weder den Strapatzen, noch auch feindlichen Kugeln aussetzen mögen und daher lieber Geld zahlen als ausmarschiren. Minister Bach hat das letzte Flämmchen des Patriotismus ausgelöscht, und so ist es ein Glück, daß unsere Compagnien mit den Schaaren Garibaldi’s nicht in Kampf geriethen, der rothe Tyroler Adler wäre schändlich gerupft worden, wie mir Schützen selbst vor zwei Jahren am Gardasee sagten. Wenden wir uns zu einer bessern ruhmvollen Vergangenheit.

Auf einem Platze, wo man ein gutes Stück Weg übersehen konnte, stand der österreichische General Julien und Hager, der Wirth von Kirchdorf, ein Mann im kräftigsten Alter, der Zeit Anführer der Schützen seines Bezirkes. Er schnallte am Säbelgurt, man sah es ihm an, daß er diesen Schmuck nicht gewohnt war und viel lieber nach Art der Bauern die breite Lederkatze mit den weißen Stickereien über dem Bauche trüge. Plötzlich rannte athemlos ein Schütz des Weges daher und rief: „Was thut’s denn da? Die Oesterreicher sind z’Lofer davong’laufen, und die Boarn rucken an, daß all’s blau ist wie Flachsfeld, wenn’s blüht.“ Einige flüchtige Soldaten bestätigten die Sache, und so galt es, sich für den nächsten Morgen vorzubereiten. Das kaiserliche Militär wurde auf die Straße gestellt, die Schützen vertheilten sich rechts und links zwischen Felsen und Bäumen. Als der Morgen graute, eröffneten zwölf Kanonen das Feuer gegen den Paß, schadeten jedoch den Vertheidigern nichts, denn die Kartätschen erreichten denselben kaum und die Vollkugeln gingen zu hoch und rissen nur Bäume ab. Bald rückten auch die leichten Truppen des Feindes vor, und nun begannen die Schützen das Concert, so daß alle Artilleristen fielen und die Soldaten in der Eile die Kanonen zurückziehen mußten. Da ritt General Deroi daher, um den Paß zu beobachten; der Schütze Empl aus St. Johann erblickte ihn, sein Stutzen krachte aus dem Wald, und jener sank schwer verwundet vom Rosse.

Nun wollten die Baiern nicht mehr vorwärts; da die Schützen bei Tage zu scharf zielten, so beschloß man nach Anbruch der Dämmerung einen Angriff zu versuchen. Die Tyroler merkten das, fällten quer über die Straße Bäume als Verhau, während der Landsturm rechts und links an den Felsenwänden Steinblöcke und Holzprügel in Bereitschaft hielt, um sie auf den Feind zu rollen. Die Baiern stürmten gegen beide Flügel und suchten die Tyroler zu umgehen, denn hoch im Gebirge führt ein Fußsteig in den Rücken des Passes Strub, wo nur ein Mensch nach dem andern fortkommen kann. Hager hatte ihn jedoch vorsichtig durch einen Schwarm Sturmmänner verlegt, so daß die Baiern unvermuthet über die Felsen geschleudert wurden. Aus dem Thale donnerten indeß die Kanonen, krachten die Gewehrsalven der Infanterie, von welchen sich die Stutzenschüsse scharf unterschieden; die Berge entlang rollte der Wiederhall, doch plötzlich schien es, als sollten auch sie mit kämpfen, die Felsentrümmer stürzten nieder und das Geheul aus der Tiefe bewies, daß sie getroffen hatten.

Der Feind floh, ermannte sich jedoch noch einmal zu einem Hauptsturm. Da wendeten Tyrolerschützen und österreichische Soldaten, weil sie keine Steinbatterien mehr hatten, eine List an; sie ließen in verstellter Flucht die Straße bis zum Thurme frei, wo die zwei Kanonen standen, und vertheilten sich auf den Abhängen. Der Feind ging wirklich in die Falle und rückte im Sturmschritt vor.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_332.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)