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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

an gewichtigen Verwendungen für ihn, Napoleon aber hielt den Zwölften fest und gab ihn nicht frei. Unter der Hand erlangte de Lachétardie aber doch, daß der unglückliche Officier, nachdem er etwa acht Monate an die Kette geschmiedet gewesen und Steine gekarrt hatte, von der Kette und der Karre befreit und mit Schreiberei im Bureau des Bagno beschäftigt, auch als Dolmetscher zwischen den französischen Officieren und den zahlreichen deutschen Kriegsgefangenen gebraucht wurde. Aehnliche Vergünstigungen wurden auch seinem Gefährten, dem Unterofficier Kühns, zu Theil. Von dieser Zeit an durften die beiden Preußen auch von Zeit zu Zeit das Haus des Herrn de Lachétardie besuchen und dort einige Stunden verweilen. Es versteht sich von selbst, daß sie dort nicht wie Sträflinge behandelt wurden.


4.

Gewiß erkannte Wedell mit dankbarer Rührung die Mühe an, die sich der ehrliche Lachétardie gab, um ihm sein schweres Loos zu erleichtern, und gewiß würden Viele, die an der Stelle Wedell’s solche Theilnahme gefunden, wenn auch nicht befriedigt, sich doch dadurch getröstet gefühlt haben; die Meisten würden auch den süßern Trost nicht verschmäht haben, den die Augen der schmucken Madame Noirot oft recht ausdrucksvoll verhießen, mit dem Wedell aber wollte es nicht also ausgehen! Er wurde von Tage zu Tage trüber und zorniger in seiner Seele, ja, es kamen Stunden, in denen er sich der Schwäche anklagte, daß er die Erleichterungen seiner Lage angenommen; er verurtheilte sich hart darum, und wirklich, dem Galeerensträfling, der im zerrissenen Linnen an die Kette geschmiedet Steine karrte und hungerte, dem war leichter im Gemüth gewesen, als dem, der warm gekleidet und genährt am Schreibtisch des Gefängnißwärters Dienste thun und so gewissermaßen doch den Helfer der bonapartischen Schergen gegen seine preußischen und deutschen Landsleute machen mußte. Die geistigen Leiden des jungen Officiers waren jetzt größer, als ehedem die leiblichen!

Im Jahre 1810 erfuhr Wedell, daß sein älterer Bruder Carl, sein Spielkamerad von Halle, sein Schulgenosse von Kloster-Bergen bei Magdeburg, der mit ihm gewesen auf Reisen und im Schlachtgetümmel, der ihn treu begleitet von Magdeburg nach Kopenhagen und von dort zur See nach Memel; kurz, daß sein Bruder Carl, der Hauptmann im Leib-Grenadier-Bataillon war, der preußischen Gesandtschaft in Paris attachirt worden sei. Der unglückliche Galeerensträfling wußte, daß jetzt das Aeußerste geschehen werde, um seine Befreiung zu erwirken.

Er kannte die gewaltige Energie und Geschicklichkeit seines Bruders, er durfte hoffen und er hoffte in peinlichster Spannung!

Carl von Wedell war 1806 Adjutant seines Vaters, des Generals von Wedell, der früher in Halle an der Saale, wo seine Söhne geboren wurden, bei dem berühmten Regimente des alten Dessauers (Anhalt-Dessau, später von Thadden, 1806 von Renouard) stand. General von Wedell setzte sich bei Auerstädt an die Spitze dieses alten berühmten Regiments; zum letzten Male als Marsch schmetterten die schrillen Töne des Marsches von Cassano, den der alte Schnurrbart von Dessau „unseres lieben Herrgotts Dragonermarsch“ nannte, den aber die Welt als den „Dessauer Marsch“ kennt, zur Attaque, siegreich drang das Regiment vor, der General von Wedell wurde erschossen, sein Sohn und Adjutant blessirt, aber das glorreiche Regiment des alten Dessauers zog auch vom Auerstädter Schlachtfelde mit Ehren ab; es marschirte in guter Ordnung nach Magdeburg und brachte auch dahin die von ihm gemachten französischen Gefangenen, unter denen sich 18 Officiere befanden. Ein solcher Zug thut wohl neben dem ekeln Wust von Schwäche, Feigheit, Verrath und Erbärmlichkeit in jenen Tagen. Wie Carl von Wedell mit seinem schwerverwundeten Bruder von Magdeburg über Kopenhagen nach Preußen kam, ist bereits erwähnt. Er wurde dem General von Benningsen beigegeben, zeichnete sich sehr aus, erhielt neben preußischen und russischen Orden die Erlaubniß, einer Campagne gegen die Türken beiwohnen zu dürfen.[1]

Dieser Wedell war jetzt in Paris, in einflußreicher Stellung, und sein Bruder auf der Galeere hoffte von Tag zu Tag mit größter Spannung, aber er hoffte vergebens. Carl von Wedell verließ Paris im Jahre 1811, ohne seines Bruders Freilassung erwirkt zu haben. Er hatte es nicht an Bemühungen fehlen lassen, er hatte alle Mittel erschöpft, die sich mit der Ehre vertrugen; zuletzt hatte der Unglückliche aus dem Bagno selbst noch eine Bittschrift eingesendet, in welcher er den französischen Gewalthaber geradezu bat, ihn doch, wie seine Cameraden, wie die andern Elf, erschießen zu lassen. Es war Alles umsonst gewesen.

Napoleon hielt den Zwölften fest.

Als Carl von Wedell Paris verlassen hatte, fiel sein Bruder Heinrich Leopold in eine tiefe Schwermuth, jedoch nur für kurze Zeit, dann raffte er sich auf und trug sein schweres Schicksal mit Ernst, ja, mit einer Würde, die ihn zu einer geachteten Person im Bagno machte. Er hatte die Sträflingsjacke geadelt!

Uebrigens hatte der Bruder seiner nicht vergessen in der Heimath, er setzte dort Alles in Bewegung für den Gefangenen, und Napoleon staunte nicht wenig, als plötzlich sogar vom kaiserlich russischen Hofe Verwendungen für den „Zwölften“ eingingen; doch beharrte er mit dem rücksichtslosen Eigensinn seines Wesens darauf, jede Bitte abzuschlagen, bis er endlich im Jahre 1812, als König Friedrich Wilhelm III. abermals eine neue Verwendung für den unglücklichen Officier eintreten ließ, in dessen Entlassung willigte, weil er damals sich dem Könige gefällig erzeigen wollte, welchen er zum Bundesgenossen gegen Rußland wünschte.

So wurde der „Zwölfte“ frei und er kehrte heim in sein Vaterland, krank und arm, denn sein Vermögen war völlig geopfert und er selbst fast ein Fremdling geworden in der Heimath. Aber er war frei und kehrte heim! das war genug für ihn, sein Auge leuchtete und fest drückte er die Hand auf das pochende Herz. Einen herzlichen Abschied nahm er von dem alten Herrn de Lachétardie und dessen Familie, Madame Noirot selbst war in sehr weicher Stimmung, und ihre Töchter Florine und Dorine schluchzten laut, denn auch ihr Freund, der bärtige Unterofficier Friedrich Kühns, war in gleicher Weise frei geworden und hatte Erlaubniß erhalten, seinen Offizier zu geleiten.

So kamen diese beiden Schill’schen heim; sie zogen durch Frankreich und hörten, wie die Mütter jammerten und die Väter fluchten in den Hütten über den Welteroberer, der ihnen einen Sohn nach dem andern vom Herzen riß und ihre lieben Kinder achtlos in den Tod jagte, um sich einen hohen Kriegsruhm, seinen Brüdern, Vettern und Genossen aber Königskronen, Fürstenthümer und Herrschaften zu gewinnen; sie zogen über den Rhein, die beiden Schill’schen, sie hörten die liebe deutsche Muttersprache wieder klingen und sie sahen von ferne die Wälle von Wesel, wo die Elf verscharrt wurden, das französische Blei im Leibe; da preßte der Zwölfte die Hand auf’s Herz, und seine Augen sprüheten Feuer. Und da sie nun weiter in’s deutsche Land hineinkamen, die zwei alten Schillianer, da wollte ihnen ganz seltsam zu Muth werden, denn sie erkannten bald, daß ein heimlich Rüsten ging von Haus zu Haus, von Hof zu Hof, ein fein geistig und leiblich Bereiten zum großen Kampfe! Da wurden denen, so von der Karre und aus dem Bagno kamen, die Herzen weit, und sie mußten lächeln über die Blindheit des armen Spottkönigs von Westphalen und seiner Janitscharen, daß die so gar nichts sahen von alledem, was sich um sie gestaltete, obwohl ihr böses Gewissen sie fort und fort mit schlimmen Ahnungen erfüllte und sie wohl das Gefühl eines herannahenden Sturmes hatten.

Endlich erreichte Leopold Heinrich von Wedell die preußische Grenze; an seiner Vaterstadt zog er vorüber, denn das alte Halle hatte westphälisch werden müssen, und die fünf spitzen blauen Thürme mußten an officiellen Feiertagen des Spottkönigs Hieronymi Banner tragen.

So sah Wedell seine Heimath wieder, sein König aber ernannte ihn zum Premier-Lieutenant bei der Garde-Normal-Uhlanen-Escadron!

Es versteht sich wohl von selbst, daß der Premier-Lieutenant von Wedell zunächst das Gabain’sche Haus in Berlin aufsuchte, durch dessen französische Verwandte in Cherbourg ihm so viel Liebes zu Theil geworden, denen er endlich auch eigentlich seine Freiheit verdankte, denn ohne den wackern Herrn de Lachétardie würde es ihm kaum möglich geworden sein, die Nachricht von seinem Aufenthalte in Cherbourg nach Deutschland kommen zu lassen und seinen Bruder zu benachrichtigen, denn seine Familie hatte ihn

  1. Carl von Wedell war bei der Schlacht an der Katzbach im Generalstabe Blücher’s, später war er preußischer Bevollmächtigter im russischen Hauptquartier, nach dem Kriege Chef des Generalstabs des Garde-Corps und vielfach zu diplomatischen Sendungen gebraucht. Im Jahre 1840 nahm er als Generallieutenant den Abschied, und der in vielfacher Beziehung höchst ausgezeichnete Mann lebte noch fast zwanzig Jahre lang in stiller Zurückgezogenheit auf seinem Rittergut Ludwigsdorf bei Oels in Schlesien; er starb erst am 29. October 1858.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_335.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)