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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Eine Viertelstunde später saßen Beide in Mathildens kleinem Zimmer im Hotel. Das Mädchen hatte sich, ihrer Umhüllungen entledigt, wie erschöpft in die Polster des Divans fallen lassen und die Hand vor die Augen gedrückt, während Reichardt einen Stuhl herangezogen und sich mit dem unverhüllten Ausdrucke von Theilnahme und stiller Spannung ihr gegenüber niedergelassen hatte.

„Sieh, Max,“ begann sie endlich, ihre Hand sinken lassend und das Auge, in dem sich Innigkeit mit einem Ausdruck von Trübsinn seltsam mischte, zu ihm aufschlagend, „Du bist der Einzige auf meinem ganzen Lebenswege, der mir eine Theilnahme gezeigt hat, die nicht zumeist nur der eigenen Selbstsucht diente, und darum will ich gegen Dich so wahr sein, als ich es nur gegen mich selbst sein könnte. Was mich herüber in die neue Welt gebracht,“ fuhr sie nach einem kurzen Athemzuge fort, „ist eine einfache Geschichte, wenn sie auch nicht zu den gewöhnlichen gehört. Ich war kein Mädchen wie andere; ich mochte nicht still sitzen, nicht nähen und nicht kochen, wollte nichts als leichtfertige Dinge treiben, Schauspiele lesen, singen, musiciren und declamiren, und meine Jugend war durch die Zwangsmaßregeln, die mich zu einem „ordentlichen Frauenzimmer“ machen sollten, so trübe, als sie nur sein konnte. Den einzigen Richtpunkt darin bildete meiner Mutter Bruder, ein alter Junggeselle und leidenschaftlicher Musiker, der Einzige, der mit mir in meinen Neigungen sympathisirte. Er brachte mir die Anfangsgründe der Musik bei, begann trotz meiner Jugend mit mir einen regelrechten Cursus im Singen und ließ mich zwischen seinen vier Wänden meinen Leidenschaften nach Herzenslust nachhängen. Aber er ging, noch ehe ich erwachsen war, zur Verbesserung seiner Lage nach New-York – er war es, den ich dort zu finden gehofft und der mir auch durch einzelne Andeutungen den ersten Gedanken eingegeben, mich aus der beengenden Welt, wie sie mich drüben umgab, hierher zu retten, wo für jedes Talent und jedes redliche Streben sich freier Raum findet. Und ich führte den Gedanken aus, als mein Vater gestorben war, als meine Mutter jeden Augenblick freier Zeit zur nothwendig gewordenen Erwerbung des Lebensunterhaltes forderte. Ich hatte bis dahin, trotz des Widerstrebens meiner Eltern, meine Gesangstudien fortgesetzt, hatte jeden von meinem Toilettengelde ersparten Groschen für Lectionen ausgegeben und daneben mir die nothwendige Kenntniß der italienischen und französischen Sprache verschafft. Ich hoffte sicher, wenn auch nicht als Künstlerin, so doch als Lehrerin meinen Unterhalt zu verdienen, und glaubte daneben Kraft genug zu haben, um auch im schlimmsten Falle selbständig für mich bestehen zu können. Aber ich habe lernen müssen, daß es das größte Verbrechen einer Frau ist, nicht nur Frau, sondern Mensch im Allgemeinen sein zu wollen, zu dessen Bestrafung sich Jeder, Mann wie Frau, gleich berufen fühlt.

„Als ich in New-York einsah, daß unser Beider Weg nicht zusammen gehen könne,“ fuhr sie, einen Moment das Auge senkend, fort, „nahm ich den Vorschlag an, einer sogenannten italienischen Operngesellschaft, welche sich zu einer Tour nach dem Süden rüstete, beizutreten. Derselbe Agent, den Du hast kennen lernen, war es, der mich in unserm Boardinghause hatte singen hören und mich zu dem Director geleitete. Ich sang vor diesem – Arien, die ich längst während meiner Studien durchgeübt, und ward angenommen; das erste Concert fand statt, ich erlangte mit einigen gut einstudirten Piècen einen größern Erfolg, als ihn wahrscheinlich die Gesellschaft bis dahin gehabt, und von diesem Augenblicke an beginnen meine Erfahrungen. Ich hatte es verschmäht, mich unter den Schutz der einzigen verheirateten Frau in unserer Truppe zu begeben, lebte und studirte für mich, und jeder meiner Schritte ward von dem weiblichen Personale mit Achselzucken und halblauten Bemerkungen begleitet. Das verachtete ich und ging mit tauben Ohren meinen Weg weiter. Bald aber begann sich eine eigenthümliche Aenderung in dem Wesen der Männer zu zeigen. Der Director hatte schon nach den ersten Abenden seiner höflichen Amtsmiene eine wunderliche Süßigkeit beigemischt; er schien sich über ein Costüm meiner Wahl begeistern zu können, und bei nöthigen Bemerkungen kaum den Ton rücksichtsvoll genug treffen zu können; ich hatte indessen schon am ersten Tage des Mannes aufrichtige Begeisterung für die Kunst kennen lernen – sie ist eine Art Steckenpferd für ihn, dem er wohl selbst einen Theil des Vermögens, das er besitzt, opfern würde, und schrieb sein Benehmen ebenso dieser Eigenthümlichkeit wie seiner wohl etwas altfranzösischen Erziehung zu. Daneben schien der Agent – der mit uns immer etwas von oben herab verkehrte, wie der Geldmann, an welchem das ganze Heil von uns armen Vagabonden hing – mich plötzlich mit besonderen Augen zu betrachten. Seine anfängliche Protector-Miene wich einer leichten Umgangsweise, welcher sich indessen bald eine Art Vertrautheit in seinem Tone beigesellte, zu welcher ich ihm am wenigsten ein Recht gegeben, die aber auch keinen rechten Halt für eine Zurückweisung bot. Ich regelte mein Benehmen ihm gegenüber noch strenger als bisher, ohne dadurch indessen eine andere Wirkung zu erzielen, als daß er sich eines Tags lächelnd nach mir bog und halblaut sagte: „Sie spielen die Spröde, Miß, und es steht Ihnen allerdings entzückend; ich denke indessen, wir werden uns bald besser verstehen!“ Ich hatte diesmal ein passendes Wort für ihn auf der Zunge, aber er hatte sich weggewandt, ohne meine Entgegnung abzuwarten.

„Das veränderte Benehmen beider Männer gegen mich war schnell genug in dem übrigen Kreise bemerkt worden, und ich konnte in den Mienen und der Begegnungsweise meiner Umgebung nur zu gut wahrnehmen, welche Art von Betrachtungen darüber angestellt wurden; fast schien es mir aber, als sei erst dadurch unser Bariton ermuthigt worden, mir Aufmerksamkeiten zu widmen, die in seiner gebundenen Stellung schon an sich Beleidigungen waren, und trotz der entschiedensten Zurückweisung mich auf Tritt und Schritt mit seiner süßschmachtenden Miene zu verfolgen. Heute aber erst, wo er sich, dem Dufte nach, einmal wieder durch eine Quantität Grog auf die gehörige Gefühlshöhe für die Vorstellung gebracht, ist er soweit gegangen, wie Du es gesehen – mag er indessen jetzt bei Seite bleiben, ich habe noch der beiden Vorigen zu erwähnen. – Es war vorgestern, und wir befanden uns auf der Fahrt von Louisville hierher. Außer den Damen unserer Gesellschaft, welche immer zeitig ihr Bett suchten, war fast kein weiblicher Passagier auf dem Dampfboote, und ich saß Abends noch allein im Damensalon, allerhand Träumereien hingegeben. Da kam der Director an und bat, noch ein Viertelstündchen mit mir plaudern zu dürfen; ich mochte es nicht abschlagen, so gewiß ich auch war, dadurch einen neuen Stoff zu heimlichen Klatschereien zu geben, und mit einem förmlichen, fast ehrerbietigen Wesen trug er sich einen Stuhl in meine Nähe. Es war nichts mehr und nichts weniger als ein Heirathsantrag, welchen er mir machte. Er zog Papiere aus der Tasche, um mir nachzuweisen, daß er nicht an unser jetziges Unternehmen gebunden sei, sondern ein Vermögen besitze, das ihm genug zum Unterhalt abwerfe; setzte aber hinzu, daß er sehnlichst wünsche, an meiner Seite der Kunst dienen zu dürfen, bis ich selbst den Geschmack an ihrer Ausübung verlieren würde. Seine ganze Rede war so würdig und gehalten, jedes Wort athmete so viel Achtung gegen mich, daß ich mich nicht nur nicht beleidigt fühlen konnte, sondern daß ich ihm nicht einmal, obgleich mein Auge auf sein ergrautes Haar fiel, durch eine schroffe Abweisung wehe thun mochte. Ich sagte ihm, daß ich noch nie an einen Schritt, wie er ihn mir vorgeschlagen, gedacht habe, daß er selbst wohl auch besser thue, mich erst längere Zeit kennen zu lernen, und daß wir Beide für die nächste Zeil sein Wort lieber als noch nicht gesprochen ansehen wollten. Er reichte mir, ohne durch eine Miene seine Täuschung zu verrathen, mit einer Verbeugung die Hand. „Mein Wort ist gesprochen, Mademoiselle,“ sagte er, „und es wartet Ihrer Entscheidung, mögen Sie diese nun jetzt oder erst zu späterer Zeit geben!“

„Am nächsten Abend erreichten wir St. Louis, der vorausgegangene Agent erwartete uns, und ich konnte es nicht hindern, daß er die Uebrigen den Auswärtern im Hotel überließ, mit mir aber selbst ging, um mir mein Zimmer zu bezeichnen. „Ich muß einige Worte von Wichtigkeit zu Ihnen reden, Miß, ehe ich wieder abreise, lassen Sie mich fünf Minuten bei Ihnen eintreten,“ sagte er, als wir die Thür erreichten; ehe ich jedoch einen Entschluß fassen konnte, war er bereits im Zimmer und zündete, wie um meine Besorgnisse zu beseitigen, eine helle Gasflamme an. Ich war ihm nothgedrungen gefolgt, er zog, als sei ich bei ihm zum Besuch, und er nicht bei mir, einen Stuhl für mich herbei, und als ich, mit dem festen Entschlusse keine Art von Ungebührlichkeit zu ertragen, mich gesetzt hatte, begann er: „Ich denke, Miß Heyer, daß wir Beide in dem einen Punkte gleicher Meinung sein werden, bei unserer jetzigen Reise den möglichst besten Gewinn herauszuschlagen. Vielleicht wissen Sie aber, daß Mr. Fonsride in Allem, was über den Geschmack hinausgeht, ein pures Kind ist, und daß ich es bin, der das ganze Geschäft macht, während Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_355.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)