Seite:Die Gartenlaube (1861) 356.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

in Ihrer Person allein die künstlerische Anziehungskraft bilden. Jetzt frage ich Sie, warum wir Beide uns für den Nutzen Anderer quälen sollen? Nehmen Sie Ihr Talent und meine Geschäftsroutine von der Truppe, und es bleibt nichts. Ich schlage Ihnen ein Compagnieqeschäft zwischen uns vor, am liebsten für das ganze Leben als Mann und Frau, was Ihnen auch zugleich die sicherste Garantie für meine Ehrlichkeit bietet; in acht Tagen will ich bessere Kräfte als die jetzigen bei einander haben, und in zwei Jahren sollen Sie eine reiche Frau sein. Was sagen Sie zu der Idee, die Ihnen vielleicht unerwartet kommt, die Sie aber jeder Abhängigkeit entreißt und Ihnen den vollen Ertrag Ihrer Begabung zusichert, Miß?“

„Ich sage, daß ich meinen eingegangenen Contract halten werde,“ erwiderte ich ihm kalt. „Im Uebrigen habe ich meinen jetzigen Beruf mehr der Befriedigung, welche mir die Kunst gewährt, als eines hohen Gewinnes wegen ergriffen.“

„Genau, was ich als erste Antwort von Ihnen erwartete,“ lachte er, „indessen, meine theure Miß,“ setzte er ernster hinzu, „wissen Sie nun, warum ich Ihnen näher trat, und ich denke viel zu hoch von Ihrem Verstande, als daß ich nicht die nähere Erwägung meines Vorschlags von Ihnen erwarten sollte. Selbst wenn man nicht nur dem Gewinne allein nachgeht, wird der Kluge nicht seine besten Kräfte opfern, nur um andern Leuten die Taschen zu füllen – namentlich wenn er es in der Hand hat, sich eine eigene sorgenfreie Zukunft zu gründen. In einigen Tagen sehen wir uns wieder,“ setzte er, seinen Platz verlassend, hinzu, „und dann wollen wir den Gegenstand noch einmal aufnehmen.“

„So –“ schloß Mathilde mit einem tiefen Athemzuge ihre Erzählung, „so ist jetzt meine augenblickliche Stellung in dieser Truppe. Die Conflicte, die sich daraus entwickeln müssen, scheinen mir schon heute Abend mit der handgreiflichen Zurückweisung Meier’s begonnen zu haben, und will ich den nachfolgenden aus dem Wege gehen, will ich die Unannehmlichkeiten meiner haltlosen Lage nicht bis zum Boden durchkosten, so muß ich einen raschen, bestimmten Entschluß fassen – und nun, Max, nachdem Du Alles gehört hast,“ fuhr sie fort, ihre Hand auf die seine legend, „sprich Deine Gedanken gegen mich aus – offen, so offen als ich mich Dir gegeben!“

Reichardt nahm des Mädchens Finger leicht zwischen seine beiden Hände, und in seinem Gesichte begann es wie ein klarer, beglückender Entschluß aufzuleuchten. „Als Du in New-York nicht wußtest, wohin allein in der großen Stadt,“ begann er lächelnd, ihr in das große, tiefe Auge blickend, „da führten wir das Geschwister-Verhältniß zwischen uns ein, Mathilde. Wir hätten das, trotz aller obwaltenden Verhältnisse, wohl nicht gethan, wenn unsere Seelen nicht etwas Verwandtes gehabt hätten, das uns zu einander zog. Das Geschwister-Verhältniß erwies sich nicht ganz stichhaltig,“ fuhr er mit einem neuen Lächeln fort, vor welchem sich ihre Wangen leicht färbten, „und heute, wo Du Dich fragst, wohin allein in der weiten Welt, sitzen wir wieder berathend bei einander. Warum ergreifen wir nun nicht ein Auskunftsmittel, das so nahe liegt, Mathilde? Mir sind die besten Hoffnungen auf einen reichen Erwerb durch Unterricht hier gemacht, um Dich wird sich Alles reißen, was nur einer Sängerin bedarf – wirf das wandernde Leben von Dir, gieb mir die Hand, und wir gehen morgen früh zum nächsten Friedensrichter, um uns durch keine Lage dieses Lebens wieder von einander trennen zu lassen!“

Es war ein Ton der vollsten Innigkeit, mit welchem die letzten Worte gesprochen waren, und des jungen Mannes Auge glänzte wie in der vollsten Genugthuung seines Herzens. In Mathildens Gesicht war eine glühende Röthe eingetreten; aber sie schlug den Blick nicht nieder, ihre Hand umfaßte warm die seinige, und plötzlich brachen wie zwei helle Bäche die Thränen aus ihren Augen.

„Mathilde, warum denn weinen?“ rief Reichardt, als überkomme ihn selbst eine plötzliche Rührung; das Mädchen aber erhob sich rasch und neigte sich über ihn, zwei, drei rasche, heiße Küsse brannten auf seinen Lippen, dann, in ausbrechendem Schluchzen, wandte sie sich nach dem andern Ende des Zimmers.

Der junge Mann war aufgesprungen. „Gott, was ist es denn, Mathilde? habe ich denn mehr gesagt, als nur völlig natürlich ist?“ rief er; sie aber wandte ihm das Gesicht langsam wieder zu. „Laß nur, es ist schon vorüber,“ sagte sie, während in ihren Zügen ein Lächeln mit ihrer Erregung zu kämpfen schien.

„Ich danke Dir, Max,“ fuhr sie herantretend und ihre Hand ihm entgegenstreckend, fort. „ich danke Dir aus der Tiefe meines Herzens, denn Du hast mich so glücklich gemacht, wie Du es selbst nicht weißt – aber, Max, es kann ja nun- und nimmermehr sein, was Du aussprachst!“

(Fortsetzung folgt)




Erinnerungen an Ernst Rietschel.

Von Berthold Auerbach.
III.

Ich habe eines Festes erwähnt und muß dies mit einem andern nachtragen. Es war einer jener wunderbaren Momente, daß auch Lessing, der erste Kämpfer für deutsches Wesen gegen die Allmacht des Franzosenthums, seinen Triumpheinzug in Paris gehalten hat. Rietschel’s Lessingstatue wurde auf der großen Kunstausstellung in Paris als eines der bedeutendsten Werke moderner Plastik mit dem großen Preise gekrönt. Rietschel erhielt den großen Orden und drei- oder viertausend Francs als Ehrensold dazu. Die Kunstgenossen und die Freunde Rietschel’s brachten ihm hierauf einen Fackelzug. Ich war bei Rietschel mit andern Freunden, als die Musik erscholl, die Fackeln leuchteten und das Hoch ertönte und er die Anrede der Begrüßenden erwiderte. Er ließ uns lange nicht fort, als Musik und Fackellicht längst verklungen und verschwunden war.

Nach der Ausstellung der Schiller-Goethegruppe fühlte sich die ganze Dresdner Künstlerschaft gedrungen, dem Meister ein Zeichen der Huldigung und der Liebe zu geben. Im „Deutschen Haus“ wurde am 14. Februar 1857 das Fest zu Ehren Rietschels gehalten, mit allerlei Trinksprüchen und Gesängen. Ich hatte die Freude, daß ich den Trinkspruch auf die Schüler und zugleich auf den Meister Rietschel’s, auf Rauch, auszubringen hatte, dessen Büste – ein unvergleichliches Meisterwerk, wie nicht leicht eins zu finden – Rietschel gefertigt hatte und die nun im Festsaale aufgestellt war. Ich führe hier die früher genannten Verse an, die an sich keinen Werth haben, die aber dadurch einen Werth gewinnen mögen, daß sie dem Meister und Freunde so herzliche Freude bereiteten:

(Melodie: Prinz Eugen der edle Ritter etc.)
 
Gotthold Lessing, der edle Ritter,
Kam herauf, wie ein Gewitter,
Das die Lüfte frisch durchkreist
Er thät schlagen die Parucken,
Daß sie mußten niederducken,
Und erneut ward Deutschlands Geist.

Und als die Parucken waren geschlagen,
That er nun den Deutschen sagen,
Was das wahre Leben sei:
Laßt uns frei die Herzen schlagen,
Künden, was sie in sich tragen,
Trotz Professoren und Klerisei.

Und als die Hand des Dramaturgen
Eingestürzt die alten Burgen,
Drin der Ungeschmack genist’t,
Zeigt er auch im schönen Muster,
Daß nicht blos zu stürzen wußt’ er,
Auch zu bau’n was ewig ist.

Und mit der Eisenfaust von Götzen
Thät dann Goethe scharf auswetzen
Jede Schart’ der Fremdelei’n
Stieg hinan die höchsten Höhen,
Von wannen je der Geist gesehen
Zum Himmel hinauf und zur Erde hinein.

Und mit freiem Götterfluge
Schiller folgt dem reinen Zuge,
Ledig wesenlosen Scheins.
Solche Männer im Freundschaftsbunde –
Deutschland schlug die höchste Stunde,
Die zwei größten Herzen in eins.

Doch auch die Größten müssen sterben
Und den Leib der Erd’ vererben,
Der sie lieh’n die höchste Pracht.
Soll’n wir nimmer sie wieder sehen?
Nimmer ihnen vor Augen stehen?
Nein, seid wieder an’s Licht gebracht!

Und Ernst Rietschel ward erlesen,
Neu zu schaffen, die gewesen
Und erreicht unsterblich Sein.
Auf Du Trias deutscher Geister!
Dich erweckt ein neuer Meister,
Ewig rag’ ins Leben hinein!

Seht in Erz das Bild der Besten:
Lessing’s sichern, Goethe’s festen
Gang und Schiller’s Sonnenflug;
Alles hat er neu gestaltet,
Daß es nun und nie veraltet,
Jeden treulich Zug für Zug.

Auf, ihr Geigen und Trompeten,
Ihr Clarinetten und ihr Flöten,
Stimmt in uns’re Worte ein:
Hoch! Der edle tapfre Meister,
Der die Trias deutscher Geister
Uns wiedergab so groß und rein!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_356.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2022)