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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ich muß hier leider noch ein Stück aus der Schmach unsers deutschen Daseins verzeichnen. In jedes Deutschen Leben wirft die Zerfahrenheit und Rechtlosigkeit unserer vaterländischen Zustände einen dunkeln Schatten. Abgesehen davon, daß der äußere Ertrag auch der Schiller-Goethe-Gruppe ein sehr geringer war, wurde dem Meister auch noch das künstlerische und materielle Recht seiner Arbeit verkümmert. Rietschel hatte bald die Gruppe zum Zimmerschmuck in verkleinertem Maßstab ausgearbeitet. Nun aber wurde in Dresden selbst eine Nachbildung derselben gemacht und zugleich in vielen andern Orten, wo man sie in gebrannter Erde und nipptischfähig mit Goldrändern, goldenem Lorbeerkranz und all dergleichen Unzier ausstattete. Gerade die Rietschel’sche Ausdrucksweise – und das ist von allgemeiner Bedeutung für die ganze Kunst – steht auf jener feinen Grenzlinie, wo sich Wirklichkeit und künstlerische Wahrheit eint; irgend ein Zug anders gemacht, vergröbert das Ganze und drückt es in die Trivialität hinunter. Rietschel war in seiner innersten künstlerischen Intention beleidigt durch den verunstaltenden und rechtswidrigen Diebstahl, und wie nun einmal die Begriffe von geistigem Eigenthum noch so verworren sind in Deutschland, es gab sogar Manche, die, auf nationales Besitzthum hinweisend, die Abwehr für unangemessen hielten.

Rietschel klagte bei Gericht und hatte viel Scheererei von dieser Sache, denn im processualischen Formalismus stehen wir den Engländern nicht nach, bei denen aber ein Künstler, der ein solches Werk geschaffen, für Lebenszeit ein sorgenfreies Dasein führen könnte. Rietschel mußte ein Zeugniß beibringen, daß er der Bildner der Schiller-Goethe-Gruppe sei. Der Nachbildner wurde dann allerdings verurtheilt, aber noch oft, wenn wir über die Straße gingen, sahen wir in den Schaufenstern fremde verunstaltete Nachbildungen. Sollte der Künstler gegen jedes Einzelne Klage erheben? Er ließ die Sache auf sich beruhen, und Tausende kauften die fratzenhaften Nachbildungen, und Niemand dachte daran, daß man den Künstler verunehren und bestehlen helfe. Künftige Zeiten werden es hoffentlich kaum mehr für möglich halten, daß man so mit einem Meister und einem Werke verfuhr, die die Ehre des deutschen Namens verkörperten.

Rietschel stand so hoch als Meister, und wahrhaft andachterweckend war es, wie er sein Verhältniß zu seinem Meister Rauch festhielt. Es ist ein beneidenswerthes Geschick, das dem bildenden Künstler gegeben ist, einen lebendigen, unmittelbaren Meister zu ehren und ihm nachzueifern. Es war ein herzerhebender Anblick, Rietschel und Rauch nebeneinander hergehen zu sehen; die beiden großen Gestalten, anzuschauen, als ob sie sich selbst aufgebaut hätten. Rauch in mehr selbstbewußter, getragener Haltung, majestätisch und straff, Rietschel von gleicher Größe, aber in Haltung und Ausdruck sich mehr in sich zusammennehmend. Ich brachte den letzten Abend, den Rauch noch in Gesellschaft verlebte, mit ihm bei Rietschel zu. Der Blick, mit dem Meister und Schüler – der nun selbst ein so hoher Meister geworden – einander ansahen, die Art, wie sie einander zuhörten, zunickten, es steht in der Erinnerung als classisches, rein schönes Bild der Männerfreundschaft. An jenem Abend war Rauch zum letzten Male in Gesellschaft und trank das letzte Glas Wein. Der andere Tag fand ihn auf dem Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erhob. Es läßt sich denken, wie nahe Rietschel der Tod des Meisters ging, und er fand eine besondere Beruhigung darin, daß er die Büste des Meisters noch geschaffen hatte, die er alsbald, wenn ich mich recht erinnere, für Antwerpen in Marmor ausführte.

Mit vielem Humor erzählte Rietschel oft, wie es ihm in seiner ersten Dresdner Zeit ergangen war, als er in die Lehre zum Bildhauer Pettrich kam, der ihm wenig lehren konnte. Rietschel unternahm es auf eigene Faust einen Auftrag auszuführen und zum ersten Male ein kolossales Werk, eine Neptunstatue für Nordhausen, zu modelliren. Er hatte sie vollständig aufgebaut, da merkte er zu seinem Schreck, daß sich die Thongestalt beugte, bald da, bald dort; er brachte Stützen von außen an, aber eines Tages fiel das ganze Modell zusammen. Er hatte nicht gewußt, daß man das Modell um eine schwere, feste Eisenstange herum aufbauen muß. Oft erzählte er auch, wie es ihm erging, da er im Atelier Rauchs das erste Relief machte. Es war zu sehr ausgeladen, und der Meister ging oft still an ihm vorüber und betrachtete die Arbeit; dann blieb er einmal stehen, nahm dem Schüler die Spachtel aus der Hand, als wollte er corrigiren, schnitt aber das ganze Relief vom Bret ab, so daß es sich langsam vorn überbeugte und zur Erde fiel. Zu seiner und seiner Freunde größter Erheiterung ahmte er oft nach, wie es war, als das Relief eine so schöne Verbeugung machte und endlich vornüber fiel. Das Verhältniß zu Rauch war ein innig beglücktes. Rietschel erzählte gern davon, wie er den Meister nach München begleitet, ihm bei der Arbeit und namentlich auch in allen Schreibgeschäften und Rechnungen half. Auch davon erzählte er gern, wie er mit dem Meister bei Goethe war, um dessen Büste zu fertigen. „Als mich Goethe zuerst ansah, da war’s, als ob dessen ganzes Gesicht lauter Auge wäre, solch ein Auge sieht man nicht mehr auf der Welt.“ Als ich Rietschel einmal sagte, wie es zu den traurigsten Verlusten durch den Tod gehört, daß es kein Mittel giebt, um die Stimme, die Tonlage eines Abgeschiedenen zu vergegenwärtigen, und so auch ein ewiger Verlust bleibe, daß wir nicht wissen, in welchem Tone Goethe sprach – da versuchte Rietschel den vollen Brustton Goethe’s nachzuahmen und er behauptete, daß er das gut verstehe. Rietschel hatte, bevor seine Krankheit ihn hinderte, selbst einen schönen klangreichen Brustton und er liebte die Musik, besonders aber den Gesang.

Wieder, als Rietschel den Auftrag zum Lutherdenkmal erhielt, war er krank. Er las viele historische Schriften aus der Reformationszeit. Er machte sich vertraut mit dem Wesen der darzustellenden Charaktere und der ganzen Zeit-Atmosphäre. Eines Abends war ich mit Bendemann bei Rietschel, und das oft behandelte Thema kam wieder zur heißen Diskussion. Rietschel wollte historisch getreu, aber auch weil es sich künstlerisch bester ausnimmt, Luther im Mönchsgewande darstellen, zumal da ja auch Luther damals, als er das welthistorische Wort: „Hier steh’ ich, ich kann nicht anders“ – sprach, es in der That im Augustinergewande aussprach. Der Chorrock mit den Orgelpfeifen, wie Rietschel die langen Falten nannte, waren ihm zuwider; er gäbe kein Leben. Wir hielten ihm natürlich entgegen, daß Luther nun einmal so dargestellt werden müsse, wie er geschichtlich in der Vorstellung der Menschen steht, wenn er auch den Chorrock erst später anlegte; daß es sich beim Monumente, das die ganze Persönlichkeit zusammenfaßt, nicht um deren momentane Erscheinung handle, daß nicht nur der protestirende Luther, sondern der protestantische zu geben sei, nicht nur der höchste Moment der bewegenden Opposition, sondern auch die zur Ruhe gekommene geschichtliche That in der neuen Position. – Allem diesem wußte Rietschel scharfe Gründe mit tiefer Beweisführung entgegenzustellen. Ueberhaupt war er bei aller Milde und Zartheit seines Wesens doch auch zu heftigem Gegenkampfe geneigt. Er liebte und verwarf entschieden; er hatte nichts von der schwächlichen Vermittlungssucht, die es mit nichts und mit Niemand verderben und es Allen recht machen will, und ich glaube, daß dies durchaus nicht im Widerspruch steht mit der Milde und innigen Güte des Wesens. Wer wahrhaft liebt, voll und ganz, den muß naturnothwendig das Widersprechende abstoßen. Wer die Gesundheit und die Geradheit will, muß alle noch so schön aufgeputzte Corruption und alle noch so gefälligen Beschönigungen streng und ganz verwerfen. Wer den Eifer hat, etwas, was in ihm steht, ins Werk zu setzen und zur Geltung im Leben zu bringen, kann nicht auch das Entgegenstehende gelten lassen. Das schließt natürlich die Menschenfreundlichkeit gegen die Träger der Gegensätze nicht aus; aber die Wahrung der eigenen Persönlichkeit und ihrer unerschütterlichen Überzeugungskraft ist ebenso Recht als Pflicht. Es giebt ein Letztes in der künstlerischen und ethischen Persönlichkeit, das nicht mehr zur Discussion gestellt, nicht mehr mit Beweisführung gestützt werden mag. Hier stehe ich, ich kann nicht anders – so ruft jede überzeugungsfeste Persönlichkeit zuletzt auf einem gewissen äußersten Punkte.

Die geballte Faust, die Luther in zusammengedrängter Kraft auf die Bibel stemmt und damit jenes Urwort plastisch sichtbar ausspricht, das ist, nicht nur im Geiste Luthers, sondern auch im eingeborenen Geiste des Künstlers ebenmäßig nothwendig. Weichlichere, fügsamere Naturen möchten wohl hier die aufgelöste Hand wünschen, ein sanftmüthiges Hinweisen mit dem Zeigefinger auf die Bibel – aber Rietschel faßte geschichtlich und naturnothwendig die ganze Gestalt, als die aus innerster Glaubenszuversicht kämpfende und siegesgewisse; das Hin und Wider ist vorbei, es gilt nunmehr den ganzen kriegerisch geschlossenen Einsatz der Persönlichkeit, der der letzte und höchste Beweis innerer, unbeugsamer Ueberzeugung ist.

Rietschel war überaus glücklich, als er endlich eine Wohnung in dem Abendroth’schen Hause auf der Brühlschen Terrasse fand.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_358.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)