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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Er konnte den größten Theil des Weges nach seinem Atelier geschützt vor dem Luftzuge am Wasser zurücklegen. Wir hatten den letzten Winter von 1858 auf 59 eine feste, wöchentliche, abendliche Familien-Zusammenkunft mit Rietschel und einer andern uns beiderseits nahebefreundeten Familie. Rietschel war glücklich, wenn er bewirthen konnte, nur war er empfindlich, wenn man ihn mit der Billigkeit seiner Cigarren neckte, und er ließ sich endlich dazu herbei, für die Freunde eine bessere Sorte anzuschaffen.

Rietschel hatte es doch nicht unterlassen können, Luther im Mönchsgewande zu skizziren und daneben im Chorrock. Er stellte die Skizzen einigen wenigen Freunden vor. Er hatte es aber auch vermocht, der Gestalt im Chorrock derart Bewegung und künstlerischen Fluß zu geben, daß sich Alles für die Fassung entschied, in der wir jetzt das Werk sehen, das unstreitig zu dem Größten gehört, was die deutsche Kunst geschaffen.

Eines Umstandes muß ich erwähnen, weil er ein Beitrag zur Charakteristik unserer allgemeinen und besondern Verhältnisse in Deutschland ist. Rietschel hatte vom Luther-Comité in Worms den Auftrag zum Denkmal erhalten. Nun aber klagte ein eingeborener Künstler aus dem engern hessendarmstädtischen Vaterlande, daß es unrecht wäre, Rietschel die Arbeit zu übertragen; es müsse eine Concurrenz ausgeschrieben werden. Ich darf hier anfügen, daß ich, hiedurch veranlaßt, einen Aufsatz „Thesen zur Frage der Concurrenz in Dingen der bildenden Kunst“ in die Allgemeine Zeitung schrieb. Ich brachte Rietschel den gedruckten Aufsatz nach seinem Atelier, wo eben seine Frau ihn abholte. Wir gingen miteinander – es war Abend – nach einer Bierwirthschaft am Ufer der Elbe; dort las Rietschel den Aufsatz, schalt, wie immer, daß ich zu viel aus ihm mache, neckte mich, daß ich da sehr ketzerische aristokratische Ansichten bekunde, und hoffte doch auch Gutes davon.

Die hessendarmstädtische Regierung hatte sich vorbehalten, erst nach Ansicht des Rietschel’schen Entwurfs ihre Bestätigung zu geben. Rietschel mußte nach Darmstadt reisen. Es bangte ihm davor. Sollte es noch möglich sein, daß er, der sich so ganz in die Sache versenkt, abgewiesen würde? Oder gar, daß man ihm von außen her allerlei private Liebhabereien aufnöthigen wollte? Der alte Staatsrath I., der, wie ich glaube, damals Consistorialpräsident in Darmstadt war, gehörte zu den entscheidendsten und einflußreichsten Persönlichkeiten in dieser Frage. Rietschel wurde nun in Darmstadt trotz alles Widerstrebens veranlaßt, als er I. besuchte, seine sämmtlichen Orden anzulegen. Und nun – es war zum höchsten Ergötzen, wie das Rietschel erzählte – von einer Frage, ob er die Ausführung des Denkmals erhalten werde, war durchaus keine Rede mehr, der alte I. war äußerst zuvorkommend, begleitete Rietschel bis auf die Straße, machte sogar den Kutschenschlag auf und hob ihn hinein.

Ein großer Kampf war Rietschel noch beschieden, während er am Luther arbeitete. Er erhielt den Ruf als Director der Akademie nach Berlin. Wir verhandelten mit einander darüber sehr viel, und als er sich endlich entscheiden sollte, schrieb er mir – der Brief wird sich noch finden, ich war damals den Sommer über in Schandau – und ich antwortete ihm, daß es etwas gebe, das ihn unbedingt nöthige, den Ruf anzunehmen: das Lutherdenkmal rufe ihn nach Berlin. Noch war nur eine geringe Summe dafür zusammengebracht, und der Staat und die Hauptstadt des Protestantismus sei alsdann verpflichtet, das Denkmal zu Ende zu führen. Das half mit zur Entscheidung. Rietschel reiste nach Berlin, kam aber doch wieder ohne feste Verpflichtung. Er fürchtete zu sehr die Bureau-Arbeiten der Direction, die Nöthigung viel zu sprechen, und überhaupt glaubte er, daß er nicht der Mann dazu sei, zumal bei seiner angegriffenen Gesundheit, dem zu entsprechen, was man von ihm erwarten mußte. Die reine und strenge Gewissenhaftigkeit bewährte Rietschel im Leben, wie in seinem Schaffen, und es kann nicht anders sein, als daß es sich in beiden zugleich bewährt. Zudem hatte man Rietschel ein kaum auskömmliches Gehalt geboten, wenigstens war es im Verhältniß zu seiner Dresdner Stellung nach dieser Seite hin durchaus nicht verlockend, und jetzt gab sich die sächsische Regierung alle Mühe, das eingeborene Landeskind, das die Zierde des Landes war, festzuhalten, und Rietschel hing mit inniger Neigung an seinem Heimathlande und an den altgewohnten Verhältnissen.

Es war im Hochsommer 1859, als ich Rietschel einen ganzen Tag für mich hatte. Er kam am Mittag zu mir nach Schandau, blieb über Nacht und athmete mit wahrer Wonne die milde Luft dort im Elbthale ein. Wir saßen noch lange in seinem Zimmer am Fenster und schauten hinaus auf den mondbeglänzten Strom und die dunkeln Berge. Am andern Morgen kam Rietschel ganz früh zu mir, um in dem Berggarten an meiner Wohnung den Kaffee zu trinken. Wir saßen dort unter dem Kastanienbaum, bis die heiße Mittagssonne uns vertrieb. Dann gingen wir in das Kirnitzschthal in den Wald, und hunderterlei, ach leider Vergessenes, was aber doch wie ein stilles ewiges Leben in der Seele ruht, sprachen wir da mit einander. Am Nachmittag war Rietschel voll Heiterkeit, da wir allesammt mit dem anwesenden Dingelstedt und dessen Frau uns an Speise und Trank erlabten. Ich habe Rietschel selten so von Grund des Herzens lachen sehen, als damals, da bei Tische die beiden Frauen als geborene Oesterreicherinnen einander im Erzählen heimathlichen Scherzes überboten. Dann ging’s wieder gemächlich hinaus in’s schattige Thal, bis es endlich Zeit war, den Abendzug nach Dresden zu erreichen. Wir setzten über den Strom. Wir saßen noch eine Weile auf dem Bahnhofe, still hinausschauend nach den Schrammensteinen, die jetzt von der untergehenden Sonne erglühten, die hinter dem Liliensteine verschwand. Dann stieg Rietschel ein; wir hätten ihn gern in lauter Herzlichkeit getragen, so wohl und glücklich machte die Anwesenheit dieses herrlichen Menschen.

Ich kam zum Schillerfeste von meinem Landaufenthalte nach der Stadt. – Es waren wunderbar sonnige Tage, jene Tage vom 9. bis 11. November. Ich war viel bei Rietschel, der leider an keiner der öffentlichen Festlichkeiten Theil nehmen konnte. Ich ging am Mittag des 9. lange mit ihm spazieren, durch die Stadt und über die Terrasse. Ueberall wurden Kränze gewunden, Fahnen getragen, und alle Menschen, kein Stand ausgenommen, waren von dem einen großen Gedanken des Festes bewegt. Ich war erhoben, daß es uns Deutschen und uns Allen, deren Gedankenarbeit uns so oft von dem Gemeindebewußtsein ausschließt, vergönnt war, einmal ein großes, nationales Culturfest mitzufeiern. – Es war in der Welt eine Stimmung, wie zu den olympischen Festen, aber größer und weiter, wie es eben die neue Welt mit sich bringt. Rietschel lächelte zu solchen hochgehenden Betrachtungen und fragte mich: „Sag’ ehrlich, glaubst Du nicht, daß mehr Politik als Schillerverehrung dahinter steckt?“ – Ich erklärte ihm, wenn man das Bewußtsein, daß man einmal etwas Einiges habe, um das man sich sammle, den Gedanken, daß ein Mann und ein Name den edelsten Inhalt unsers Lebens ausdrücke, wenn man das Alles Politik nennen wolle: so sei dies allerdings dabei. Aber in der Einheit der Empfindung des gesammten Lebens liegt eben die Politik mit eingeschlossen. Unser deutsches innerstes Leben ist ein nicht blos politisches, sondern wir wollen das politische Leben in Einheit und Freiheit um der Bildung und Menschenhoheit willen. Rietschel gestand mir, daß er eigentlich blos gefragt habe, um sich bekehren zu lassen, und war nun selbst froh und glückselig.

Ich las Rietschel am Nachmittag die Ansprache vor, die ich im Auftrage des Comités als erste Einleitung zum Festbanket halten sollte. Mehrere Freunde waren dagegen, daß ich diese Worte geradezu lese. Ich war aber der Meinung, daß ich es nicht darauf ankommen lassen dürfe, einen so hohen, nie wiederkehrenden Moment einer unmittelbaren Eingebung zu überlassen. Denn nichts ist peinlicher, als beim Niedersetzen sich sagen zu müssen: du hast nicht gesagt, was du sagen wolltest, hast es in anderer Weise oder gar ganz Anderes gesagt. Ein Vorbereitetes aber auswendig zu lernen, und sich den Schein zu geben, als ob es aus dem Momente entsprungen, erschien mir unwahr und unwürdig. Rietschel gab mir, im Widerspruche mit Anderen, Recht zu diesem Verfahren, und ich las die gesetzten Worte um so beruhigter. Auch am andern Tage war ich wieder bei Rietschel. Er hielt sich still, wie ein Einsiedler, während draußen die hellste Festfreude jubelnd durch alle Straßen und alle Herzen zog. – Das Goethefest 1849 hatte Rietschel noch mit feiern können. Er hatte damals im Harmoniesaale die sitzende Goethe-Statue drapirt, die so sehr gefiel, daß er sie in kleinerem Maßstabe zum Zimmerschmuck ausführen mußte. Das Schillerfest konnte der Bildner Lessing’s, Goethe’s und Schiller’s nicht in der Gemeinschaft mitfeiern.

Nochmals im vorigen Sommer brachte ich einen ganzen Tag mit Rietschel zu. Wir saßen wieder miteinander im kühlen Waldthale. Rietschel war unruhig und besorgt, zog seinen Paletot bald an bald aus und besonders, als zwei Finken hüben und drüben am Berge einander immer zu schmetterndem Gesange aufreizten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_359.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)