Seite:Die Gartenlaube (1861) 375.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


in jenen Tagen kennen gelernt, mit denen sie ihre Jugend als abgeschlossen ansah.

Im Jahr 1843 verlobte und verheirathete sie sich mit Dr. Wildermuth, Professor der Mathematik und der französischen Sprache am Gymnasium in Tübingen; die Verlobung wurde im Hause ihrer Freundin Auguste gefeiert, deren Mann damals Geistlicher in Tübingen war. Sie that den Schritt in ernster Freudigkeit und hat diese Führung bis auf die heutige Stunde als eine selige und segensreiche erkennen dürfen.

Es war im zweiten Jahr ihrer Ehe, als sie, in Folge eines Scherzes, für ihren Mann und Bruder das erste ihrer schwäbischen Bilder, „eine alte Jungfer“, schrieb, das eine Gestalt aus ihrer Jugendheimath darstellt. Ihr Bruder sandte den Versuch an’s Morgenblatt; die freundliche Aufnahme, die er dort fand, ermuthigte sie zu weitern, und so, gegangen, getrieben, gezogen und gelockt, ist sie allmählich weiter und weiter zu den, einst gefürchteten Loose einer Schriftstellerin gekommen. „Bilder und Geschichten aus dem schwäbischen Leben“, „Aus dem Frauenleben“, „Auguste“ folgten binnen wenigen Jahren hintereinander und erwarben ihr reiche Anerkennung und Liebe. Ottilie Wildermuth kennt das weibliche Herz wie keine andere Schriftstellerin und schildert es wahr, einfach und schön. Ihre „Mädchenbriefe“ sind das Vollendetste, was man in dieser Beziehung lesen kann.

Drei blühende Kinder, zwei Mädchen und ein Knabe, erwachsen um sie her; seit des Vaters Tod hat die geliebte Mutter ihr Haus zur Heimath erwählt und steht ihr bei mit Rath und That, wenn die Anforderungen des Lebens und der Pflichten gar zu mannigfaltig werden wollen.

So hat ihr Leben keine interessanten Begebenheiten, keine großartigen Wechsel aufzuweisen, – dem guten alten Neckar, der schon an ihrer Wiege vorüberrauschte, ist sie getreu geblieben und hofft einst an seinen Ufern eine friedliche Ruhestätte zu finden.




Eine Erinnerung an Friedrich den Großen.

Zwischen vier und fünf Uhr Morgens am 29. August 1753 standen vor der kleinen, nach dem sogenannten Lustgarten führenden Treppe des königlichen Schlosses zu Potsdam eine glänzende Generalität und zahlreiche Suite versammelt.

Die Herren, allesammt zu Fuß, bildeten zwei auffällig von einander geschiedene Gruppen. Die eine hiervon, nur aus wenigen Personen bestehend, hatte die Stellung unmittelbar unter dem Ausgang zu der Treppe eingenommen, die andere, weit zahlreichere reihte sich, einige Schritte mehr zurück, in einem weiten und unregelmäßigen Halbkreis um dieselbe. Weiter abwärts auf dem freien und sandigen Platze hielten nach links, vor einem dort aufgerittenen Zuge der Garde du Corps, ein königlicher Stallmeister und drei oder vier Reitknechte in der königlichen Livrée mit dem Leibpferde des Königs, einem Schimmel, und mehreren Handpferden, nach rechts die Diener der Herren und Ordonnanzen von allen Waffen, diese letzteren, die einen wie die anderen, sämmtlich ebenfalls abgesessen und die Pferde ihrer Herrschaften und Officiere, wie ihre eigenen am Zügel.

Der Morgen versprach einen schönen, wenn auch heißen Tag, doch war die Sonne noch nicht hoch genug gestiegen, um den hier Versammelten lästig zu fallen. Im Uebrigen war der Platz gegen unberufene Neugierige an seinen sämmtlichen Ausgängen durch Doppelposten abgesperrt, eine Vorsicht, die, nebenbei bemerkt, ziemlich überflüssig erschien, da Jedermann in Potsdam die Friedrich von seinem gestrengen Herrn Vater vererbte Eigenheit kannte, nicht gern, und zum allerwenigsten bei seinen militairischen Vornahmen, müßige Gaffer um sich zu sehen, die Loyalität der Bewohner dieser guten Stadt aber damals noch viel zu groß war, um anders als höchstens in Gedanken etwa dem einmal in irgend einer Sache ausgesprochenen Wunsch und Willen des Königs zuwiderzuhandeln.

Unter den vor dem Ausgang zu den königlichen Gemächern versammelten Generälen machte sich in der kleinen, der Treppe zunächst befindlichen Gruppe auf den ersten Blick die bei sechs Fuß hohe, imposante Gestalt eines Officiers in der Uniform eines General-Lieutenants von der Infanterie bemerkbar. Dieser Mann mit seiner straffen, geraden Haltung, der breiten Brust und dem athletischen Gliederbau erinnerte beinahe unwillkürlich an die weltberühmte Potsdamer Riesengarde König Friedrich Wilhelm’s I., als deren vollgültiger Repräsentant er betrachtet werden durfte und welcher er in der That ursprünglich auch angehört hatte.

Selbst abgesehen von seinen physischen Vorzügen wäre übrigens dieser General immer eine bemerkenswerthe Erscheinung geblieben. Sein Antlitz trug den unverkennbaren Stempel einer nicht geringen geistigen Begabung. Muth und felsenfeste Kühnheit, gepaart mit kluger, berechnender Ueberlegung, standen auf seiner hohen Stirn geschrieben und leuchteten aus seinen blitzenden Augensternen wieder. Der scharfgeschnittene Mund, das eisenfeste Kinn, das kühngeschwungene Oval seines vielleicht nur ein wenig zu vollen Gesichts, Alles stand hierzu in Einklang und verstärkte den Eindruck des Außergewöhnlichen bei diesem Manne, einen Eindruck, der selbst durch den Stolz und Hochmuth in seinen Zügen eher noch gehoben als vermindert wurde.

Eine zweite Persönlichkeit neben dem General machte sich zunächst wohl nur durch den Contrast mit demselben, wie überhaupt zu der ganzen hier vereinigten Versammlung, bemerklich. Auf den ersten Blick trat dieser Contrast zwar nur in der fremdartigen Rationalität dieses etwa 36 Jahre zählenden, hoch und schlank gewachsenen Mannes hervor, denn es hätte bei demselben allerdings des ungarischen Nationalcostüms in Blau und Silber kaum bedurft, um ihn als Magyaren zu kennzeichnen. In Wirklichkeit war es jedoch weder seine fremdartige Kleidung, noch der nicht minder fremdartige Schnitt seines Gesichts mit den unstät blickenden dunklen Augen und dem bandartig über die untere Gesichtshälfte gelegten schwarzen Schnurrbart, was ihn so sehr von seiner Umgebung abstechend machte. Es lag dieser Unterschied vielmehr in seinem ganzen Auftreten, in dieser ewigen Unruhe seines Wesens, in der offenbar mit Absicht hervorgekehrten und darum übertriebenen Lebhaftigkeit seiner Bewegungen begründet. Erschienen der General an seiner Seite und die meisten der Umstehenden in dem ruhigen, selbstbewußten Ernst ihres Auftretens als Männer, die ihren Werth fühlten und nöthigenfalls auch geltend zu machen wußten, so trat das Haschen nach derselben Anerkennung bei diesem Fremden zu grell hervor, um nicht gerade die entgegengesetzte Wirkung zu erzeugen. Es blieb jenen so fest auf ihren Füßen stehenden Gestalten gegenüber beinahe unmöglich, diesen leicht beweglichen, windigen Patron für mehr als einen Partisan von zweifelhaftem Muthe und Geschick, oder noch bestimmter ausgedrückt, als einen der militairischen Abenteurer zu beurtheilen, wie sie damals, zu dem Zeitpunkt der ersten Errichtung stehender leichter Truppen bei den verschiedenen europäischen Heeren, von Polen und Ungarn aus zu Dutzenden in alle Welt hinauszogen, um als Führer solcher leichten Geschwader eine Verwendung zu suchen.

Die Gönnerschaft, welche der vorbeschriebene General gelegentlich gegen diesen seinen Begleiter zu erkennen gab, wie umgekehrt dessen unbedingte Unterthänigkeit im Verkehr mit demselben, trugen freilich noch dazu bei, diesen letzten Eindruck fast zur Gewißheit zu steigern. Außerdem aber war auch das Benehmen aller anderen Anwesenden gegen den Fremden völlig geeignet, die tiefe Kluft zwischen demselben und ihnen zu erkennen zu geben. Der Mann besaß augenscheinlich keinen weiteren Anhalt als jenen General in diesen Kreisen, selbst die übrigen Personen in der Gruppe um den Letzteren gaben sich kaum die Mühe, die Bemerkungen, welche derselbe hin und wieder an sie zu richten wagte, anders als durch ein kurzes einsylbiges Wort oder eine stolze, abweisende Zurückhaltung zu erwidern.

Auch in der zweiten, dieser gegenüber befindlichen Gruppe befand sich übrigens ein Mann, und merkwürdigerweise ebenfalls ein Husar, inmitten seiner Umgebung in einer ähnlichen Isolirtheit. Nur durfte die Sache bei diesem fast noch schlimmer angesehen werden, denn er stand ganz allein, und scheu schien Jedermann selbst einer zufälligen Begegnung mit ihm auszuweichen.

Dennoch aber würde ein scharfer Beobachter bald einen wesentlichen Unterschied in dem Verhalten der hier versammelten Generäle und Officiere gegen diesen und jenen anderen Husaren herausgefunden


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_375.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)