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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ihre Pläne gesehen. Aber nur die bodenloseste Gemeinheit kann unter solchen Verhältnissen zu Werke gehen, wie Sie es gethan. Gegen Sie mein Verhältniß zu Miß Heyer zu rechtfertigen, halte ich völlig unter meiner Würde. Was die Lady betrifft, deren Ehre zu vertreten ich kaum noch ein Recht habe, so wird Ihnen morgen früh die gebührende Antwort werden.“

„Halt an!“ rief der Amerikaner mit funkelnden Augen, als Reichardt Miene machte, seine Stellung zu verlassen. „Sie glauben mir alles Das so ohne Weiteres sagen zu dürfen? Sie fürchten sich, mir das Wort „Lügner“ in’s Gesicht zu werfen und wollen auf Umwegen davon schlüpfen –“

„Bleiben Sie mir vom Leibe, Sir!“ unterbrach ihn Reichardt, nach dem Handgelenk seines Gegners fassend, welcher die Faust dicht vor seinem Gesichte erhoben. Dieser rang einen Moment mit verbissenen Lippen, um seine Hand zu befreien, und nahm dann einen kurzen Ansatz zum Stoße in des Deutschen Gesicht. Eine kräftige Armbewegung des Letzteren warf den Amerikaner zwei Schritte zurück. Zugleich aber fuhren Reichardt’s Hände mechanisch eine Waffe suchend nach dem Tische – er sah den Ausdruck der vollen Wuth in seines Gegners Gesichte, sah diesen mit hochgezogenen Schultern eine Boxer-Stellung annehmen und wußte, daß er dessen Kräften in keiner Weise gewachsen war. Seine Finger fühlten den Griff eines großen Messers. „Bleiben Sie mir vom Leibe, oder es geht nicht gut!“ rief er, als er den Agenten lauernd einen halben Schritt gegen sich thun sah, aber im nächsten Momente schon führte dieser mit vorgehaltenem linken Arme einen Faustschlag gegen den Deutschen – ein kurzer Aufschrei erfolgte, der Angreifer taumelte zurück und brach in sich zusammen; in Reichardt’s Hand aber blitzte das große Vorlegemesser, das er erfaßt und zu seinem Schutze vorgestreckt hatte.

Eine volle Minute lang herrschte Todtenstille in dem düster erleuchteten Raume – nur aus dem „Bar-Room“ herüber klangen lärmende Stimmen und lautes Gelächter – Reichardt stand bewegungslos wie eine Statue, auf den am Boden liegenden Mann blickend. Plötzlich aber schien das volle Bewußtsein dessen, was geschehen, über ihn zu kommen. Sein Gesicht wurde leichenbleich, und das Messer entfiel seiner Hand. „Er hat es selbst gethan, er selbst!“ preßte es sich in heiserem Tone aus seiner Brust. Da fühlte er seine Schulter berührt und fuhr in einem Schrecken, der alle seine Glieder durchzuckte, auf. „Machen Sie, daß Sie fortkommen, Sir,“ hörte er, „ich habe gesehen, wie Alles gekommen ist, aber des schwarzen Mannes Zeugniß gilt so viel als nichts, und Sie werden als Fremder einen bösen Stand haben!“

„Ich hab’s nicht gethan – aber fort, fort, es ist wahr!“ rief der Deutsche, wie von Entsetzen gepackt einen neuen Blick auf den regungslosen Körper werfend. „Helft mir, Bob, helft mir, ich zahle’s Euch gut!“ wandte er sich dann hastig an den Neger. „Schließt die Thür hier und holt meinen Koffer und Violinkasten von Nr. 5. Es ist ein kurzer Weg, um das Gepäck bis zum Flusse zu schaffen, und ich finde sicher ein Boot, das mich mit fortnimmt!“ Er riß sein Portemonnaie aus der Tasche und griff von den beiden Zehndollars-Goldstücken, welche er neben einigem Papiergelde noch besaß, eins heraus und reichte es mit fliegender Hand dem Schwarzen.

„Es wäre schon recht, Sir,“ erwiderte dieser ängstlich mit der Hand zuckend, als dürfe er das Gebotene nicht berühren, „ich kann aber nicht so weit vom Hause weg, ohne vermißt zu werden, und es muß doch auch für den Gentleman hier gesorgt sein – zwei Straßen von hier hält eine Reihe Miethkutschen, bis dahin wollte ich das Gepäck wohl schaffen –“

„Gut, Bob, also bis dahin – Ihr findet dort mich und Euere zehn Dollars!“

Reichardt sah noch, wie der Schwarze die Gasflamme ausdrehte, und hatte dann im fliegenden Schritte das Haus verlassen, den Weg nach der bezeichneten Ecke einschlagend. In seinem Kopfe begann es wirr rundum zu gehen. Nur hier und da noch fiel aus einem der Verkaufslocale ein Schein auf die dunkle Straße, und fast hätte er die kleine Zahl der noch bereit stehenden Wagen passirt, ohne sie zu bemerken. Er stellte sich dicht am Ende des letzten auf und ließ den Blick scharf nach dem Hotel hinabschweifen. In dem erwarteten Schwarzen concentrirten sich im Augenblicke die wenigen Gedanken, welche er noch fassen konnte. Daneben aber schwirrten dunkele Bilder, der vollbrachte Mord, die mögliche Entdeckung, seine Gefangennahme und hülflose Lage im fremden Lande, vor seiner Seele, ohne indessen zur bestimmten Form gelangen zu können, und erst als er eine breite Gestalt mit einer Last auf der Schulter vom Fußwege herüberbiegen sah, war er im Stande, sich der peinigenden Vorstellungen zu entschlagen.

„Hier, Bob!“ rief er, und der Herankommende folgte der Weisung. – „Nur rasch, damit ich nicht vermißt werde!“ flüsterte dieser, den Koffer nach dem Kutschersitz hinaufreichend, und kaum hatte ihm Reichardt den versprochenen Lohn in die Hand gedrückt, als er auch schon im Schatten der Wagenreihe wieder verschwunden war.

„Wohin, Sir?“ fragte der Kutscher, als Reichardt in das Gefährt sprang.

„Nach der Levee – aber schnell. Es können kaum mehr als fünf Minuten bis zum Abgange des Bootes sein!“

„Welches Boot, Sir?“ war die neue Frage, während die Peitsche auf die Pferde fiel.

„Die Mary Brown!“ entgegnete der Deutsche, um nur einen Namen zu nennen, und der Wagen rasselte vorwärts.

Erst als die erleuchteten Dampfschiffe vom Flusse heraufschimmerten und der Wagen hielt, fuhr er aus seinen Gedanken auf, „Hier ist das Boot,“ rief der Kutscher zur Erde springend, „Sie haben nicht viel Zeit zu verlieren!“ Er hatte die Zügel zurückgeworfen, den Koffer erfaßt und eilte mit diesem einem großen Fahrzeuge zu, das bereits in dicken Wolken den Rauch von sich blies. Reichardt hatte mechanisch den Wagen verlassen und blickte auf – – – es war wirklich die Mary Brown, wie die riesige, matt beschienene Inschrift auswies, und mit einer Empfindung, als thue sich plötzlich ein sicheres Asyl vor ihm auf, eilte er seinem Gepäck nach und sprang an Bord. Er hatte kaum den Kutscher bezahlt, als das Boot schon sich aus der Reihe der übrigen Fahrzeuge zu schieben begann, und mit einem Gefühle unendlicher Erleichterung sah er das Ufer sich weiter und weiter entfernen, bis das Boot sich endlich dem Laufe des Stromes nach drehte und bald die letzten Lichter der großen Stadt in der Dunkelheit verschwanden.

Jetzt erst stieg er die Treppe nach dem Salon hinauf; kaum hatte er sich aber von dort nach der Office gewandt, als er seinen Arm gefaßt fühlte. „Was der Donner!“ hörte er, „meinen Sie, wir haben wieder Nebel zu erwarten?“ und das gutgelaunte Gesicht des Capitains sah ihm beim Umblicken entgegen.

„Hoffe es nicht, Sir!“ erwiderte er die ihm entgegengestreckte Hand schüttelnd, „möchte nur ein Stückchen Wegs mit Ihnen wieder zurückgehen!“

All right, Sie sind zu jeder Zeit als Gast auf der „Mary Brown“ willkommen, Sir, wissen das, Sir,“ war die freundliche Antwort’ „es ist noch keine halbe Stunde her, daß wir von Ihrer Mordsfiedel sprachen – wo ist sie? müssen sie gleich einmal herbeiholen!“

Reichardt hatte in diesem Augenblicke ein Gefühl, als habe ihm Jemand einen Schlag gegen den Kopf versetzt. Die Violine – wo war sie? Jetzt erst entsann er sich, daß er weder beim Aufladen seines Gepäcks, noch beim Abladen desselben etwas davon bemerkt. Was bisher überall seine erste Sorge gewesen, hatte er in der Verwirrung seiner Gedanken aus dem Auge gelassen.

„Einen Moment, Capt’n!“ rief er, „Sie mahnen mich da an eine entsetzliche Nachlässigkeit!“ Er eilte die Treppe hinab, wo sein Gepäck niedergesetzt war; aber außer seinem Koffer war keine Spur von einem anderen Stücke zu entdecken. Die Zähne auf die Unterlippe gebissen sah er in die Nacht hinaus und strebte, sich jede Minute, seit er das Hotel verlassen, wieder zurückzurufen – es war schon richtig, der Neger hatte nur den Koffer nach dem Wagen gebracht, hatte jedenfalls in seiner Eile sich nach weitern Effecten in dem Zimmer gar nicht umgesehen. Der Verlust an und und für sich war in der Lage des jungen Mannes schon von Bedeutung. Ein noch erhöhtes Gewicht aber erhielt er dadurch, daß in dem Innern des Deckels Reichardt’s voller Name verzeichnet und so der beste Anhalt für seine Verfolgung geboten war. Mußte doch auch das Zurücklassen des Instruments an sich schon auf eine übereilte Abreise deuten und den ersten Verdacht auf ihn lenken.

Mit gesenktem Kopfe nahm er seinen Weg wieder nach den obern Räumen und war froh, dem Capitain nicht gleich wieder zu begegnen.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_383.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)