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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

er einige Minuten stehen bleiben, um die nöthigste Ruhe zu gewinnen. Aber erst als er sich lebhaft vergegenwärtigte, wie er nach Verlauf weniger Minuten wieder hier stehen könne, gänzlich enttäuscht durch irgend eine verhältnißmäßig unbedeutende Ursache, die seine Berufung veranlaßt, begann er die Rückkehr seiner Selbstcontrole zu fühlen und er wandte sich nun raschen Schritts dem breiten, offenen Eingange des Gebäudes zu, welcher zwischen einer Reihe starker geschlossener Thüren des Erdgeschosses nach den obern Stockwerken führte. Eine hohe Glasthüre am obern Ende der Treppe ließ den Ankommenden in einen hellen, eleganten Raum blicken, in welchem hinter einem niedrigen, die ganze Breite der Office durchlaufenden Gitter ein halbes Dutzend Clerks emsig an ihren Pulten arbeitete, und mit einem neuen Herzklopfen öffnete er die Thür. Kein anderer Laut, als ein zeitweises Rauschen von Papier oder das Kritzeln der Federn ließ sich in dem weiten Zimmer hören, kein Auge wandte sich bei dem Klappen der Thür auch nur einen Moment von der Arbeit, und Reichardt meinte in dem sich bietenden Bilde die ganze Bedeutsamkeit eines großen Handlungshauses zu fühlen. Er mußte eine kurze Zeit warten, ehe der nächststehende Clerk nach seinem Begehren fragte.

„Mr. Augustus Frost hat mich um elf zu sprechen verlangt!“ sagte der Eingetretene mit unwillkürlich gedämpfter Stimme; „Max Reichardt, Sir!“

Ohne weiteres Wort schritt der Clerk einer offenen Thür zu, in welcher er verschwand. Nach wenigen Minuten schon kehrte er indessen zurück, öffnete das Gitter und lud den Wartenden ein, ihm zu folgen. Reichardt betrat ein anstoßendes Zimmer, in welchem ein einzelner alter Herr an einem Pulte zwischen zwei großen feuerfesten Geldschränken arbeitete; die Thür zu einem dritten Zimmer öffnete sich, und der junge Mann befand sich in einem kleinen, von dem Dufte einer Havannah durchschwängerten Raume, der seinem Blicke wie das Ideal eleganten Comforts entgegentrat. Vor einem dunkelbraunen, mit reicher Schnitzerei versehenen Pulte saß, nachlässig in einen Armsessel zurückgelehnt, eine kräftige Männergestalt mit vollem, stahlgrauem Haare, im Gespräche mit zwei Personen, welche seitwärts auf einem der beiden Plüsch-Divans Platz genommen hatten. Schwere Damastvorhänge dämpften das einfallende Tageslicht; das dunkele marmorne Kamin zierte eine Pendeluhr in weißem, von vier Statuetten, den vier Jahreszeiten, getragenem Alabaster-Gehäuse. Zwei große Oelgemälde deckten einen Theil der geschmackvoll gefirnißten Wände, und der schwere Fußteppich machte jeden Laut der Schritte unhörbar. Der Eingetretene erkannte in den Zügen des Mannes vor sich sofort dasselbe Gesicht, das er in Saratoga an Margarets Seite bemerkt, und wenn auch in diesem Augenblicke eine tiefe Falte zwischen den Brauen ihm einen Ausdruck von Unmuth verlieh, so konnte doch selbst dieser das eigenthümlich ernste Wohlwollen, welches den Grundcharakter der Züge zu bilden schien, nicht ganz verwischen.

Reichardt war zwei Schritte vorgetreten. „Setzen Sie sich, Sir,“ rief ihm der Hausherr mit einem leichten Kopfnicken entgegen und deutete auf einen der umherstehenden Sessel. Dann aber, als kümmere ihn des jungen Mannes Gegenwart nicht, fuhr er, die Augen noch dichter zusammenziehend, in seiner unterbrochenen Rede fort: „Ich muß Ihnen sagen, Gentlemen, daß ich grundsätzlich mit der Sache nichts zu thun haben mag. Der Mann ist öffentlicher Beamter und hat Unterschleife begangen. Sie sagen, das Geld sei zum Besten der Partei verwandt worden und seine Parteifreunde dürften ihn jetzt nicht stecken lassen. Well, Gentlemen, ich fürchte nicht, daß unsere Partei so weit herabgekommen ist, daß sie dergleichen Mittel zu ihrer Erhaltung sanctioniren müßte. Ich halte es im Gegentheil für eine dringende Nothwendigkeit, daß sie durch gänzliche Desavouirung des Geschehenen ihre Ehre von jedem Verdachte säubere. Ich wenigstens würde mich lieber selbständig außer jeder Partei hinstellen, ehe ich mich auf die von Ihnen vorgeschlagene Weise zum offenen Beförderer und Beschützer der nur schon zu sehr eingerissenen Corruption machte. Wer im Stande ist, anvertrautes Gut zu irgend einem eigenen Zwecke zu verwenden, der existirt für mich nicht mehr, mag er nun ein hochgestellter Beamter ooer der letzte meiner Clerks sein. Vielleicht mögen Ihnen diese Ansichten als ziemlich außer der Mode erscheinen, ich verdanke ähnlichen Grundsätzen aber den ganzen Weg, welchen ich vom armen Gehülfen aufwärts gemacht habe, und will in meinen alten Tagen nicht erst noch von der gewohnten Richtschnur abweichen.“

Ein Blick des Verständnisses ward jetzt zwischen den beiden Dasitzenden gewechselt und Beide erhoben sich zu gleicher Zeit. „Wir können die Angelegenheit nicht ganz in der strengen Weise, wie Sie, Mr. Frost, betrachten, da wir nach unserer genauen Bekanntschaft mit dem Betreffenden von seiner völligen Ehrenhaftigkeit überzeugt sind,“ erwiderte der Eine. „Was er gethan, wurde nur von seinem Eifer für den Erfolg der Partei und im Drange des Augenblicks hervorgerufen. Indessen kann es uns natürlich nicht beikommen, Ihre strengere Anschauungsweise bekämpfen zu wollen, und wir müssen uns eben an einige andere Freunde wenden, welche der Theilnahme für einen unglücklichen Mann auch einmal ihr Recht geben.“

Um den Mund des alten Handelsherrn hatte sich ein bitterer Spott gelegt, als das Wort „Ehrenhaftigkeit“ fiel; jetzt erhob er sich ebenfalls. „Ich kann nichts dagegen haben, Gentlemen, was Andere thun wollen, und Ihnen nur meine Ansicht wiederholen, daß jede falsche Theilnahme für das Verderbniß innerhalb der Partei den Weg zu deren Ruin pflastert.“ Er neigte leicht den Kopf und folgte den Davongehenden bis nach der Thür. Dann kehrie er nach seinem Platze zurück, schlug die Arme in einander und blickte eine lange Weile wie im tiefen Nachdenken durch das hohe Fenster. Erst als Reichardt, der es für Pflicht hielt sich bemerkbar zu machen, ein leichtes Räuspern hören ließ, wandte er den Kopf, und der Zug von stiller Sorge, welcher aus seinem Gesichte gelagert, machte einem ruhigen Lächeln Platz. „Fast hätte ich Sie vergessen, Sir,“ begann er, sich erhebend und einen Sessel in seine Nähe ziehend. „Nehmen Sie hier Platz. – Wir sind ja wohl halbe Bekannte von Saratoga,“ fuhr er fort, als der junge Mann seinem Winke gefolgt war, und ein Zug von Laune spielte um seinen Mund, als in Reichardt’s Gesicht bei der Andeutung seiner damaligen Wirksamkeit ein leichtes Roth stieg. „Sie wurden, so viel ich höre, von der wilden Hummel, der Tochter meines Freundes Burton, nach dem Süden gesprengt und haben es bei Ihrer Rückkehr vorgezogen, lieber Porter zu werden, als zu Ihrem frühern Ernährungszweige zu greifen. Well, Sir, um ohne Umschweife zu reden, es sind einzelne Gründe vorhanden, die mich wünschen lassen, Ihnen nützlich zu sein – Sie selbst werden indessen am besten wissen, in welcher Weise dies geschehen kann. Sie hatten ja wohl den Plan, eine Organistenstelle anzunehmen. Ich habe einigen Einfluß bei einzelnen hiesigen Kirchengemeinden; oder insofern Sie tüchtig genug in Ihrem Fache sind, könnte Ihnen der lohnendere Weg als Musiklehrer unter den besseren Familien hier geöffnet werden, und die nöthigen Mittel für den Anfang würden sich wohl auch finden –“ er hielt inne, als erwarte er eine Rückäußerung.

Auf Reichardt’s Gesicht hatten Röthe und Blässe mit einander gewechselt. „Ich weiß nicht, Mr. Frost, wodurch ich Ihre so freundliche Beachtung verdient habe,“ erwiderte er mit einer Stimme, der er umsonst Festigkeit zu geben versuchte. „Indessen würde sich kaum einer meiner Wünsche in der angegebenen Richtung erstrecken. Ich bin von Haus aus Kaufmann, und mein sehnlichstes Verlangen ist es, wieder in den alten Berufsweg einbiegen zu können.“

„Mein Sohn hat mir etwas davon gesagt,“ nickte Frost, „indessen gestehe ich Ihnen, daß mir Ihre Neigung zur Musik und Ihre Fertigkeit darin sich kaum mit dem kaufmännischen Geschäfte, das, wenn es recht betrieben werden soll, jeden andern Gedanken absorbiren muß, vereinigen lassen will. Ich war zu dem Glauben gekommen, daß sich aus Ihnen etwas Ganzes machen ließe –“

„Ich weiß, wie vollkommen Recht Sie haben, Sir,“ unterbrach ihn Reichardt, ohne in seiner Erregung die Unhöflichkeit zu bemerken, welche er beging, „ich habe aber bereits mit einer Fertigkeit gebrochen, die ich nur ausübte, um den nothwendigsten Unterhalt zu erwerben. Ich habe kein Instrument mehr, und seit ich, wieder in New-York bin, concentriren sich meine heißesten Wünsche nur in der Erlangung eines Platzes, sei es auch vorläufig der unbedeutendste, welcher mir ein Vorwärtskommen in meinem langgewohnten Wirkungskreise ermöglicht.“

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_404.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)