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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Graf Camillo Cavour.

Das Jahr 1861 begann unter beängstigenden Auspicien. Zwar sind die Gewitterwolken, die sich rings an unserem politischen Horizont aufzuthürmen und in vernichtenden Blitzen zu entladen drohten, größtentheils verschwunden, zwar ist kein kostbares Blut in reicher Fülle auf den Schlachtfeldern vergossen worden – ein einziges Märthyrerthum in Polen ausgenommen; dafür aber hat der tückische Tod zwei Opfer gefordert, die in den weitesten Kreisen den tiefsten Schmerz und die aufrichtigste Trauer hervorriefen. Noch ist der Schleier nicht gelüftet, der das freiwillige Lebensende des Grafen Ladislaus Teleki umhüllt, jenes ungarischen Patrioten, den die Besten seines Volkes beweinten, und schon klingt die verhängnißvolle Kunde vom Hinscheiden Cavour’s nicht nur durch ganz Italien, sondern weit über dessen Grenzen hinaus durch alle europäischen Lande. Der Tod Cavour’s ist ein welthistorisches Ereigniß, dessen Folgen wir noch nicht abzusehen vermögen. In Cavour verliert sein Vaterland, das von ihm so heiß geliebt wurde, den edelsten seiner Söhne, den begeistertsten Apostel der Freiheit, den uneigennützigsten, aufopferungsfähigsten Patrioten, der mit rastloser, fast übermenschlicher Thätigkeit dahin strebte, das kleine, beinahe verachtete, mindestens gänzlich unbeachtete Sardinien in kaum einem Jahrzehnt zu einem Großstaat zu erheben; in ihm betrauert ganz Europa den ersten Staatsmann der Neuzeit, der mit ernster Ruhe und Gemessenheit, aber auch mit unerschütterlicher Energie seinem hohen Ziele, der einheitlichen Gestaltung Italiens in Freiheit und nationaler Selbstständigkeit, nachstrebte und dasselbe, so weit es in menschlichen Kräften lag, fast erreichte, als ihm der Tod die Augen schloß und ihn abrief von einer Bahn, auf welcher er so Großes und Herrliches geschaffen; einen Staatsmann endlich, der weltklug genug war, alle Klippen, die sich ihm entgegenthürmten, zu umschiffen, aber auch – und dieses Hauptverdienst kann ihm nicht hoch genug angerechnet werden – es verstand, die Volkssympathien zu studiren, die Bedürfnisse des Volkes in treue Obacht zu nehmen und Hand in Hand mit dem Volke dessen gerechte Forderungen zur Anerkennung zu bringen. Deshalb bleibt Cavour der größte unter allen Diplomaten der Neuzeit.

Es sei uns vergönnt, nur mit wenigen Strichen das äußere Leben dieses berühmten Mannes hinzuzeichnen. Am 1. August 1810 in Turin geboren, war er der Sohn eines reichen Getreidehändlers in der Grafschaft Nizza, den der König Karl Albert in den Adelstand erhoben hatte, während andere Nachrichten ihn den Sprossen eines altadligen Geschlechts nennen. Schon frühzeitig widmete er sich dem Studium der Nationalökonomie und bereicherte die erworbenen Kenntnisse nicht wenig durch Reisen in Frankreich, England, Oesterreich und Spanien. Mitbegründer und Hauptmitarbeiter eines landwirthschaftlichen Journals, der „Associazione Agraria“, in welcher er nationale Tendenzen verfolgte, entschloß er sich bald darauf in Gemeinschaft mit dem Grafen Balbo und unterstützt von den bedeutendsten geistigen Kräften Italiens zur Herausgabe eines constitutionellen Blattes, des „Risorgimento“ (die Auferstehung), in welchem er mit allem Aufwand von Geist und Beredsamkeit die Nothwendigkeit einer sardinischen Verfassung nachwies. Kaum sah er dieses erste Ziel erreicht, kaum war das Statut erschienen, als er seine Bestrebungen für Herbeiführung einer Verfassung dadurch anerkannt fand, daß er zum Mitglied der Kammer erwählt wurde.

Vermochte auch seine damals vorherrschend demokratische Richtung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_405.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)